Die Vereinten Nationen vor einem Wahl- und Schicksalsjahr

Das Phantom in der UNO

Im Sommer wählen die Vereinten Nationen einen neuen Generalsekretär – den Mann, der wohl 2015 vor der versammelten Weltgemeinschaft Rechenschaft über das Gelingen oder Scheitern der UN-Millenniumsziele ablegt. Eine Identifikationsfigur wird gebraucht - anders als der amtierende UN-Chef.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Stell dir vor, es ist UNO, und keiner hört hin. Fast klingt ein Hauch von Mitleid mit, wenn man in der Zeitung die Worte liest: "UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sich ..." - Was?, so denkt man: ... entsetzt - sehr beunruhigt - enttäuscht - über die Ergebnisse der Konferenz - das Wiederaufflammen der Gewalt - die Folgen der globalen Erwärmung - den neuerlichen Terroranschlag in xy geäußert? Man kennt sie auswendig, die so tonlosen wie korrekten Erklärungen aus dem Hauptquartier am New Yorker East River - und man hat beim Rezitieren längst kein Gesicht mehr vor Augen. Die Vereinten Nationen 2010, sie standen mehr denn je auch im Ban drohender Bedeutungslosigkeit.



Die Weisheit ist nicht neu: Die UNO ist immer nur so stark, wie die fünf Vetomächte - USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien - sie haben wollen. Und im Sommer 2006 wollten die George Bushs, die Wladimir Putins und Tony Blairs eben keine noble Lichtgestalt mehr; kein säkulares Weltgewissen wie den Friedensnobelpreisträger Kofi Annan. Auch die Boshaftigkeit der kontinentalen Arithmetik im UN-Vorsitz mag eine Rolle dabei gespielt haben, dass ausgerechnet Südkoreas Außenminister Ban die Bühne der Welt betrat.



Gewiss, ein guter Ruf ging dem unauffälligen, ja schier unsichtbaren Mann voraus: Ein effizienter "Troubleshooter" sei er, verhandlungserfahren und uneitel, wenn es um die Eigenvermarktung von Erfolgen geht; ein Aktenfresser und konsequenter Modernisierer. Gut also für den ewigen UN-Wasserkopf, der Kosten, aber keine Ergebnisse präsentiert.



Der Appell als einzige Macht

Doch was kann eine Organisation ausrichten, deren einzige Macht der Appell, die Überzeugung, das gesprochene Wort ist, wenn die Worte ihres fleißigen Frontmanns schon beim Gang zum Rednerpult unwillkürlich wieder in der inneren Klarsichthülle verschwinden? 2011 ist schon deshalb ein Schicksalsjahr der Vereinten Nationen, weil für den Sommer die Wahl des Generalsekretärs ansteht. Aller Voraussicht nach wird es der Generalsekretär sein, der 2015 vor die versammelte Weltgemeinschaft tritt und Rechenschaft ablegt über das Gelingen oder Scheitern der acht ehrgeizigen UN-Millenniumsziele des Jahres 2000.



Halbierung von extremer Armut und Hunger? Halbierung der Kindersterblichkeit? Grundbildung für alle? Ein Stillstand in der Ausbreitung von HIV/Aids und weltweiter Zugang zu Aids-Medikamenten? 2015 ist 2011 keine ferne Zukunft mehr. Und viele der namhaften Fortschritte, die in diesen Bereichen in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts tatsächlich erzielt worden sind, haben Naturkatastrophen, Kriege und die globale Weltwirtschaftskrise inzwischen wieder aufgefressen. Dies zu konstatieren, ist eine Sache. Doch es herauszuschreien, die nadelgestreiften Berufsclaqueure der Armutskonferenzen, Klimagipfel und Vollversammlungen aufzuwecken aus ihrem Vollkaskoschlaf, ist eine völlig andere.



Identifikationsfigur gesucht

Ein Stück Trappatoni, das bräuchte wohl die UNO dieser Jahre. Die Millionen Flüchtlinge und Kriegsopfer; die Hungernden; die entrechteten Frauen; die Tausenden Blauhelme, die ihren Kopf hinhalten sollen für eine Weltgemeinschaft, die es vorzieht wegzuschauen von all den Konflikten und Katastrophen. Sie brauchen eine Identifikationsfigur, die Tag für Tag drastisch vor Augen führen kann, wo und warum gestorben wird; unter welch erbärmlichen Bedingungen seine humanitären Helfer helfen in Afghanistan, im Sudan oder im Kosovo. Die die monströsen Diskrepanzen zwischen Rüstungsausgaben und Armutsbekämpfung nicht nur emsig auf ihrem Vielfliegerticket notiert, sondern sie den Mächtigen in geeignetem Rahmen auch hörbar um die Ohren haut. Und die, ganz am Ende, gar die Autorität besäße, die so kraken- wie ameisenhafte Bürokratisierung des eigenen Hauses mit einem findigen Masterplan zu erledigen.



Der UNO-Generalsekretär Ban kommt aus einer höflichen Weltregion, in der man traditionell vor allem vor einem Angst hat: dem Gesichtsverlust. Was aber, wenn der gesamten Weltorganisation nichts mehr fehlt als - ein Gesicht?