DOMRADIO.DE: Herr Dr. Hoyer, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Zunächst einmal: Was war das Ziel des digitalen Vernetzungsabends "Demokratie Raum geben"?
Dr. Marcel Hoyer (Geschäftsführer des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin): Vielen Dank für die Einladung. Unser Ziel war es, Engagierte aus Gemeinden und Vereinen zu vernetzen, die überlegen, wie sie vor der Bundestagswahl 2025 aktiv werden können.
Wir wollten ihnen Raum geben, sich auszutauschen, Ideen zu entwickeln und Unterstützung zu erhalten. Es ging darum, praktische Ansätze zu diskutieren, wie demokratisches Engagement gestärkt und Gesprächsräume geschaffen werden können – besonders in christlichen Kontexten.
DOMRADIO.DE: Haben Sie eine konkrete Resonanz aus der Veranstaltung mitnehmen können? Welche Themen standen besonders im Fokus?
Hoyer: Es gab sehr unterschiedliche Rückmeldungen. Einige Teilnehmende planen bereits Podiumsdiskussionen oder Workshops und haben sich durch die Veranstaltung noch einmal inspirieren lassen. Andere wollten vor allem zuhören und herausfinden, welche Möglichkeiten sich bieten.
Besonders im Fokus standen die Fragen, wie wir als Christen zur Demokratie beitragen können und wie wir ein Klima des sachlichen Austauschs schaffen können – fernab von populistischer Stimmungsmache.
DOMRADIO.DE: "Demokratie Raum geben" – ein Titel, der vieles impliziert. Was genau verstehen Sie darunter?
Hoyer: Wir verstehen darunter, dass Christen und christliche Gemeinschaften Räume schaffen, in denen ein ehrlicher, offener und respektvoller Austausch stattfinden kann. Es geht darum, in einem oft hitzigen gesellschaftlichen Klima Orte anzubieten, die einen christlichen Rahmen bieten – geprägt von Ruhe, Nachdenklichkeit und Offenheit.
Diese Gesprächsräume können in Gemeindesälen oder bei spezifischen Veranstaltungen entstehen und sollen dazu beitragen, dass Menschen sich informieren, diskutieren und eigenständig Meinungen bilden können.
DOMRADIO.DE: Welche Verantwortung haben Christen Ihrer Meinung nach in der heutigen politischen Landschaft?
Hoyer: Christen tragen, wie alle Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung, sich zu informieren und an der Demokratie aktiv teilzunehmen. Doch für uns als Christinnen und Christen geht es noch einen Schritt weiter: Wir haben ein Fundament aus christlichen Werten, auf dem wir unser Handeln aufbauen.
Dazu gehört, die Würde jedes Menschen zu achten und für Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe einzutreten. In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft ist es wichtig, sich auf diese Werte zu besinnen und sie mit Leben zu füllen.
DOMRADIO.DE: Das bringt mich zu einer schwierigen Frage: Wie schafft man eine Balance zwischen dem kirchlichen Auftrag zur Verkündigung und einer gewissen politischen Neutralität?
Hoyer: Das ist tatsächlich eine Gratwanderung. Neutralität ist in bestimmten Fragen sicherlich geboten, etwa wenn es um parteipolitische Themen geht. Doch in grundlegenden Fragen, wie den Menschenrechten, der Würde des Einzelnen oder der Aufnahme von Geflüchteten, gibt es keine Neutralität. Hier ist es unsere Aufgabe, klar Position zu beziehen und aus unseren christlichen Überzeugungen heraus zu handeln.
Gleichzeitig ist es wichtig, Gesprächsräume zu schaffen, in denen Menschen ihre eigene Meinung entwickeln können – ohne dass sie sich bevormundet fühlen.
DOMRADIO.DE: Inwiefern spielt die Polarisierung der Gesellschaft durch rechtspopulistische und andere extremistische Strömungen eine Rolle bei Ihrer Arbeit?
Hoyer: Das spielt eine sehr große Rolle. Gerade in den letzten Monaten haben wir erlebt, wie stark gesellschaftliche Spannungen durch populistische Aussagen verschärft werden. Hier müssen wir uns klar positionieren.
Die deutschen Bischöfe haben Anfang des Jahres eine deutliche Erklärung gegen völkischen Nationalismus abgegeben. Es ist wichtig, diese Positionen in die Gemeinden zu tragen und zu diskutieren, um klarzumachen, dass Diskriminierung, Hetze und Ausgrenzung keinen Platz in unserem christlichen Menschenbild haben.
DOMRADIO.DE: Welche Herausforderungen sehen Sie für die katholische Kirche im Vorfeld der Bundestagswahl?
Hoyer: Eine der größten Herausforderungen ist es, glaubwürdig zu bleiben. Das gelingt, indem wir als Kirche Räume schaffen, in denen unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen können.
Wir sind einer der wenigen Orte, an denen Menschen mit verschiedenen Hintergründen, Erfahrungen und Ansichten noch miteinander ins Gespräch kommen. Diese Rolle als Brückenbauer müssen wir weiter stärken. Nach außen hin geht es darum, grundlegende Leitlinien zu formulieren, die über den parteipolitischen Diskurs hinausgehen und Orientierung geben.
DOMRADIO.DE: Haben Sie in Ihrer Arbeit Themen, bei denen Sie sich mehr Engagement vonseiten der Politik wünschen würden?
Hoyer: Natürlich gibt es konkrete Themen, die uns besonders am Herzen liegen. Ein Beispiel ist der Religionsunterricht. In Berlin setzen wir uns für die Einführung eines Wahlpflichtfaches Religion ein, was bislang fehlt.
Aber auch Themen wie Wohnungsbau und Infrastruktur im ländlichen Raum sind wichtig, damit Menschen dort eine Perspektive finden.
Und natürlich bleibt der Klimaschutz eine zentrale Aufgabe, bei der wir uns als Kirche selbst in der Pflicht sehen, aber auch klare Erwartungen an die Politik haben.
DOMRADIO.DE: Herr Dr. Hoyer, vielen Dank für dieses Gespräch und Ihre Einblicke.
Das Interview führte Moritz Dege.