DOMRADIO.DE: Die Corona-Krise hat sich schon jetzt stark auf die Arbeitslosen ausgewirkt. Fördermaßnahmen für Hartz-IV-Empfänger sind in der Krise erheblich eingeschränkt oder ausgesetzt worden. Der neueste Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW beleuchtet die "Arbeitsmarktpolitik in der Corona-Krise“. Was bedeuten die Einschränkungen für die Betroffenen?
Andrea Raab (im Diözesan-Caritasverband Erzbistum Köln zuständig für Arbeitsmarktpolitik): Das war für viele Betroffene zunächst ein großer Schock. Viele Maßnahmen wurden während des Lockdowns eingeschränkt oder ganz heruntergefahren. Das geschah zum Teil aus gesundheitlichen und hygienischen Gründen. So ähnlich, wie normale Kaufhäuser schließen mussten, mussten auch Sozialkaufhäuser schließen, Radstationen, Schulküchen und vieles mehr. Für die Menschen, die dort gerade mit großer Mühe wieder ein Stück Tagesstruktur gefunden hatten, wie Ansprache, Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, ein Rauskommen aus dem Alltag, war das auf einmal vorbei und das war und ist schlimm.
DOMRADIO.DE: Was fordern Sie als Caritas speziell, was die Jobcenter betrifft?
Raab: Wir sind im Moment verwundert und auch ein bisschen unzufrieden. Der Lockdown ist nun seit Mai vorbei und tatsächlich wäre es möglich, auch die arbeitspolitischen Angebote genauso wieder anlaufen zu lassen, wie viele andere Angebote. Das passiert aber nicht. Die Zuweisungszahlen in unsere Maßnahmen sind im April natürlich aufgrund des Lockdowns gesunken. Aber sie sind seitdem nicht wieder gestiegen. Ganz im Gegenteil, sie sind im August weiter gesunken.
Ich wünsche mir zwei Dinge. Einerseits, dass die Jobcenter mutig unter Beachtung des nötigen Gesundheitsschutzes, auf kreative Formen setzen, unsere Menschen ansprechen, wieder in die Beratung von Angesicht zu Angesicht zurückkommen. Außerdem hoffe ich, dass hinter diesem nicht Wiederbesetzen von Maßnahmenplätzen keine falsche Sparpolitik steht. Denn das wäre gerade für die ganz Ausgegrenzten am falschen Ende gespart.
DOMRADIO.DE: Tatsächlich sind die Arbeitslosenzahlen in der Krise gar nicht so sehr angestiegen. Aber gerade Geringverdiener hatten natürlich massive Einkommensverluste, zum Beispiel durch Kurzarbeit. Da ist ja eigentlich ganz klar, dass die Existenzängste groß werden, oder?
Raab: Die Menschen sind verunsichert, auch wenn Deutschland im europäischen Vergleich sicher gut durch die Krise gekommen ist, dank der Kurzarbeit. Kurzarbeit bedeutet: Man lebt je nach Person von etwa 60 Prozent bis 70 Prozent seines letzten Netto-Einkommens. Und das ist gerade bei gering verdienenden Menschen sehr, sehr wenig. Da ist nicht klar, wie Perspektiven aussehen und wie es weitergeht. Auch für diese Menschen ist die Caritas da. Wir sehen die große Sorge um den Arbeitsplatz und wünschen uns, dass auch diese Menschen nicht vergessen werden, die Gesichter hinter den, oberflächlich betrachtet, schönen Zahlen.
DOMRADIO.DE: Die Caritas sagt auch, dass unsere Gesellschaft ein großes Solidaritäts-Potenzial hat. Wie zeigt sich das?
Raab: Während des Lockdowns haben wir das gemerkt. Da waren Menschen plötzlich füreinander da. Es entstand Nachbarschaftshilfe. Manche unserer sozialen Betriebe - eine einfache Näherei in einem Sozialkaufhaus - waren plötzlich systemrelevant, weil Langzeitarbeitslose dort, als es nichts mehr gab, aus gespendeten Stoffen die ersten Mund-Nasen-Schutzmasken genäht haben. Das war eine ganz wichtige Zeit und das hat die Menschen stolz und froh gemacht, dass sie da mitwirken und zum Überwinden der Krise beitragen durften. Ich wünsche mir, dass diese Menschen jetzt nicht vergessen werden.
Das Interview führte Hilde Regeniter.