Domkapitular Bosbach kritisiert katholische Debattenkultur

"Gelegentlich unbarmherzig mit anderen Meinungen"

Im Kapitelsamt am siebenundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis betonte Domkapitular Markus Bosbach, dass die Welt und wir Gott gehören. Beides ist uns nur anvertraut. Doch nicht jeder katholische Geistliche oder Funktionär lebt danach.

Domkapitular Msgr. Markus Bosbach / © Robert Boecker (Kirchenzeitung Koeln)

In seiner Predigt hat Domkapitular Bosbach das heutige Tagesevangelium, "Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern" (Mt 21, 33–44), ausgelegt.

Msgr. Markus Bosbach im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Msgr. Markus Bosbach im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

So wie der Besitzer des Weinbergs, dessen Gefolgsleute samt seinem Sohn von seinen Pächtern ermordet werden, erschiene auch uns oft Gott – für den der Eigentümer des Guts im geistigen Schriftsinn steht – "fern und abstrakt".

Auch wir meinten oft, Gott sei weit weg oder wir denken, er interessiere sich vielleicht gar nicht für uns. "Oder wir leben so, als ob es ihn gar nicht gäbe."

Die Heilige Schrift behaupte, dass "Gott uns alle Voraussetzungen gegeben hat, damit unser Leben fruchtbar ist".

Im Weinberg Gottes hat jeder für andere Frucht zu bringen

Statt fixiert zu sein auf das, was uns vermeintlich fehlt, statt ängstlich zu sein, diese oder jene Chance zu verpassen, führe uns das Bild vom Weinberg in die Wirklichkeit, wie sie von Gott her ist, so Domkapitular Bosbach.

Der Weinberg im Sinne Gottes sei ein Ort, an dem jeder auf seine Weise Frucht für andere zu bringen habe, so wie am Weinstock die Reben Trauben hervorbrächten. 

Weinberge in Chateauneuf-du-Pape / © Richard Semik (shutterstock)
Weinberge in Chateauneuf-du-Pape / © Richard Semik ( shutterstock )

Jesus habe sich mit diesem Gleichnis an die Hohepriester und Ältesten im Volke Israel gewandt: "Modern ausgedrückt die Führer des Volkes, die Eliten in der Wirtschaft und der Politik, die Promis und Influencer, die meinen, alles sei nur für sie da, weil sie mit ein wenig Musik, Sport oder Schauspielerei oder einfach nur dummem Geplapper Unsummen verdient haben und sie vermutlich dennoch nicht verdienen."

Jeder einzelne kann an der Gewalttätigkeit der Pächter beteiligt sein

Das Gleichnis müssten sich auch all jene anhören, "die meinen, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben". "Ob in den Medien, in der Wissenschaft, auch in der Kirche. Ihnen allen, uns allen, erzählt Jesus dieses Gleichnis", führte Domkapitular Bosbach aus.

Die Geschichte klinge zwar in ihrer Brutalität absurd. "Jeder von uns wird jetzt vermutlich die Anwendung des Gleichnisses auf sich selbst klar zurückweisen. Ich schlage und ermorde doch niemanden."

Gleichsam lege Jesus hier dennoch eine Wurzel der Gewalt offen, an der jeder einzelne durchaus selbst beteiligt sein könne.

Schöpfung und Menschenleben gehören Gott und sind uns nur anvertraut

"Die Grundhaltung des Glaubens wäre darum zu wissen, dass diese Welt und sogar ich selbst Gott gehören. Die Schöpfung und mein Leben sind mir nur anvertraut. Dennoch denke und lebe ich meist so, als würde das selbstverständlich mir gehören, meine Verfügungsmasse sein."

Symbolbild Vertrauen, Schöpfung, Kreuz in der Hand / © Black Salmon (shutterstock)
Symbolbild Vertrauen, Schöpfung, Kreuz in der Hand / © Black Salmon ( shutterstock )

"Wie oft", fragte Domkapitular Bosbach, "trete ich in diesem Bewusstsein anderen gegenüber? Wie oft bin ich dabei nahe an der Gewalt, die letztlich bereit ist, den Sohn zu ermorden, um alles endgültig an sich zu reißen."

Die Kirche solle, gestärkt durch dieses Gleichnis, ein Gegenbild zu denen sein, die Gottes Weinberg an sich reißen. Die Kirche werde diesem Gegenbild sicher auch gerecht in den vielen Christen, die im Glauben zu Großzügigkeit und Barmherzigkeit herangewachsen sind.

Meinungsmache statt Barmherzigkeit gegenüber anderen Sichtweisen

"Man könnte es sich jetzt leicht machen, im Gleichnis einen Vorwurf zu sehen, an die, die Verantwortung in der Leitung und in den Strukturen der Kirche tragen, besonders an Bischöfe und Priester, die das Erbe an sich reißen, statt zu helfen, dass der Glaube Frucht trägt."

Solche Vorwürfe fänden derzeit sicher viel Applaus, so Domkapitular Bosbach. Nicht ganz zu Unrecht, wie er betonte: Wer Macht habe, unterliege immer dieser Gefahr.

"Aber sie trifft gleichermaßen heute in der Kirche auch viele Funktionäre jenseits des geistlichen Standes, die im organisierten Katholizismus Meinungen machen und den Kurs bestimmen wollen und dabei gelegentlich sehr unbarmherzig mit anderen Sichtweisen und Meinungen umgehen."

