Sie ist ein Schlüsseldokument für die Haltung von Papst Pius XII. zum Holocaust. Die am 24. Dezember 1942, vor 80 Jahren, im Rundfunk übertragene päpstliche Weihnachtsansprache gilt als der einzige Text, in dem sich das Kirchenoberhaupt öffentlich zum Holocaust geäußert hat. Allerdings nur sehr verschlüsselt. Weshalb die Bewertung bis heute hoch umstritten ist.
Pius XII. ist – in der Folge von Rolf Hochhuths 1963 erschienenem Schauspiel "Der Stellvertreter" – eine der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Für die einen "Hitler's Pope" (John Cornwell), der sich durch sein Schweigen zur Ermordung der Juden der Kollaboration mit dem NS-Regime schuldig gemacht hat. Für die anderen der "größte jemals lebender Wohltäter des jüdischen Volkes" (Pinchas Lapide), der zahllosen Juden das Leben gerettet hat – indem er ihnen direkt oder indirekt die Flucht oder ein Versteck in kirchlichen Einrichtungen ermöglichte.
Um Überparteilichkeit bemüht
Die Weihnachtsansprache von 1942 spielt in dieser Debatte eine große Rolle: In einem im August erschienen Beitrag für die "Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte" hat der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf einen neuen Erklärungsansatz vorgeschlagen: Mitnichten habe Pius XII. zum Genozid geschwiegen, schreibt Wolf, der in den vatikanischen Archiven Einblick in die Vorgeschichte der Papst-Ansprache nehmen konnte. Allerdings habe der Papst in seiner diplomatisch verbrämten, um Überparteilichkeit bemühten Rede "die Opfer nur sehr indirekt kenntlich gemacht".
So deutet nur eine ganz kurze Textpassage auf den Holocaust hin. Die Rede ist von "Hunderttausenden, die persönlich schuldlos bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit (nazionalita) oder Abstammung (stirpe) willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind". Der Begriff Juden kommt nicht vor, ebenso wenig wie das Wort Rasse. Die Täter werden mit keiner Silbe erwähnt.
Kenntnis von Gräueltaten im Osten Europas
Klar ist laut Forschung, dass Pius XII. bereits im Verlauf des Jahres 1942 von den Gräueltaten im Osten Europas Kenntnis erlangt haben muss. Auch die Frage, ob ein offener Protest den Verfolgten mehr nütze oder schade, beschäftigte ihn. Eine mutige Stellungnahme der holländischen Bischöfe für die Juden hatte zuvor dazu geführt, dass die Nazis die Verfolgung verschärften.
Wolf nennt als zentralen Grund den Anspruch von Pius XII., die politische Überparteilichkeit des Heiligen Stuhls zu wahren, um damit als möglicher Friedensvermittler im Spiel zu bleiben. Der umstrittene Passus der Weihnachtsansprache sei "in einer geradezu pedantischen Weise auf Ausgewogenheit und Überparteilichkeit angelegt", schreibt der Historiker. Wolf erinnert zudem daran, dass der Papst sich in einer Zwickmühle befand: Weil er 1940/1941 gegen die Vernichtung von Hunderttausenden katholischen Polen seine Stimme nicht erhoben hatte, wollte er jetzt die Juden als Opfer des zweiten Genozids nicht namentlich nennen.
Doch päpstliche Überparteilichkeit angesichts des Völkermords? Die Wirkung der Weihnachtsansprache war schon direkt nach ihrer Veröffentlichung umstritten. Pius selbst glaubte, "er habe die Verfolgung der Juden verdammt". Als der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing ihn im März 1943 angesichts einer neuen Welle von Deportationen bat, noch einmal für die "vielen Unglücklichen-Unschuldigen einzutreten", schrieb er: "Zu dem, was im deutschen Machtraum zurzeit gegen die Nichtarier vor sich geht, haben wir in unserer Weihnachtsbotschaft ein Wort gesagt. Es ist kurz, wurde aber gut verstanden."
Von deutscher Presse ignoriert
Der Sicherheitsdienst der SS (SD) kam Anfang Januar 1943 zum Ergebnis, "in einer Weise wie noch nie zuvor" lehne der Papst in seiner Weihnachtsansprache jede "Neuordnung" der Welt "auf nationalsozialistischer Grundlage ab". Der Papst mache sich zum Fürsprecher von Polen und Juden.
Propaganda-Minister Joseph Goebbels und Italiens Diktator Mussolini spotteten dagegen über die Ansammlung von "Gemeinplätzen"; Goebbels sprach von einer Rede ohne jede Bedeutung. Der Päpstliche Nuntius in Berlin, Cesare Orsenigo, meldete nach Rom, dass sich in der deutschen Presse kein einziger Hinweis auf die Weihnachtsansprache finde.