KNA: Herr Bischof Fürst, wo informieren Sie sich häufiger - bei Tagesschau oder Twitter?
Bischof Gebhard Fürst (Vorsitzender der Publizistischen Kommission in der Deutschen Bischofskonferenz und Bischof von Rottenburg-Stuttgart): Auch wenn ich die zunehmende Relevanz von Twitter kenne und schätze, so bevorzuge ich neben der Tagespresse die Nachrichtenformate der öffentlich-rechtlichen Sender. Ich schätze nach wie vor ausführliche Berichte und Kommentare. Für eine funktionierende Demokratie sind unabhängige, kritische Medien als Korrektiv für die Regierenden elementar wichtig.
KNA: Im Netz bieten neue Medien Chancen für offenen und basisdemokratischen Austausch - was aber ist mit den Kehrseiten: Verschwörungstheorien auf Telegram, antisemitische Corona-Leugner mit reichweitenstarken Blogs und Desinformationskampagnen zur Bundestagswahl?
Fürst: Die Sozialen Medien haben ein großes Potenzial, da sie die Beteiligung vieler ermöglichen. Auch Parteien nutzen die Sozialen Medien für den Wahlkampf, der angesichts der Corona-Beschränkungen ansonsten nur sehr eingeschränkt möglich ist. Allerdings ist es fundamental, dass die Nutzerinnen und Nutzer kritisch prüfen, aus welchen Quellen Informationen stammen, um diese richtig einordnen und bewerten zu können.
KNA: Wie bewerten Sie das Nachdenken über Medien in den Schulen? Wäre das auch ein stärkeres Thema für den Religionsunterricht?
Fürst: Alle Fächer sollen dazu beitragen, die Medienkompetenz der Schüler und Schülerinnen zu stärken. Medienkompetenz leistet angesichts der Fülle und Geschwindigkeit medialer Informations- und Kommunikationsprozesse einen wichtigen Beitrag zur Mündigkeit der jungen Menschen.
Auch der Religionsunterricht wird dieser Verantwortung in hohem Maße gerecht. Medienbildung geschieht in vielfältigen Anknüpfungen an und in Vernetzung mit anderen Themen des Religionsunterrichts. Und mit der Clearingstelle Medienkompetenz, die an der Katholischen Hochschule in Mainz angesiedelt ist, qualifiziert und unterstützt die Bischofskonferenz kirchliche Institutionen, Bildungseinrichtungen, Lehrerinnen und Lehrer in der Vermittlung von Medienkompetenz.
KNA: Zuletzt gab es immer wieder harsche Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen - bis hin zu Forderungen nach Abschaffung des Rundfunkbeitrags. Wie stehen Sie zu solchen Positionen?
Fürst: Ich bin davon überzeugt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen bedeutenden Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft leistet. Das hat das stark gestiegene Interesse von Zuschauern und Nutzern während der Pandemie nochmals aufgezeigt. Sein qualitätsvolles und inhaltlich sehr breites Programm, in dem sich auch die Meinungsvielfalt in Deutschland widerspiegelt, ist in Zeiten der Verunsicherung von besonderer Bedeutung.
Deshalb sollten die Rahmenbedingungen stimmen, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk leistungsfähig und für möglichst viele Menschen attraktiv bleibt. Wer die Hand an die unabhängigen Medien legt, hat ein Problem mit der Demokratie als solcher.
KNA: Was zeichnet Ihrer Ansicht nach Qualitätsjournalismus aus - und gibt es dafür überhaupt noch einen Markt?
Fürst: Die Art der Medienangebote und die Ausspielwege ändern sich rasant, journalistische Grundregeln sollten jedoch nicht leichtsinnig angetastet werden. Angebote mit gutem Recherche-Hintergrund und verlässlichen Informationen werden auch in Zukunft von den Mediennutzern nachgefragt sein, weil sie einen Mehrwert und eine echte Orientierung bieten. Ich bin dankbar, dass die katholische Journalistenschule ifp junge Menschen seit vielen Jahren sorgfältig ausbildet und so auch einen Beitrag zum Qualitätsjournalismus leistet.