Domkapitular Bosbach formuliert einen Wunsch für die Weltsynode

Von der Diskussionskultur des deutschen Katholizismus spannte Domkapitular Bosbach den Bogen zur Weltbischofssynode in Rom: "Wollen wir Gott bitten, dass sich in dieser Hinsicht die in Rom tagende Weltsynode positiv unterscheidet von vielem, was unter der Rubrik 'synodal' sonst noch so abläuft, aber das Gemeinsame, das im Wort Synode steckt, doch oft vermissen lässt."

Weltsynode im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Weltsynode im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Gleichsam richtete Domkapitular Bosbach den Blick fort vom Anderen und hin auf jeden einzelnen von uns: "Die Hohepriester und die Pharisäer merkten, dass Jesus von ihnen sprach. Das wäre der nächste Satz im Evangelium, wenn die Leseordnung nicht einmal davor abgebrochen hätte. Die Hohepriester und die Pharisäer merkten, dass er von ihnen sprach. Darin, liebe Schwestern und Brüder, hätten sie mir etwas voraus. Ich muss das erst lernen."

Aus dem von den Bauleuten verworfenen Stein wurde der Eckstein

Jesus spreche in dem Gleichnis vom Weinberg und den Pächtern, aber nicht nur von den Menschen: "Er spricht auch von sich selbst. Ein wesentlicher Grund, warum Jesus das Schicksal, das ihm bevorsteht, sehenden Auges annimmt, wird durch das Gleichnis beschrieben."

"So kann das Unrecht sichtbar werden, indem der Gekreuzigte erhöht wird und nicht länger verschwiegen und verdrängt werden kann. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und es ist wunderbar in unseren Augen."

Darstellung des ans Kreuz genagelten Christus in einer Wegkapelle, Heiligenhäuschen, in Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Darstellung des ans Kreuz genagelten Christus in einer Wegkapelle, Heiligenhäuschen, in Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

Dieses Wort entstamme dem Psalm 118, "einem der ganz großen und wichtigen Psalmen aus der Heiligen Schrift des Alten Bundes". Jesus benenne damit wichtige Aspekte seiner Sendung, wie Domkapitular Bosbach ausführte.

Die Menschen vertrauten jenen, die behaupteten, der Weinberg sei ihr Eigentum und stünde ihnen zu. Sie erschlügen so letztlich nicht nur symbolisch den Sohn, um das Erbe an sich zu reißen.

Welche "Macht" die Taufe einem jeden Christen verleiht

Aber dieser Erschlagene und Verworfene würde vom anderen Ende her zum Eckstein, der alles trägt und zusammenhält.

Mehr noch als das: "Unter denen, die verworfen wurden, hat er seinen Platz und lässt sie erfahren, dass sie erwählt sind. An dieser Erwählung haben wir durch die Taufe Anteil."

Chrisam und Salböl am Taufbecken / © Harald Oppitz (KNA)
Chrisam und Salböl am Taufbecken / © Harald Oppitz ( KNA )

Zum Ende seiner Predigt kam Domkapitular Bosbach auf die "Macht" der Taufe zu sprechen: "Die Taufe verheißt keine Macht auf Erden, sie verleiht Macht vom Himmel her. Sie verleiht Macht, Kinder Gottes zu sein, Frucht zu bringen, Früchte der Liebe, Früchte der Gerechtigkeit, des Friedens, die wir hier dankbar vor Gott bringen und vor seinen Altar legen können. Die Früchte des Reiches Gottes gehören nicht uns. Sie sind uns geschenkt."

Musikalische Gestaltung

Ein Quartett der Kölner Dommusik unter der Leitung von Eberhard Metternich sang die Missa brevis in F von Josef Gabriel Rheinberger sowie "Ubi caritas" von Ola Gjeilo. An der Orgel: Winfried Bönig.


„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; …“ (Mt 21,42)

Auslegung zum Sonntagsevangelium Mt 21,33–44 von Franz Kamphaus

Der Eckstein

Gott denkt anders. Die Gewalt hat nicht das letzte Wort in dieser dunklen Geschichte. Da steckt viel mehr in dem Schriftzitat (Vers 42). Es ist nicht ein Anhängsel, sondern die Spitze des Gleichnisses. Der Stein, der von den Bauleuten weggeworfen wird, ist in Wahrheit der Eckstein. Die Botschaft ist klar: Der Sohn und Erbe, den die Pächter aus dem Weinberg geworfen und getötet haben, ist der Hoffnungsträger.

Gott hat in Sachen Gewalt eine andere Lösung gefunden als die gängige Logik der Wiedervergeltung. Er sagt auch nicht: „Halb so schlimm, alles wieder gut.“ Es ist schlimm genug. Jesus hat die menschliche Gewalt am eigenen Leib erlitten und ist ihr Opfer geworden. Man hat ihn hinausgewor-fen und gekreuzigt „außerhalb des Lagers“ (Hebr 13,12 f.). Indem er sich der Gewalt aussetzte, hat er sie überwunden. Gott hat ihn nicht dem Tod über-lassen; er hat ihn auferweckt und damit das Leben erschlossen, das den Tod hinter sich hat.

Aus: Magnificat. Das Stundenbuch. Oktober 2023

Quelle:
DR