Sie gelten als die "Waisen der Medizin", wenig erforscht, schwer zu diagnostizieren und - wenn überhaupt - aufwendig zu therapieren. Die Rede ist von den Seltenen Erkrankungen, einer Gruppe von weltweit über 6.000 unterschiedlichen gesundheitlichen Einschränkungen. Eine solche zählt nach offizieller Definition dann als selten, wenn nicht mehr als fünf unter 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.
Wegen der großen Zahl der verschiedenen Erkrankungen gegenüber der kleinen Zahl der Betroffenen warnen Mediziner und Fachverbände schon länger vor einer Marginalisierung dieser Krankheitsfälle. Seit 2008 wird deshalb am letzten Februartag der Internationale Tag der Seltenen Erkrankungen begangen, um dem Thema mehr Öffentlichkeit zu geben.
Vier Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen
Auch dadurch habe es in den vergangenen Jahren verstärkt Maßnahmen gegeben, um die Situation der Patienten zu verbessern, erklärte die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Schmidtke (CDU), am Donnerstag bei einem vom "Tagesspiegel" organisierten Fachforum zum Thema "Zukunftsperspektiven für Seltene Erkrankungen". In Deutschland leben demnach etwa vier Millionen Menschen, die unter einer Seltenen Krankheit leiden, was zusammengenommen durchaus einer größeren Zahl entspreche, so Schmidtke.
"Eine national und international gut vernetzte Forschung ist essenziell, wenn die Versorgungssituation von Patienten verbessert werden soll", betonte die Patientenbeauftragte. Aussagekräftige Studien mit großen Fallzahlen seien aber bei Seltenen Erkrankungen kaum durchführbar, die wenigen Experten zudem global verstreut.
Deswegen stelle die Bundesregierung unter anderem bis 2022 bis zu 33 Milliarden Euro für elf nationale Verbundprojekte zur Verfügung. Einen wichtigen Beitrag leiste daneben die Selbsthilfe der Patienten, indem sie die Öffentlichkeit sensibilisiert und die Betroffenen unterstützt.
Seltene Erkrankungen "mehr als Chance denn als Risiko sehen"
Davon kann beispielsweise Axel Lankenau berichten. Seine Söhne Jonas (15) und Felix (14) leiden an der seltenen Pontozerebellären Hypoplasie (PCH), einer durch einen Gendefekt hervorgerufenen Fehlbildung des Kleinhirns. PCH äußere sich in einer schweren Hirnschädigung; die Kinder könnten weder alleine schlucken noch greifen oder sitzen und litten unter Atemproblemen sowie Epilepsie.
Seine persönlichen Erfahrungen animierten den Familienvater, sich im Verein PCH-Familie zu engagieren. Gemeinsam sei es so gelungen, den Kindern eine große Teilhabe am Leben zu ermöglichen. "Gerade die Elternarbeit bei den Seltenen Erkrankungen ist sehr wertvoll und bringt vielen Familien Unterstützung." Durch den Erfahrungsaustausch bestehe für viele betroffene Familien inzwischen mehr Klarheit, um mit der Situation umzugehen. "Wir müssen die Seltenen Erkrankungen viel mehr als Chance denn als Risiko sehen."
Austausch zwischen Forschungszentren und Patienten
Den Austausch sehen auch die Experten auf dem Fachforum als zentralen Punkt zur Weiterentwicklung der Forschung für Seltene Erkrankungen. Das gelte insbesondere für die verschiedenen Zentren, die international an der Erforschung der zahlreichen Krankheiten arbeiten. "Seltene Erkrankungen sind eine besondere Herausforderung, die nur durch Zusammenwirkung aller relevanten Akteure begangen werden kann", betonte der Vorsitzender des Direktorium des Berlin Institute of Health (BIH), Christopher Baum.
Dabei könne die durch die Corona-Pandemie angekurbelte Digitalisierung im Gesundheitswesen eine tragende Rolle spielen. Sie ermögliche einen zielgerichteten Austausch zwischen Forschungszentren und Patienten, erklärte die stellvertretende Geschäftsführerin der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (Achse), Christine Mundlos.
Auch der Datenschutz ist zu beachten
Dadurch könnte die Forschung auf der einen Seite von mehr Datenmaterial profitieren, während auf der anderen Seite die Patienten aktiver in die Ausgestaltung von Forschung und Therapien eingebunden würden.
Gleichzeitig müsse jedoch die Datensicherheit bedacht werden, betonte Mundlos. "Gerade Patienten mit seltenen Krankheiten sind daran interessiert, ihre Daten auch an private Forschung weiterzugeben, solange sie informiert sind, was damit passiert, ob Daten verantwortungsvoll behandelt werden und nicht zu ihnen zurückverfolgbar sind."