KNA: Die Coronakrise hat die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen beschleunigt: bei Bildung, am Arbeitsplatz, in den Kirchen. Eine begleitende Reflexion der Folgen des digitalen Wandels gibt es aber kaum. Wie sehen Sie diesen Siegeszug der Digitalisierung?
Fürst: Der digitale Wandel bringt uns tatsächlich viele Erleichterungen und Chancen - auch für die kirchliche Medienarbeit. Ich denke zum Beispiel daran, wie wir trotz Lockdown in der Pandemie über die digitalen Medien weiterhin Gemeinschaft erleben konnten. Sorgen machen mir aber auch Entwicklungen von Fake News und Filterblasen. Kritisch sehe ich zudem den manchmal vermittelten Eindruck, dass das zwischenmenschliche Leben nur dann existiert, wenn es online auffindbar ist. Auch die Digitalisierung muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt.
KNA: Sie geben nun die Leitung der Publizistischen Kommission der Bischofskonferenz nach 15 Jahren ab. Was waren ihre wichtigsten Erfolge?
Fürst: Für mich war die Bildung und Formung des Katholischen Medienhauses ein wesentlicher Erfolg. In Bonn sind nun Marken wie katholisch.de und die Katholische Nachrichten-Agentur KNA zukunftsfähig miteinander verbunden. Das sind wichtige Schritte für content-orientiertes, crossmediales Arbeiten in der digitalen Medienwelt. Hier werden qualitativ hochwertige religiöse, kirchliche und gesellschaftlich relevante Inhalte produziert.
In der Publizistischen Kommission geht es aber auch um Themen wie Film, Rundfunk, Büchereien oder Medienkompetenz. Wichtig ist mir, dass Chancen identifiziert und Veränderungen innerhalb und außerhalb der Kirche angestoßen werden. Die Basis bilden dafür intensive Beratungen, die etwa in Publikationen wie zur Medienbildung und digitalen Teilhabegerechtigkeit Ausdruck gefunden haben.
KNA: Wen wünschen Sie sich als Nachfolger, und welche Baustellen sollte er anpacken?
Fürst: Die Vollversammlung der Bischöfe wird in dieser Woche in Fulda über einen neuen Kommissionsvorsitzenden entscheiden. Die hohe Bedeutung der Medien für die Kirche ist allen klar. Mir ist ein Anliegen, dass wir mit unseren Themen in den säkularen Medien präsent sind. Auch für Menschen, die mit der Kirche weniger verbunden sind, haben wir interessante Themen und Perspektiven.
KNA: Kirche steht vielerorts in Struktur- und Spardebatten - wie wird sich in diesem Zusammenhang das mediale Engagement von katholischer Kirche in Deutschland entwickeln?
Fürst: Wir leben in einer Mediengesellschaft und die Kirche ist eine Kommunikationsgemeinschaft. Aus meiner Sicht ist eine gut ausgestattete Medienarbeit daher essentiell. Menschen erwarten, dass die Kirche sie dort anspricht, wo sie selbst in ihrem Alltag kommunizieren. Die Weiterentwicklung der digitalen Angebote der Kirche wird derzeit an vielen Orten der Kirche engagiert vorangetrieben, was mittelfristig auch das Gesicht der kirchlichen Medienarbeit verändern wird. Sie muss dort sein, wo die Menschen sind. Das bedeutet heute eben auch Twitter, Facebook, Instagram und Co.
KNA: Und wie sehen Sie dabei die Zukunft der katholischen Bistumszeitungen?
Fürst: Der Zeitungsmarkt ist aktuell nicht einfach, auch nicht für die Bistumspresse. Die Anzahl der Abonnenten ist insgesamt rückläufig, allerdings werden über die Zeitungen zuverlässig Kirchenverbundene erreicht, und diese schätzen ihre Bistumszeitungen. Diese schaffen Identität und ermöglichen Teilhabe am Glaubensleben in den Bistümern. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Kirche verschiedene Kommunikationskanäle nutzen müssen, also auch regelmäßige Printangebote. Diese werden sich zukünftig weiter verändern und sind dabei verstärkt auch crossmedial zu denken.
Das Interview führte Volker Hasenauer.