Lange Jahre stand Raul Castro im Schatten seines charismatischen älteren Bruders Fidel Castro, dem 2016 gestorbenen "Maximo Lider" der kubanischen Revolution. Als Fidel seinen Rückzug in den politischen Ruhestand begann, rückte Raul mehr und mehr in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Raul Modesto Castro Ruz hat Kuba seither seinen eigenen Stempel aufgedrückt. Vor 90 Jahren, am 3. Juni 1931, wurde er in Biran in der Provinz Oriente im Osten der Karibikinsel geboren.
Internierungslager für Homosexuelle
Bevor er selbst an die Spitze des Staates aufrücken konnte, gehörte Raul Castro zu den wichtigsten Erfüllungsgehilfen seines Bruders Fidel. Zu den dunkelsten Kapiteln seiner politischen Laufbahn, stand das Errichten von Internierungslagern für Homosexuelle. Fidel, Raul und auch die Revolutions-Ikone Che Guevara wurden von einer Homophobie getrieben, die man in dieser Ausprägung heute nur noch von rechtspopulistischen Politikern wie Jair Bolsonaro aus Brasilien oder extremeren Schwulenhassern kennt. Die Castros beließen es aber nicht nur bei der verbalen Demütigung. Sie sperrten sie ein, versuchten sie mit "Arbeit" zu heilen.
Schwere Menschenrechtsverletzungen
Angetrieben wurde Fidel Castro von einem Besuch in der noch stalinistisch geprägten Sowjetunion. Bis heute sind diese schweren Menschenrechtsverletzungen juristisch nicht wirklich aufgearbeitet worden. Anhänger der kubanischen Revolution im Ausland, auch in Deutschland, schweigen zu dem Thema. Raul Castro war damals in den 1960ern für die Jagd auf Homosexuelle verantwortlich. Fidel übernahm später die politische Verantwortung: Die Verfolgung Homosexueller sei ein Fehler gewesen, bekannte er. Tatsächliche Konsequenzen wie ein Rücktritt kamen aber nie in Frage. Bis heute spielt die Homophobie auf Kuba eine politische Rolle, werden schwule Künstler, die sich dem Ein-Parteien-System nicht unterwerfen wollen, in den Staatsmedien gedemütigt. LGBT-Aktivisten üben deshalb harte Kritik am System.
Politisches Tauwetter
Der andere Raul Castro versuchte dagegen Brücken zu bauen. Unter Vermittlung von Papst Franziskus nahm er Gespräche mit der Regierung von US-Präsident Barack Obama auf. Es begann das, was gemeinhin als politisches Tauwetter bezeichnet wird. Obama lockerte das jahrzehntelange US-Embargo, reiste nach Havanna. Castro hoffte auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch Obama unterschätzte Kubas Selbstbewusstsein - wie so viele Präsidenten vor ihm. Bis heute ist Kuba nicht bereit - wie von Obama eigentlich erwartet - der Opposition auf der Insel das Recht zuzugestehen, eigene Parteien zu gründen. Wer zur Zivilgesellschaft gehört, bestimmt allein die alles dominierende kommunistische Partei.
Mythos kubanische Revolution
Dieses autoritäre Selbstbewusstsein übt auf linke Befreiungstheologen wie den Brasilianer Frei Betto - trotz Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und Repression gegen die Opposition nach der Revolution - eine merkwürdige Faszination aus: "Die gesamte Linke Lateinamerikas steht immer noch solidarisch hinter der kubanischen Revolution, weil diese ein Beispiel gegeben hat für Souveränität und den Kampf gegen die USA, das mächtigste und grausamste Imperium der gesamten Menschheitsgeschichte", sagte Betto vor einigen Wochen. Seinen größten außenpolitischen Erfolg feierte Castro als Gastgeber der erfolgreichen Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla, die in Havanna stattfanden.
Brutaler Revolutionär
Der legendäre Ruf des sozialistischen Kuba in diesen Kreisen basiert auf dem erfolgreichen Kampf gegen den grausamen Diktator Batista, auf der Befreiung der Insel und dem Sieg der Revolution 1958/59. Den Castros ist es gelungen, dass nicht die gnadenlose Hinrichtung seiner Gegner nach dem Sieg im Gedächtnis blieb, sondern der revolutionäre Sieg. Dass Castro vermeintliche und tatsächliche Kriegsverbrecher und Folterer im Dienste Batistasin in Massenerschießungen ermorden ließ, weiß heute kaum noch jemand.
Ende der Ära Castro
Vor wenigen Wochen gab Raul Castro nach dem Amt des Staatspräsidenten (2008-2018) auch die Führungsrolle in der Partei an seinen Wunschnachfolger Miguel Diaz-Canel ab. Die Ära Castro ist damit auf Kuba Geschichte. Sie wird geliebt und gehasst. Der Sieger im Kampf um die Deutungshoheit der kubanischen Geschichte ist aber seit über 60 Jahren die Familie Castro.