Himmelklar: Als ich zum ersten Mal durch ihren Instagram-Account gescrollt habe, dachte ich: Diese Frau hat ein Händchen für die passende Farbauswahl beim Lippenstift! Klingt nach einer sehr oberflächlichen Beobachtung, ist aber ja auch ein Statement.
Hat Lippenstift für Sie irgendeine höhere Bewandtnis?
Theresa Brückner (Pfarrerin für "Kirche im digitalen Raum" im Berliner Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg und Autorin des Buchs "Loslassen, durchatmen, ausprobieren: Die Zukunft der Kirche beginnt nicht nur im Kopf"): Ja, das war schon ein langer Weg. Ich bin ein großer Fan von Make-up und ich liebe es, Lippenstift zu tragen. Es war aber so, dass mir gerade mit Beginn des Vikariats ein Bild vermittelt wurde, dass man das als Pfarrerin nicht zu tragen hat. Oder es hieß, dass die Leute einen dann für weniger kompetent halten und dass man darauf achten sollte, dass man sich da in einer gewissen Form anpasst: Dem klassischen kirchlichen Bild ohne Make-up, ohne Glitzer, ohne viel Farbe.
Ich habe mich da erst mal hineinbegeben, weil gerade in dieser Vikariatszeit, also der praktischen Ausbildungszeit zur Pfarrerin, will man erst mal gucken, wie das funktioniert. Ich habe dann aber, als ich Pfarrerin war, zwei Jahre später gemerkt, dass ich mich dadurch so verändert habe und dass es nicht so zu mir so passt. Ich habe einen Lippenstift gekauft, der praktisch so aussah, als wäre er nicht vorhanden. Das war irgendwie nicht so meins.
Dann habe ich mich wiedergefunden und merke, dass es ja ganz viel mit Authentizität zu tun hat. Wenn ich mich mit Lippenstift wohlfühle und wenn ich den auch trage, dann spiegele ich das ja auch wider. Das hat für mich eine Form von Ästhetik, die ich an mir mag. Deshalb trage ich den total gerne. Das ist letztendlich ein Punkt, an dem ich gesagt habe: Es braucht mehr Mut, dass Menschen sich trauen, bunt und so wie sie sind, in der Kirche aufzutreten. Das war für mich ein Weg, da erst mal hinzufinden.
Himmelklar: Wenn man hört womit Sie sich teilweise rumschlagen müssen, könnte man verstehen, wenn Sie sich als Frau zurückgenommen hätten. Ihnen ist Sexismus begegnet. In Kommentaren wie: "Kommen Sie doch öfter mal ins Altenheim zum Gottesdienst, die Männer freuen sich dann immer so."
Brückner: Sexismus ist ja ein Teil dieses patriarchalen Systems. Auch die Kirche ist patriarchal strukturiert. Das heißt, dass das, was weiblich gelesen wird, oder das, was in irgendeiner Form klassisch nach Frau aussieht, immer als weniger kompetent und defizitär betrachtet wird. Das ist etwas, was einem ziemlich schnell sowohl in der Gesellschaft mitgegeben wurde – mir zumindest als Jugendliche – und dann auch in der Kirche.
Ab einem gewissen Punkt gibt es da eine Möglichkeit, sich zu entscheiden. Entweder entscheidet man sich, in diesem patriarchalen System mitzumachen und das als Frau mitzugestalten und sich da anzupassen. Oder man entscheidet sich und sagt: Ich möchte aber trotzdem zeigen, dass es auch anders geht und dass weiblich gelesen nicht automatisch bedeutet, man ist weniger kompetent.
Das ist natürlich ein Weg, der schwieriger ist, weil es automatisch bedeutet, man kommt immer an Grenzen und in Konflikt. Man ist letztendlich immer die Person, wo es darum geht: Ach, jetzt kommt sie schon wieder mit diesem Thema und mit dem Nerven. Das bringt immer automatisch mit sich, dass man dann klassisch auch als die Person wahrgenommen wird, die anstrengender ist, weil man sich nicht an die klassischen Rollen oder die klassischen Systeme hält.
Himmelklar: Hat sich das denn verändert in den letzten Jahren?
Brückner: Ja und da bin ich sehr froh und dankbar für. Allerdings ist es noch nicht so, dass ich sage: Wir sind schon fertig. Ich glaube, dass wir an dem Punkt noch lange nicht fertig sind. Denn es gibt die klassischen Gespräche dazu, wie man sich als Frau zu verhalten hat im Pfarramt oder was man zu tragen hat zum Talar oder unter dem Talar.
Natürlich bin ich mir dessen bewusst, dass wenn ich als Pfarrerin einen Gottesdienst halte und den Talar dazu trage, dass es darum geht, dass dieser Gottesdienst gefeiert werden soll. Allerdings betrifft die liturgische Kleidung dann eben oftmals auch Lippenstift, Schmuck oder Nagellack. Wenn ich einen Hochzeitsgottesdienst mitgestalte, dann trage ich eben High Heels unter dem Talar, um dem Ganzen auch diesen feierlichen Anlass mitzugeben.
Das ist etwas, was sich schon entwickelt, wo es aber noch immer unfassbar viele Diskussionen gibt. Manchmal ist es schon traurig zu sehen, weil ich denke, wir haben eigentlich ganz andere Themen. Letztendlich zeigt es aber die klassische Struktur, dass man versucht, etwas Altes zu bewahren und davon ausgeht, wenn man dieses Alte nur bewahrt und dahingehend zurückkommt, dann würde auch alles wieder "so schön" wie früher, obwohl es ja früher kein "so schön" gab.
Himmelklar: Kritisch wird häufig auch die Digitalität in Kirche gesehen. Als @theresaliebt haben Sie auf der Plattform Instagram über 20.000 Follower. Sie tragen mit einer großen Selbstverständlichkeit viel nach außen. Fällt Ihnen das leicht?
