Die Zeit wird knapp. Wenn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die angekündigte Pflegereform noch vor den Bundestagswahlen im September durchs Parlament bringen will, muss er sich beeilen. Zugleich böte ihm dieses Projekt die Chance, nicht nur am Thema Impfen und Corona-Tests gemessen zu werden.
Bereits im November hatte der Minister Eckpunkte vorgelegt. Am Montag berichtete das Nachrichtenportal "ThePioneer" nun über den nächsten Schritt: einen Arbeitsentwurf aus dem Gesundheitsministerium. Spahn selber hatte bereits Anfang März erklärt, die Reform sei "im Grunde fertig". Es hänge nun an Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und der Bundesregierung insgesamt, "ob wir uns gemeinsam diesen Schritt noch zutrauen".
Entlastung langjähriger Heimbewohner
Zentrales Anliegen ist eine Entlastung langjähriger Heimbewohner bei den ständig gewachsenen Eigenanteilen zur Pflege. Überraschend sieht der Arbeitsentwurf jetzt andere Regelungen vor als die Eckpunkte.
Geplant ist ein Stufenmodell: Dabei soll der Eigenanteil, der für die reine Pflege anfällt, nach mehr als einem Jahr im Pflegeheim um 25 Prozent abgesenkt werden, nach mehr als zwei Jahren um die Hälfte und nach mehr als drei Jahren um 75 Prozent. Für langjährige Heimbewohner würden Spahns Pläne eine Entlastung um fast 600 Euro bedeuten.
Aktuell müssen Heimbewohner für die Pflege einen Eigenanteil von 786 Euro pro Monat zuzahlen. Insgesamt beläuft sich der Zuzahlungsbetrag auf zuletzt durchschnittlich 2.068 Euro monatlich. Darin sind auch die Kosten für Verpflegung und Unterbringung sowie Ausbildungskosten berücksichtigt.
Der Gesundheitsminister rückt damit von bisherigen Reformüberlegungen ab. Ursprünglich hatte er geplant, den Pflege-Eigenanteil für die Dauer von 36 Monaten auf maximal 700 Euro zu begrenzen. Von Linken und Patientenschützern kam deshalb heftige Kritik am neuen Modell:
Viele Menschen stürben schon im ersten Jahr ihres Heim-Aufenthalts, hieß es. Sie würden kaum entlastet.
Länder-Beteiligung an Investitionskosten von Heimen
Indirekt zur Entlastung Pflegebedürftige beitragen soll auch eine Länder-Beteiligung an den Investitionskosten von Heimen - und zwar von monatlich 100 Euro für jeden Pflegebedürftigen. Darüber hinaus will Spahn, dass die Leistungen für die häusliche und stationäre Pflege von Anfang 2023 an jedes Jahr um 1,5 Prozent erhöht werden. Ab Pflegegrad 2 soll künftig ein jährliches Budget von 3.300 Euro für Kurzzeit- und Verhinderungspflege zur Verfügung stehen. Pflegekräfte müssen ab 2022 Tariflöhne erhalten.
Die jährlichen Mehrausgaben summieren sich laut Entwurf mittelfristig auf 6,3 Milliarden Euro jährlich. Der größte Teil davon würde nach Spahns Plänen jedoch durch Steuergeld gestemmt. Der Bund hätte sich ab 2022 auf Mehrausgaben von rund 5,1 Milliarden Euro einzustellen.
Die Finanzreform in der Pflege ist dringend, weil die Eigenanteile der Heimbewohner zuletzt stark angestiegen sind und - wegen steigender Personalkosten - noch weiter steigen könnten. Schon jetzt ist ein Drittel der Bewohner auf Sozialhilfe angewiesen, ein weiteres Drittel verbraucht sein Restvermögen für die Kosten des Pflegeheims und ein Drittel kann das Heim durch sein Einkommen bezahlen, so eine Studie des Bremer Pflegewissenschaftlers Heinz Rothgang.
Die Pflegeversicherung hatte kürzlich mitgeteilt, dass sie das Corona-Jahr 2020 mit einem leichten Plus von 1,5 Milliarden Euro abgeschnitten habe. Das positive Ergebnis war allerdings nur möglich, weil der Bund im Rahmen des Pflegerettungsschirms einen Zuschuss von 1,8 Milliarden Euro überwies. Für die kommenden Jahre rechnen die Kassen aber mit stark steigenden Ausgaben.
Der Vorstandsvize des GKV-Spitzenverbands, Gernot Kiefer, forderte auch für 2021 einen "verlässlichen" Zuschuss des Bundes. "Wir brauchen eine Entlastung für die Pflegeheimbewohner, stabile Beiträge für die Beitragszahler und eine bessere Vergütung für Pflegekräfte. Ohne verlässlichen Bundeszuschuss ist das nicht zu machen", sagte er der "Ärzte Zeitung". Der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, fürchtet allein für das Jahr 2022 einen finanziellen Mehrbedarf in der Pflegeversicherung von 4,5 Milliarden Euro.