Ende 2023 gab das Bundesinnenministerium eine Vereinbarung bekannt, die beinahe historisch klang. Die Ditib, größter Islamverband hierzulande, und die türkische Religionsbehörde Diyanet willigten demnach ein, dass die Imame für die rund 860 Ditib-Moscheen künftig vollständig in Deutschland ausgebildet werden. Die Rede ist von 100 Imamen pro Jahr.
Dass die Ditib von der Diyanet und damit der türkischen Regierung gesteuert wird, sorgt seit langem für Kritik. Vor allem die Entsendung der Gemeindevorsteher durch Ankara gilt vielen als Hindernis für die Integration und Propagandainstrument von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
Bisher türkische Staatsbeamte bezahlt vom Ministerium
Als türkische Staatsbeamte bezahlt von ihrem Ministerium kommen die Imame bisher für vier bis fünf Jahre nach Deutschland, meist ohne Sprachkenntnisse oder tiefere Einblicke in die deutsche Lebenswelt muslimischer Migranten.
Dieser Zustand soll nun sukzessive enden. Unlängst teilte der Ditib-Bundesvorstand bei einem Pressegespräch in Köln mit, wie er das Abkommen mit der Bundesregierung umsetzen will. Demnach sollen ab 2025 jährlich 75 Absolventen der islamischen Theologie aus der Türkei kommen, um hier eine zweijährige deutschsprachige Ausbildung zum Religionsbeauftragten zu durchlaufen.
Teilnehmer sollen sich zu mindestens zehn Jahre "verpflichten"
Die Teilnehmer sollen sich "verpflichten", mindestens zehn Jahre in Ditib-Gemeinden tätig zu sein. Zusätzlich mit den Absolventen des 2020 gegründeten Ditib-Seminars in Dahlem bei Köln ergebe sich dann die vereinbarte Zahl von insgesamt 100 in Deutschland ausgebildeten Ditib-Imamen pro Jahr, hieß es bei der Pressekonferenz in der Kölner Verbandszentrale.
"Damit werden wir den Bedarfen der Musliminnen und Muslime in unseren Gemeinden gerecht", sagte Generalsekretär Eyüp Kalyon.
Im ersten Jahr ihrer Ausbildung sollen sich die 75 Imam-Anwärter aus der Türkei auf das Erlernen der deutschen Sprache (Level C1) und Integrationsthemen konzentrieren. Im zweiten Jahr gehe es dann um die Moscheearbeit und religiöse Dienstleistungen - etwa Heiratszeremonien, Beerdigungen, Seelsorge und das Freitagsgebet, wobei die frommen Freitagspredigten zentral von der Ditib vorgegeben werden.
Ditib trägt die Kosten der Ausbildung mitsamt der Lebenshaltung in Deutschland
Ditib trägt nach eigenen Angaben die Kosten der Ausbildung mitsamt der Lebenshaltung in Deutschland und schätzt sie auf insgesamt drei bis vier Millionen Euro pro Jahr. Bei Sprach- und Integrationskursen wolle man auch auf Mittel der Bundesregierung zurückgreifen. Laut Vereinbarung soll die Visumsvergabe an Diyanet-Imame in dem Maße zurückgehen, wie der in Deutschland ausgebildete Nachwuchs nachrückt.
Ditib-Bundesvorsitzender
betonte in Köln: "Wir brauchen passgenaue Konzepte für unsere Imamausbildung gemäß unserem Erwartungsprofil. Alles andere wäre gegen das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften."
Zunächst bleiben aber Zweifel, ob das vorgestellte Konzept wirklich der von Bundesinnenministerium Nancy Faeser (SPD) im Dezember gefeierte "Meilenstein" wird und den Einfluss des türkischen Staatsislams auf Hunderttausende Ditib-Mitglieder spürbar verringert.
Angestelltenverhältnis und Bezahlung der Imame langfristig nicht geklärt
Die jährlich 75 Absolventen aus der Türkei - als künftige Imame ausschließlich Männer - seien keine Staatsbeamten der Diyanet mehr, versicherte Generalsekretär Kalyon. Auch die Ausbildungskosten übernehme Ditib alleine, wobei fraglich ist, wie der Verband dies aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden stemmen will.
Kalyon räumte zudem ein, noch sei offen, wie genau das Angestelltenverhältnis und die Bezahlung der Imame langfristig geregelt werden.
