Pfarrer Alter blickt weit über das "Wort zum Sonntag" hinaus

"Dinge aufgreifen, die Menschen bewegen"

Nach 100 Folgen "Wort zum Sonntag" gehört Pfarrer Gereon Alter zu den Gesichtern der deutschen Kirche. Was sich die Kirche von diesem Format abgucken kann und wie das Pandemieleben in der Pfarrei aussieht, erzählt er im Interview.

Pfarrer Gereon Alter / © Nicole Cronauge (Bistum Essen)
Pfarrer Gereon Alter / © Nicole Cronauge ( Bistum Essen )

Himmelklar: 12 Jahre lang und genau 100 Folgen waren Sie Sprecher vom “Wort zum Sonntag”. Ein Format mit langer Tradition, das am Samstagabend ziemlich aus dem üblichen Fernsehrahmen fällt. Früher gabs mitunter großes Stirnrunzeln und auch viele Parodien. Ist das auch ihr Bild vorher gewesen: Oh Gott, worauf lasse ich mich da jetzt ein?

Gereon Alter (Pfarrer in Essen und langjähriger "Wort zum Sonntag"-Sprecher): Ja, ganz genau. Ich hätte es nie gedacht, dass mir eine Sendung mal so ans Herz wächst -  das ist sie mittlerweile – von der ich anfangs gedacht habe: Um Gottes Willen, willst du dein Gesicht dafür hergeben?

Auch ich hatte die ganzen Karikaturen und Parodien vor Augen – angefangen bei Otto bis hin in die moderne Zeit. Tatsächlich hat die kleine Sendung auch bis heute noch ein solches Image. Die Standard-Zuschauerreaktion beginnt mit den Worten: Das schaue ich mir ja eigentlich nicht an, aber ...

Und dieses "aber" habe ich im Laufe der Zeit entdeckt. Es stecken doch große Chancen drin. Gerade in der Pandemie haben wir das gesehen. Die Quoten sind in den letzten eineinhalb Jahren noch einmal richtig hochgegangen. Da haben Menschen offensichtlich etwas auch gesucht, was wir da angeboten haben.

Und es hat sich ja, wenn man wirklich mal reinschaut, auch einiges geändert. Wir sind viel aktueller geworden und reagieren auf das, was tagesaktuell Menschen bewegt und was in den Medien ist. Das alles war in den 50er-/60er-Jahren nicht so. Von daher tragen auch manche noch Bilder aus vergangenen Zeiten in sich, die, wenn sie einmal dabei wären, auch schnell korrigiert wären.

Himmelklar: Wie kriegt man das hin, nicht in diese alten Muster, auch diese typische Kirchenspreche hineinzufallen?

Alter: Das war für mich persönlich auch eine der ersten Herausforderungen, so zu sprechen, dass es jeder versteht – auch und gerade der, der nicht kirchlich sozialisiert ist.

Denn das ist in der Tat – so wie jeder Beruf auch seine blinden Flecken und Gefahren hat – eine Gefahr für uns, die wir in der Kirche unterwegs sind, dass wir uns einen Jargon angewöhnen und binnenkirchliche theologische Begrifflichkeiten gebrauchen, die Menschen einfach nicht verstehen und wo sie nicht wissen: Was meint er damit?

Also alltagssprachlich sprechen ist eine große Herausforderung. Dann auch wirklich die Dinge aufzugreifen, die Menschen heute bewegen – und nicht Antworten zu geben auf Fragen, die keiner stellt. Also das ist ein Lernprozess, muss ich für mich selbst auch sagen.

Aber immer dann, wenn es gelungen ist, kam dann auch genau dieses Feedback von den Zuschauern: So können wir was mit Kirche und mit kirchlicher Botschaft anfangen, oder: Das hat eine Relevanz für mich. Das ist etwas, was ich auch für meine berufliche Praxis darüber hinaus gelernt habe.

Himmelklar: Machen Sie das mal konkret: Was sind die Sachen, die man sagen muss? Was sind die Fragen, über die sich die Leute freuen, wenn die tatsächlich zur Sprache gebracht werden?

Alter: Viele Zuschauer sehnen sich, glaube ich, nach einem Ort, wo sie einfach wahrgenommen werden mit dem, was sie gerade bewegt. Es gibt auch viele Zuschauerreaktionen, die sehr ins Private gehen.

Wenn ich den Zuschauern diesen Ort gebe – das Gros der Arbeit ist nicht die Sendung selbst, sondern das ist der Kontakt mit den Zuschauern im Anschluss –, dann passiert etwas, was wir kirchlich "Gnade" nennen. Also dass jemand berührt wird, dass jemand das Gefühl hat "hier darf ich sein", "hier sieht mich jemand" bis hin zu "ich werde geliebt", all solche Erfahrungen bezeichnen wir theologisch als Gnade.

Würde ich so davon sprechen, würde jemand sagen: Was meint er? Aus welcher Welt kommt der? Aber wenn ich es erfahrbar mache im Kontakt mit Zuschauern, dann merke ich ist da ein ganz großes Interesse und auch eine Sehnsucht danach.

Ich mache es an einem ganz konkreten Beispiel vielleicht fest. Mich hat ein Senior aus Berlin angerufen nach einer Sendung und hat gefragt, ich musste erst schmunzeln, "haben Sie nicht eine liebe Frau für mich?" Dann habe ich zurückgefragt, wie er das denn meine. Er sei ziemlich einsam und er hat überhaupt keine Kontakte und insbesondere eine Lebensgefährtin – das wäre etwas, was ihm fehlt. Ob ich ihm dabei nicht helfen kann?

Also ganz interessant: Der Mann auf der Mattscheibe wird wahrgenommen als ein Seelsorger, der ihm möglicherweise helfen kann. Und das habe ich tatsächlich tun können. Ich habe nämlich den Kontakt zum Ortspfarrer hergestellt. Er hat ihn in einen Seniorenkreis eingeladen.

Ich kenne das Ende der Geschichte nicht. Ich weiß nicht, ob er seine Herzensdame gefunden hat. Aber das ist mal so ein konkretes Beispiel, wo Menschen sich an den Mann im Fernsehen wenden und ich etwas für sie tun kann.

Himmelklar: Dieses Persönliche, dieses Identifizierbare, ich glaube Authentische könnte man in gewissem Sinne dazu auch sagen, ist das was, was es auch im größeren kirchlichen Kontext zu wenig gibt und mehr brauchen würde?

Alter: Das glaube ich schon. Die Sehnsucht ist groß danach und ich glaube, es wird zu wenig erfahrbar. Es ist aber auch eine Anstrengung, weil es dann eben darum geht, auf einen Einzelnen, auf eine besondere Situation zu reagieren und nicht etwas Allgemeingültiges darzustellen.

Es kostet viel Kraft, aber ich glaube, die Kraft sollten wir als Kirche investieren, um relevant zu bleiben.

Himmelklar: Weil die Leute nicht mehr auf uns als Institution zugehen, sondern einen Menschen brauchen, den sie angucken können?

Alter: Ja, genau. Das ist die große Chance dieses Formats. Das besteht ja aus nichts anderem als aus dem Gesicht eines Menschen. Da ist kein Kirchenraum zu sehen. Da rückt all das, was sonst das Image von Kirche auch ausmacht, in den Hintergrund.

Es ist ein einzelner Mensch, der idealerweise sehr persönlich auch von dem spricht, was ihm sein Glaube bedeutet und es anbietet für den, der sagt: Damit setze ich mich auseinander. Solche Orte braucht es, glaube ich, in der Kirche auch mehr.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


 

Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema