KNA: Können Sie, Herr Stückl, das Wort "Fasten" noch hören, wenn Sie an die Kultur denken?
Christian Stückl (Intendant des Münchner Volkstheaters und Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele): Ich habe die Situation nie damit verglichen, aber so gesehen sind wir in einer neunmonatigen Fastenzeit. Ich bin durchaus mit Organisieren beschäftigt, weil das Volkstheater im Herbst umzieht. Aber man lebt halt in den Tag hinein. Deutlich früher als sonst haben wir Regisseure gesucht und uns 200 Schauspieler im Stream angeschaut. Vorsprechen über Zoom war sehr eigenartig. Nach und nach sitzen wir auch wieder über dem Passionsspiel.
KNA: Wie muss man sich seit März, als die Passion ins Jahr 2022 verschoben wurde, die musikalische Enthaltsamkeit in Oberammergau vorstellen, Herr Zwink?
Markus Zwink (Musikalischer Leiter der Oberammergauer Passiosnspiele): Fasten macht man ja freiwillig und nicht gezwungenermaßen. Das sollte eine selbstauferlegte Askese sein, von der man profitiert. Das sehe ich aktuell nicht. Seit November ist erneut Stillstand angesagt. Im Sommer habe ich versucht, wieder Chor- und Orchesterproben zu machen. Online funktioniert das nicht. In mir brennt es total, dass wir wieder in die Gänge kommen.
Stückl (amüsiert): Ganz freiwillig war die Fastenzeit auch nicht. Die hat uns die Kirche auferlegt. Während die Patres weiter g'fressen haben, mussten die Leut' fasten. Selbst das Bier wurde zur erlaubten Nahrung erklärt.
KNA: Not macht erfinderisch, heißt es. Wie sahen die musikalischen Proben aus?
Zwink: Wir haben den sehr großen Chor gesplittet und versucht, mit drei Meter Abstand stimmweise was zu erarbeiten. Das hatte durchaus etwas Gutes. Plötzlich hörte sich jeder selbst. Nun ist dies auch wieder gestoppt. Um in Übung zu bleiben, verschicke ich per E-Mail Noten und Hörhilfen, damit die Leute zu Hause in Eigenregie arbeiten können.
KNA: Bei Matthäus heißt es, Jesus habe 40 Tage und 40 Nächte in der Wüste gefastet und dann Hunger bekommen. Als der Teufel ihn auffordert, Steine in Brot zu verwandeln, entgegnet er ihm: "Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt." Hilft einem Bibelkenner wie Ihnen, Herr Stückl, ein solches Jesus-Wort in diesen Tagen?
Stückl: Ich greife in Situationen wie diesen selten auf Bibelworte zurück. Dennoch denkt man über Dinge nach, über die man sonst nicht nachdenkt. Vielleicht war das ja für Jesus in der Wüste ein Moment, wo er überlegte, es mit der Macht zu versuchen und dann zur Erkenntnis kam, das ist es auch nicht. Man sieht sich in der Pandemie mehr auf sich zurückgeworfen und muss aufpassen, nicht in Lethargie zu versinken. Im Volkstheater haben wir geprobt, durften aber nicht aufführen. Unsere Zuschauer, denke ich, werden langsam hungrig. Im Sommer gab es zumindest ein, wenn auch viel zu kurzes, Fastenbrechen.
KNA: Und wie sah dieses musikalisch aus?
Zwink: In Oberammergau haben wir das an Silvester gemacht. Beim traditionellen Sternrundgang, der nichts mit den Sternsingern zu tun hat, sind sonst gut 1.000 Erwachsene und Kinder dabei. Dieses Mal haben wir die Lieder aufgenommen und um 19 Uhr vom Kirchturm aus das Dorf damit beschallt wie in einem mexikanischen Städtchen, um die Leute ins neue Jahr zu begleiten.
KNA: Fasten ist nicht Selbstzweck, sondern soll dazu dienen, dass der Mensch hellhörig wird für den Anruf Gottes. Werden sich die Erfahrungen aus der Pandemiezeit im Passionsspiel niederschlagen?
Stückl: Als die Pandemie losging, haben alle gesagt, hinterher werden wir bessere Menschen sein. Das war ein Wunschtraum. Wenn jetzt über zu wenig Impfstoff geschimpft wird, sage ich, in vielen Ländern gibt es noch gar keinen. Was die Passion betrifft, werden wir beim Proben bei manchen Szenen bestimmt einen neuen Blick darauf haben. Den Text habe ich - ehrlich - seit dem Abbruch nicht mehr gelesen.
KNA: Wie sieht es bei der Musik aus?
Zwink: Manche Instrumentalstimme habe ich mir in Ruhe noch einmal angeschaut. Es war nicht schlecht, alles sacken zu lassen. Wir werden noch lang genug damit beschäftigt sein.
KNA: Der Kirchenlehrer Basilius der Große sagt, den gottgefälligen Faster zeichnet die Fröhlichkeit aus. Ist Ihnen noch zum Lachen zumute?
Stückl: Man kreist schon viel um sich und seinen eigenen Laden. Das sehe ich auch bei Freunden. Aber zu klagen habe ich nicht. Ich fühle mich auch nicht eingeschränkt. Ich kann immer noch sagen, was ich will. Zu viele Leute darf man halt nicht treffen. Beim Proben habe ich gemerkt, dass es mir schwer fällt, zu den Schauspielern nicht näher hin zu dürfen. Über einen guten Witz kann ich nach wie vor lachen.
Zwink: Geht mir auch so. Vielleicht ist man am Land anders. Da hat man mehr freie Sicht und die Möglichkeit gleich in die Natur rauszugehen. Das ist etwas, was ich gerne mache und genieße.
KNA: Herr Stückl, Sie haben sich im Frühjahr ein Kochbuch zugelegt. Nun sind die Gasthäuser wieder geschlossen. Wie steht es um Ihre Kochkünste?
Stückl: Ach, man wird besser. Ich verabrede mich regelmäßig mit einem Freund. Wir kochen abwechselnd bei ihm oder mir. Es wird schon.
KNA: Können Sie ein Gericht besonders gut?
Stückl: Mein Vater und mein Großvater waren Koch. Ich sollte auch einer werden. Von Jugend an habe ich mich geweigert. Lasagne machen kann ich gut, das geht am leichtesten und schnellsten.
Zwink: Das stimmt. Zu Hochfesten gibt es bei ihm meistens Lasagne. Die ist wirklich gut und die kann er in allen Größen.
Stückl: Ansonsten geht mir das Gesellige ab und dass ich nicht reisen darf, wenn ich schon frei habe. Nach Indien würde ich wahnsinnig gern.
Zwink: Nach Indien muss ich nicht. Aber wieder in Modena am Domplatz sitzen und einen Espresso trinken, wäre schon schön.
Das Interview führte Barbara Just.