DOMRADIO.DE: Es gibt einiges in dem Koalitionsvertrag, das sozialpolitisch gut erscheint. Bei der Kindergrundsicherung steckt der Teufel im Detail. Besteht bei der Koalition die Gefahr, dass vieles gut gemeint, aber in der Umsetzung am Ende schwierig ist?
Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes): Sorge hatten wir, nachdem das Sondierungspapier vorlag. Jetzt, wo der ganze Koalitionsvertrag auf dem Tisch liegt, ist die Sorge bei uns deutlich geringer geworden, weil man doch feststellt, dass die Koalition beides vor hat: Die akut drängenden Themen sofort angehen aber auch die perspektivisch strategischen Fragen ausreichend konkret im Zeitplan zu positionieren. Ich glaube, gerade in dieser Kombination zeigt sich die Stärke.
Wenn man die drängenden Fragen auf die lange Bank schieben würde, würden ja die sozialen Spaltungen, die Spannungen, immer noch größer werden und man würde sich den Spielraum für die großen Reformen durch eine Eskalation der Unzufriedenheit selber nehmen. Das Gegenteil ist hier der Fall. Heizkostenzuschüsse für diesen Winter, sofort ein Corona-Krisenstab. Das zeigt: Man will gleich anfangen, um dann im zweiten Schritt die großen Themen anzupacken.
DOMRADIO.DE: Die Pläne der Ampelkoalition sehen vor, dass noch mehr Migrantinnen und Migranten im Rahmen des Resettlement-Programms nach Deutschland kommen. Was schlagen Sie vor, um Menschen aus anderen Kulturkreisen nicht nur hierher zu holen, sondern ihnen auch eine Perspektive zu geben und ihnen aber auch andererseits klar zu machen, was für unsere Gesellschaft wichtig ist? Hat die Koalition diesen Aspekt aus Ihrer Sicht mitgedacht?
Welskop-Deffaa: Also wir haben uns ganz besonders gefreut, dass im Koalitionsvertrag tatsächlich klare Aussagen zum Thema Resettlement enthalten sind. Allein das Wort ist ja schon so kompliziert, dass viele Leute davor Angst haben. Im Kern geht es darum, dass wir in der Flüchtlingspolitik dafür sorgen, dass die besonders vulnerablen und die besonders schwachen Flüchtenden eine Chance haben, aus den Krisengebieten herauszukommen. Und nicht nur die besonders Starken, die Reichen, die sich einen Schlepper kaufen können.
Wenn man dann aus den Elends-Flüchtlingslagern in Afghanistan, in der Türkei, in den Krisenländern rund um das Mittelmeer, dafür sorgt, dass da die behinderten Menschen, die Menschen mit kleinen Kindern und die Kranken vorrangig über solch ein humanitäres Aufnahmeprogramm nach Europa kommen können, dann ist das genau der richtige Weg, um eine humane Flüchtlingspolitik zu machen. Und dafür steht der Koalitionsvertrag. Und an dieser Stelle wollen wir ihn ausdrücklich unterstützen und unsere Hilfe anbieten.
Natürlich müssen die Menschen, die aus fremden Kulturkreisen nach Europa kommen, hier auch gute Integrationschancen haben. Da haben wir aber nach unserer Einschätzung in den letzten fünf Jahren sehr viel gelernt. Auch die ganzen Integrationspläne der scheidenden Bundesregierung haben ja die richtigen Vorhaben benannt. Man muss in Bildung investieren, man muss in Arbeitsmarktteilhabe investieren. Und ich kann nicht erkennen, dass im Koalitionsvertrag Hinweise enthalten wären, dass diese Anstrengungen reduziert werden sollten.
DOMRADIO.DE: Thema kirchliches Arbeitsrecht. Die Ampelkoalition plant, das kritisch in den Blick zu nehmen. Es heißt dort: Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Was wird das denn insbesondere für die Caritas bedeuten?
Welskop-Deffaa: Es war ja schon den Wahlprogrammen der Parteien zu entnehmen, die jetzt koalieren, dass das kirchliche Arbeitsrecht Thema werden würde. Wir freuen uns, dass hier letztlich ein Gesprächsangebot an die Kirchen gemacht wird. Es steht ja ausdrücklich drin "gemeinsam mit den Kirchen" soll darüber nachgedacht werden. Und es ist ja so, dass auch wir selbst als katholische Kirche im Augenblick damit beginnen, unsere Grundordnung zu evaluieren, noch mal zu schauen: Hat sich das bewährt, was wir hier vor sechs Jahren verabredet haben in Bezug auf die Loyalitätsobliegenheiten und ähnliche Regulierungen? Und von daher bin ich zuversichtlich, dass wir einen Dialog gestalten können, der am Ende gute Arbeit für alle in der Caritas und darüber hinaus weiter befördert.
DOMRADIO.DE: Heute hören wir von einem traurigen Rekord 100.000 Menschen sind in Deutschland bisher mit Covid-19 gestorben. Die Ampelkoalition will einen Corona-Krisenstab einrichten. Sie fordern eine Impfpflicht im Medizinischen und Pflegebereich. Warum? Und was halten Sie von einer generellen Impfpflicht?
Welskop-Deffaa: Wir haben als Caritas keine Impfpflicht nur für den medizinischen und Pflegebereich gefordert, sondern wir haben uns ausgesprochen für eine spezifische Impfpflicht auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes, die auf den Schutz besonders vulnerabler Gruppen zielt. Und das soll definitiv nicht nur das Pflegepersonal oder das medizinische Personal umfassen, sondern muss vom Schutzgedanken des Infektionschutzgesetzes sehr genau definieren, ob damit auch Erzieherinnen gemeint sind, ob damit auch das hauswirtschaftliches Personal in den Einrichtungen gemeint ist, die Sozialarbeiterinnen in Flüchtlingseinrichtungen und Ähnliches.
Was wir im Augenblick kritisch sehen als Caritas ist, schon jetzt eine allgemeine Impfpflicht zu fordern, weil das Infektionsschutzgesetz ein klares Abprüfen der Verhältnismäßigkeit voraussieht. Und wir würden sagen, dieser Zwischenschritt ist noch nicht gegangen worden. Er könnte ausreichen, um den Schutz in den nächsten Monaten zu verbessern. Nachdem wir jetzt die ganze Zeit auf Freiwilligkeit gesetzt haben. Und der könnte vor einer Debatte um eine allgemeine Impfpflicht dann doch auch noch mal wirklich in einem Stufenkonzept dafür sorgen, dass wir nicht zu schnell Menschen brüskieren, die dann ihr Vertrauen in den Staat unter Umständen verlieren. Die Bilder aus Rotterdam, die Bilder aus Brüssel sind ja eine gewisse Mahnung, dass man da doch mit Bedacht rangehen sollte.
Das Interview führte Heike Sicconi