DOMRADIO.DE: Am 17. April 1949 haben sieben Männer ihre Gelübde abgelegt als erste Taizébrüder - also vor genau 75 Jahren. Wann sind Sie denn persönlich zum ersten Mal mit der Gemeinschaft von Taizé in Kontakt gekommen?
Dominik Meiering (Kölner Innenstadtpfarrer und Domkapitular): Interessanterweise nicht als Jugendlicher, sondern als Diakon. Da bot sich die Möglichkeit, mit der Jugend aus dem Dekanat in Düsseldorf nach Taizé runter zu fahren. Da habe ich mir gedacht, ich schau mir das mal an. Ich bin hier am Kölner Dom groß geworden, mit klassischer Liturgie und alles ganz katholisch. Ich dachte, eine ökumenische Brüdergemeinschaft, was mag das sein?
Aber ich habe sofort Feuer gefangen, weil nicht nur die Gebete, die Art und Weise, wie gebetet und gesungen wird, sondern auch das schlichte, einfache Leben dort vor Ort, die Glaubwürdigkeit der Brüder - das alles, was ich dort erlebt habe, hat mich unglaublich direkt angesprochen. Ich merkte auch: Meine Jugendlichen, die ich mithatte, die haben eine Verwandlung durchgemacht. Die wussten zum Teil gar nicht, wie Beten richtig geht, obwohl sie schon Messdiener waren oder wie Glauben geht. Die haben da eine Erfahrung gemacht, wie Glauben und Beten geht.
DOMRADIO.DE: Beim Weltjugendtag in Köln im Jahr 2005 war die Innenstadtkirche Sankt Agnes Taizé-Treffpunkt. Wie erinnern Sie diese besonderen Tage?
Meiering: Ich war damals Kaplan und durfte hier in der Innenstadt beim Weltjugendtag ein bisschen mithelfen. Die Brüder haben bei mir auch in der Wohnung gewohnt. Der damalige Prior Alois wohnte bei mir auch an dem Abend, an dem Frère Roger dann zu Tode gekommen war, von einer verwirrten Frau mit einem Messer erstochen. Ich war da sehr nahe dran. Ich durfte das alles sehr intensiv miterleben und es hat, glaube ich, auch dem Weltjugendtag eine bestimmte Färbung für diejenigen gegeben, die da in Sankt Agnes gekommen waren oder alles vorbereitet hatten.
Es hat uns jedenfalls sehr zusammengeschweißt und die Verbundenheit ist über Jahre hinweg geblieben. Auch die Verbundenheit zu Frère Alois und den anderen Brüdern, die damals bei uns zu Gast waren. Ich glaube, dass wir heute immer noch diese große Nacht der Lichter am ersten Sonntag im November in Sankt Agnes haben und dass es im Crux im jugendpastoralen Zentrum einmal im Monat ein intensives, schönes Taizégebet gibt, das verdankt sich dieser Initiative, beim Weltjugendtag Taizé zu Gast zu haben in Sankt Agnes.
DOMRADIO.DE: Am 17. April 1949 haben sieben Männer ihre Gelübde abgelegt als erste Taizébrüder. Das waren erst mal nur Protestanten. 20 Jahre später ist dann der erste Katholik eingetreten und damit war dann die erste ökumenische Ordensgemeinschaft überhaupt geboren. Wie schätzen Sie die Bedeutung von Taizé für die Ökumene ein?
Meiering: Es kamen dann ja noch Orthodoxe dazu. Die Gemeinschaft ist nach und nach gewachsen. Frère Roger hat immer gesagt: Die Protestanten haben das Wort, die Katholiken haben die Eucharistie, die Orthodoxie hat das Bild. Das sind die drei wichtigen Dinge. Alle haben alles, aber mit besonderer Intensität. Das finde ich sehr interessant. Wir brauchen dieses ökumenische Miteinander, weil wir voneinander lernen können. Es gibt immer etwas, was der andere uns schon voraushat.
Wir dürfen nicht hängen bleiben in einer selbstverliebten oder besserwisserischen Haltung, die meint, wir hätten jetzt den Stein der Weisen gefunden und wüssten alles genau richtig. Sondern wir sind doch als Spurenleser miteinander auf der Suche nach Gott. Das können wir nur, wenn wir uns nicht nur ökumenisch, sondern weit darüber hinaus mit allen Menschen verbinden auf der Suche nach der Wahrheit Gottes.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns noch mal über diesen Geist von Taizé sprechen, von dieser ganz besonderen Spiritualität. Was macht diese Spiritualität für Sie aus?
Meiering: Dass Jugendliche morgens, mittags und abends jeweils für eine Stunde und abends manchmal sogar für zwei oder drei Stunden freiwillig in die Kirche gehen und dort miteinander singen, das ist schon erstaunlich. Das funktioniert, weil die Lieder, die dann mehrstimmig gesungen werden, sehr meditativ sind. Fast mantra-mäßig werden die immer wieder wiederholt. Irgendwann kann man sie auswendig. Man fängt dann an, den Text zu meditieren. Man fängt an, in eine innere Ruhe und Stille hineinzukommen und immer tiefer zu verstehen, um was es da geht, nämlich einzutauchen in das Geheimnis eines Glaubens.
Dieser Glaube, der wird dann im nächsten Schritt in kleinen Gruppen diskutiert. Da wird beieinandergesessen und da trinkt man Zitronentee aus Plastikschalen und isst von einem Plastikteller. Dann gibt es einen kleinen Impuls von einem der Brüder und dann wird anschließend diskutiert: Was bedeutet dir der Glaube und wie siehst du Kirche? Wer ist dein Namensheiliger? Wie könntest du dich sozial zu engagieren? Da spürt man, Glaube kann einen Einfluss, eine Bedeutung, eine Relevanz haben für das tatsächliche Leben auch von jungen Menschen heute.
Das Interview führte Hilde Regeniter.