Brückner: Es hat sich entwickelt. Ich habe das schon vor dem Vikariat gemacht. Ich wusste, das, was im Internet ist, das ist öffentlich. Ich wusste auch, von da an, wo ich ins Vikariat starte und in diese praktische Ausbildungsphase zur Pfarrerin gehe, bin ich immer auch verknüpft mit der Kirche. Das bringt natürlich mit sich, dass die Themen, die ich gestalte und über die ich spreche, immer auch auf die Kirche zurückzuführen sind.
Als ich dann offiziell als Pfarrerin mit diesem Schwerpunkt angefangen habe und dann wirklich Pfarrerin für "Kirche im digitalen Raum" im Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg war, hat das natürlich zum Teil einiges an Konflikten mit sich gebracht.
Da haben Menschen gesagt, das sollte so nicht zusammenkommen und das sei ihnen zu oberflächlich. Gleichzeitig galt es aber, meine Kompetenz wahrzunehmen und zu wissen, dass es ja bewusst eine Entscheidung ist, weil es zusammengehört und weil Leben als Christ:in eben genauso ist – bunt und vielfältig.
Ich werde nicht den ganzen Tag nur beten, sondern ich beschäftige mich auch mit Mode, mit Popkultur und mit Mama sein. Das sind alles Themen, die Teil meines Alltags sind. Und zwar nicht nur als Pfarrerin, sondern auch als Christin.
Ich bin froh, dass es Supervisionen gibt, wo man wirklich wie in einem Coaching Dinge verarbeitet oder reflektiert und guckt: Wie geht man mit dieser Situation beruflich weiter um und was kann man da verändern? Was kann man verbessern? Gerade als ich als Pfarrerin angefangen habe, war das total hilfreich, weil ich damit einfach viel reflektieren konnte. Wenn Angriffe kamen, habe ich ganz schnell verstanden, dass ich da oftmals als Projektionsfläche gelte für Menschen, die grundsätzlich ein Problem damit haben, dass sich Kirche gerade so verändert oder dass sie auch Angst haben vor dem Thema Digitalisierung oder Digitalität.
Himmelklar: Digitalpfarrerin ist die ganz offizielle Jobbezeichnung. Das bedeutet, ihre Arbeitszeit spielt sich zur Hälfte im Netz und zur anderen Hälfte am Altar ab?
Brückner: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal sitze ich einen ganzen Tag in Sitzungen und manchmal sitze ich den ganzen Tag und bearbeite Fotos oder Reels (Videos) und bereite Posts (für die Sozialen Medien) vor. Das ist völlig unterschiedlich. Manchmal gestalte ich ganz klassisch Beerdigungen. Dann bin ich aber auch auf Veranstaltungen, die rein mit Digitalisierung zu tun haben.
Himmelklar: Wie sieht die Kirche der Zukunft in Ihrer Vorstellung denn aus?
Brückner: Auf jeden Fall kleiner, beweglicher, paritätisch besetzt in Leitungsgremien – mindestens. Das ist etwas, was mir zurzeit noch sehr fehlt. Sie ist sich bewusst darüber, dass Hierarchie und Macht auch Hierarchie und Macht sind. Das nicht kleinzureden. In diesem Punkt ist sie ein guter Ort, wo Menschen ankommen können, hinkommen können und das Gefühl haben, sie können wirklich sein und im Glauben leben und sich entwickeln. Und in den Punkten, die in ihrem Leben schwer sind, nicht zerbrechen, sondern mit Gott weitergehen.
Himmelklar: Um diese Zukunftsfrage der Kirche nicht naiv anzugehen, muss aber ja auch klar sein: Von manchem muss man sich verabschieden.
Brückner: Ja, und zwar von ganz vielem. Ich bin da ganz froh, dass das für mich ein Prozess ist, der schon abgeschlossen ist. Ich weiß, dass es vielen in der Kirche gerade so geht, dass sie noch nicht in diesem Prozess sind oder das einfach so lange verdrängt haben, dass der Abschiedsprozess bei einigen jetzt erst losgeht. Was ich aber auch schwierig finde, weil es die Austrittszahlen ja seit vielen Jahren gibt. Das hat sich nicht signifikant hin und her geschaukelt, sondern es gibt seit vielen Jahren hohe Austrittszahlen.
Das ist was, wo ich manchmal so ein bisschen frustriert bin, dass es da jetzt nur noch ein Reagieren gibt und kein Agieren gab. Wenn Menschen sagen: "Ach, und jetzt ist aber dies und das so anders", wenn sie sich dann darüber aufregen und sagen, "wir müssen es doch aber so zurückkriegen", dann sage ich immer: Ja, aber sind wir doch mal realistisch. Gucken wir uns die Zahlen an: Wie ist das finanziell möglich? Ist das überhaupt realistisch? Es ist nicht machbar.
Dann können wir uns darüber sehr ärgern. Ich verstehe den Schmerz, aber wir können nichts daran ändern. Das heißt, wir müssen die Situation jetzt so annehmen, wie sie ist, und müssen das gestalten. Und nicht in der Trauer und dem Schmerz verbleiben und uns darüber ärgern, weil das so unfassbar lähmt. Ich habe im Buch geschrieben, ich verstehe mich nicht als Verwalterin des Unterganges, sondern als eine Person, die mitgestaltet, was da kommt. Ich möchte nicht permanent nur diesem Untergang entgegengehen, weil ich glaube, es ist einfach ein Veränderungsprozess, den sich so vor vielen Jahren niemand gewünscht hat, der jetzt aber da ist. Den müssen wir annehmen und das verändern.
Das Interview führte Verena Tröster.