Vor einigen Wochen gab es plötzlich noch einmal Schlagzeilen um etwas, das eigentlich nie jemand behauptet hatte: "Keine Brandstiftung an Notre-Dame." Dacharbeiten an der historischen Kathedrale verursachten damals, am Abend des 15. April 2019, jenes Großfeuer, das die Pariser und die ganze Welt erschütterte. Anlass für die jüngste Aufwallung: der abendfüllende Film "Notre-Dame brule" von Regisseur Jean-Jacques Annaud.
Bei dem Brand vor genau drei Jahren wurden der hölzerne Dachstuhl aus dem Mittelalter, Teile der Deckengewölbe sowie der Dachreiter aus dem 19. Jahrhundert zerstört. Noch in der Brandnacht versuchte Staatspräsident Emmanuel Macron, die geschockte Nation zu beruhigen. Man werde Notre-Dame binnen fünf Jahren wieder aufbauen - und zwar "schöner als je zuvor". Das machte Mut - aber auch Zeitdruck von Anfang an.
Wagemutige Architektenträume mit Glas, Stahl und Laserprojektionen prallten an der nüchternen Strenge der Denkmalschützer ab. Und Macrons Statthalter am Bauplatz, Ex-Fünf-Sterne-General Jean-Louis Georgelin, schnarrte schon zu seinem Amtsantritt, er wolle die fünf Jahre nicht "mit kunsthistorischen Symposien vergeuden". So wurde recht rasch eine originalgetreue Rekonstruktion beschlossen.
Jahrzehnte voller Arbeit
Dennoch: Nach Meinung der früheren Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner könnte der Wiederaufbau von Notre-Dame einige Jahrzehnte dauern. Und Georgelins Vision von fliegenden Maurerkellen wurde schon bald mit einer neuen schmerzlichen Realität konfrontiert: Kaum ein Jahr nach dem Brand - die Aufräumarbeiten dauerten noch an - ruhte die Baustelle wegen der Corona-Pandemie und -Ausgangssperre. Schutzkleidung wegen der hohen Blei-Belastung durch die geschmolzenen Dächer plus Maske plus Abstandsregeln plus schwerste Arbeit am Bau? Das war undenkbar.
Inzwischen ist dennoch viel geschafft. Im Sommer soll der Wiederaufbau beginnen. Die Bäume für den Dachstuhl und die Art der Bearbeitung sind bestimmt, die Verträge mit den Baufirmen geschlossen. Im Dezember bekam das Erzbistum Paris vom Staat Grünes Licht für das Konzept zur künftigen Ausgestaltung der Kathedrale - von traditionalistischen Teilen der Öffentlichkeit freilich harsch kritisiert.
Schon im Vorfeld, nachdem frühe Entwürfe und Ideen an die Öffentlichkeit gelangt waren, hatte es wütende Rufe gegeben. Man solle Notre-Dame nicht in ein "religiöses Disneyland" der politischen Korrektheit oder in eine "Landebahn" verwandeln. Alles solle so bleiben, wie es immer war - oder zumindest seit der Renovierung durch Eugene Viollet-le-Duc nach den Verwüstungen der Französischen Revolution vor fast 250 Jahren.
Enorme touristische Bedeutung, trotz Gotteshaus
12 bis 14 Millionen Menschen kamen vor 2019 jährlich nach Notre-Dame - immer mehr. Die Messbesucher werden dagegen - immer weniger. Und doch ist die Pariser Kathedrale in erster Linie, was sie seit Jahrhunderten ist: eine Kirche, das Haus Gottes. Das Erzbistum Paris hatte nun nach dem katastrophalen Brand eine Chance, die andere Kirchenverantwortliche kaum je haben: eine Stunde Null, einen gestalterischen Reset-Knopf.
Und sie versuchten, den Spagat hinzubekommen zwischen einem einzigartigen liturgischen Raum und der einzigartigen Gelegenheit, ungezählten religiös Unbedarften, aber potenziell Interessierten geistlich zu begegnen. Die Anforderungen an Notre-Dame sind maximal unterschiedlich: von Gläubigen und Atheisten, Neugierigen und Unerfahrenen; und zwischen Stille, Lärm und Klang. Aber: Niemand kommt zu 100 Prozent als Pilger oder zu 100 Prozent als Tourist. Der Neuentwurf lenkt die Menschenströme - und versucht zugleich, den Sinn des Raumes zu erklären und erfahrbar zu machen.
Archäologische Ausgrabungen geben neue Erkenntnisse
Bevor bald der Ausbau beginnt, wurden an verschiedenen Stellen unter dem Boden der Kathedrale archäologische Grabungen durchgeführt - unter Zeitdruck natürlich. Im Februar und März brachten sie mehrere Funde zutage, darunter einen Bleisarkophag aus dem 14. Jahrhundert und Teile des alten Lettners (Chorschranke), der im 17. Jahrhundert zerstört wurde.
Der Bamberger Kunsthistoriker Stephan Albrecht, Mitglied dreier wissenschaftlicher Arbeitsgruppen zum Wiederaufbau, sprach von einer "Sensation". Man habe Gräber entdeckt, die möglicherweise bis in die Antike zurückreichten; dazu eventuelle Fundamentreste der ersten antiken Ostanlage der Bischofskirche. Albrecht bezeichnet die derzeitige Phase als eine "logistisch und konstruktiv einmalige Operation am offenen Herzen der Kathedrale".
Doch auch er beklagt den "straffen Zeitplan der Baustelle" und fordert mehr wissenschaftliche Dokumentation und Analyse. Es sei "nur zu hoffen, dass durch zu große Eile nicht zentrale Befunde für immer verloren gehen". Der Architekturhistoriker Mathieu Lours von der Universität Paris-Cergy versucht zu beschwichtigen: "Notre-Dame ist nicht Pompeji", meint er. "Das Erzbistum braucht seine Kathedrale, Paris braucht Notre-Dame, und die Besucher wollen sie sehen." Man müsse zwischen Nutzung und wissenschaftlicher Erkenntnis entscheiden, so der Forscher.
Aber: Natürlich ist der Platz mit den Vorgängergebäuden bereits seit gallorömischer Zeit bebaut. Es wäre "fantastisch", unter das Kirchenschiff zu gehen, räumt Lours ein: "Die Vorgängerkathedrale war die größte frühchristliche Basilika Galliens." Nur: "Wenn wir komplette Ausgrabungen machen wollten, wäre eine Wiedereröffnung im April 2024 unmöglich." Alle Grabungen müssten wegen der Staubaufwirbelung vor den Sanierungsarbeiten durchgeführt werden.
Ist der permanente Wettlauf mit der Zeit wirklich notwendig? So oder so: Erstmals seit dem Ende der Französischen Revolution werden in der Pariser Kathedrale Notre-Dame keine Gottesdienste mehr gefeiert - und so wird es auch noch eine ganze Zeitlang bleiben. Ausweichkirche ist Saint-Sulpice nahe dem Jardin du Luxembourg.