Zudem ändert sich am satzungsgemäßen Einfluss der Diyanet auf den Verband nichts: Der Ditib-Beirat, der über grundlegende Fragen und Personalentscheidungen wacht, wird weiter von Diyanet-Funktionären aus Ankara kontrolliert.
"Diyanet bleibt für uns die höchste Instanz und ein Qualitätsgarant"
Das könnte sich jeweils auch beim Auswahlverfahren für die 75 Imam-Anwärter auswirken. Kalyon sagte offen: "Diyanet bleibt für uns die höchste Instanz und ein Qualitätsgarant. Das wird sich nicht ändern."
Derweil kündigte die Ditib an, sie werde noch 2024 die "Dienstaufsicht" und "Weisungsbefugnis" über alle Imame in ihren Gemeinden von der Diyanet übernehmen. Inwiefern dies angesichts der engen Verflechtungen zwischen beiden mehr ist als formale Kosmetik, muss sich im Einzelfall zeigen.
Ein Dämpfer des Konzepts ist auch, dass der Verband die Absolventen islamischer Theologie an deutschen Universitäten offenbar kaum als künftige Imame in Betracht zieht, sondern sich von vornherein auf die Zahl von jährlich 75 Auszubildenden aus der Türkei konzentriert.
Dort wurde unter Erdogan das liberale Denken an den religiösen Lehrstätten immer weiter zurückgedrängt und die sunnitische Orthodoxie regiert.
Ditib rechnet nicht mit genügend Bewerbern
Dazu hieß es von Ditib, man rechne schlicht nicht mit genügend Bewerbern aus den sieben deutschen Uni-Standorten für islamische Theologie, weil die Absolventen meist besser bezahlte Stellen anstrebten, etwa als verbeamtete Religionslehrer. Womit der Verband nicht ganz unrecht hat.
Immerhin sei man mit dem Islam-Seminar in Tübingen und dem Islamkolleg Deutschland - dem vom Bundesinnenministerium geförderten Imam-Schulungszentrum in Osnabrück - im Gespräch. Und prinzipiell offen für Interessenten aus Deutschland, schon weil dies für den Verband Kosten spare. Derzeit sei aber erstmal die Werbung um Teilnehmer in der Türkei angelaufen.
"Wenn wir plötzlich 30 oder 40 Bewerber aus dem Inland bekommen, werden wir entsprechend weniger aus der Türkei einbeziehen", versichert Zekeriya Altug, Ditib-Abteilungsleiter für Gesellschaft und Zusammenarbeit. Auch das muss die Praxis beweisen.
Daneben wirft das Konzept einige Detailfragen auf. Was, wenn Imame nach beendeter Ausbildung doch nicht mindestens zehn Jahre in Deutschland bleiben wollen? Im Idealfall, so Ditib, sollten sie hier sogar bis zur Rente ihren Lebensmittelpunkt haben, doch per "Gelübde" dürfte das kaum funktionieren.
Absolventinnen dürfen nicht als Imame arbeiten
Hinzu kommt, dass die Ditib-Lehrstätte für Religionsbeauftragte in Dahlem seit 2020 mehrheitlich weibliche Absolventen hervorbrachte, die nicht als Imame arbeiten dürfen. Wird man hier Plätze aufstocken oder für Männer reservieren, um die erforderlichen 25 Teilnehmer an den Imam-Kursen sicherzustellen?
"Wir machen erstmal einen Schritt nach dem anderen" - diesen Satz hörte man beim Pressegespräch im Schatten der großen Kölner Ditib-Moschee öfter. Soviel scheint aber jetzt schon sicher: Die neue Imam-Lösung ist nur ein sehr kleiner Schritt, zu dem sich die Türkei nach jahrelangem deutschen Drängen offenbar durchrang. Wohl auch mit Blick auf das zäh verfolgte Ziel der Ditib, in absehbarer Zeit den privilegierten Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erhalten.
Verglichen mit der bisherigen Entsendepraxis kann das neue Konzept der Integration durchaus zarte Impulse verleihen. Dass aber die türkische Regierung den Einfluss auf Türken in Deutschland preisgibt, bleibt bis auf Weiteres ein frommer Wunsch der deutschen Politik. Zumal ein Großteil der religiös konservativen Deutsch-Türken dies gar nicht will.