Domkapitular Markus Hofmann spricht über Marienverehrung

"Der Trost von Lourdes ist kein Placebo"

Zu Pfingsten im Sonderzug nach Lourdes? Das ist für viele Kranke die einzige Chance, in den südfranzösischen Wallfahrtsort zu pilgern und an der Grotte von Massabielle Kraft zu tanken. Doch ohne die Malteser wäre das nicht möglich.

Marienstatue / © Immaculate (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Monsignore Hofmann, Sie sind zurzeit mit über 500 Pilgern und einem Krankentransport, den traditionell die Malteser betreuen, auf dem Weg in den Marienwallfahrtsort Lourdes. Was suchen die Menschen an diesem Ort?

Dr. Markus Hofmann ist Vorsitzender des Deutschen Lourdes Vereins. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dr. Markus Hofmann ist Vorsitzender des Deutschen Lourdes Vereins. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Monsignore Dr. Markus Hofmann (Vorsitzender des Deutschen Lourdesvereins und Kölner Domkapitular): Lourdespilger tragen ganz unterschiedliche Sehnsüchte in ihrem Herzen. Und es gibt so viele Erwartungen, wie es Menschen gibt, denn jeder bringt ja seine eigene Biografie mit. Oft höre ich, dass viele hier eine geistliche Heimat finden; das Gefühl, zu Hause zu sein. Da, wo die Mutter ist – und das ist die Gottesmutter Maria für uns – fühlt man sich heimisch. 

Darüber hinaus schätzen die meisten diese Gemeinschaft gerade auch im Zug, in dem man 24 Stunden gemeinsam unterwegs ist – die Kranken und die Gesunden – und in dem Gespräche eine ganz andere Intensität bekommen als sonst. Da ist es viel leichter, sich auch einmal Zeit dafür zu nehmen – über den üblichen Small Talk hinaus. Daher ist der Krankenpilgerzug mit seinem Lazarettwagen im Vergleich zu anderen Pilgerfahrten bzw. Flugreisen, die der Lourdesverein auch anbietet, auf jeden Fall etwas Besonderes. 

Im Gespräch mit Maltesern, die den Krankenzug begleiten.  / © DLV (privat)
Im Gespräch mit Maltesern, die den Krankenzug begleiten. / © DLV ( privat )

Und dann ist es natürlich vor allem auch die Begegnung mit den Kranken selbst, die sich freuen, dass sie überhaupt nach Lourdes kommen, und für die ebenfalls das Gemeinschaftserlebnis ganz wichtig ist. Hinzu kommt, dass sie exzellent, nämlich eins zu eins, von den Maltesern betreut werden. 

DOMRADIO:DE: Was konkret erleben sie denn an der Grotte, wo Bernadette die "wunderschöne Dame" erschienen ist?

Hofmann: Es gibt inzwischen 70 anerkannte Wunder und tausende von Gebetserhörungen, die auch dokumentiert sind. Daher schwingt bei vielen Pilgern sicher auch die eigene Hoffnung auf Heilung mit: für die körperlichen Gebrechen, aber auch die seelischen Wunden. Viele kommen aus Lourdes anders zurück. 

Nicht dass nun massenweise körperliche Heilungen zu verzeichnen wären, aber Lourdes verändert die Menschen. Das merkt man ihnen deutlich an. Manche finden in Lourdes auch die Kraft, ihre Situation anzunehmen, "Ja" zu sagen zu ihrem Leiden und dem, was ihnen das Leben auferlegt hat, weil sie auf einmal erkennen: Das Leiden hat einen Sinn. 

Dr. Markus Hofmann mit Pilgern unterwegs in Lourdes. / © DLV (privat)
Dr. Markus Hofmann mit Pilgern unterwegs in Lourdes. / © DLV ( privat )

In Seelsorgegesprächen höre ich immer wieder: "Warum denn ist ausgerechnet mir das widerfahren? Womit habe ich das verdient?" Wenn man darauf eine Antwort bekommt, ist eine solche Herausforderung ganz anders anzunehmen. Einen Sinn zu erkennen schenkt oft Trost, Zuversicht, Hoffnung und Frieden. Andere erleben, dass sie noch eine Aufgabe vor sich haben – Stichwort Versöhnung – und wenn sie sich dann in einer Atmosphäre des Gebetes, der Annahme, des Wohlwollens befinden, dann löst sich mancher Ballast auf einmal. 

Manchmal erst nach Jahrzehnten, weil sie vorher vielleicht nicht darüber sprechen konnten. Aber gar nicht selten höre ich dann: "Jetzt endlich habe ich die Hilfe, die innere Befreiung gefunden, die es möglich macht, den nächsten Schritt zu tun." Und das miterleben, dabei helfen zu dürfen ist für mich als Seelsorger sehr schön und nicht selten wirklich großartig.

DOMRADIO.DE: Was genau macht denn die Faszination der Mutter Jesu aus, und wie erklären Sie sich, dass eine glühende Marienverehrung bis in unsere Tage anhält?

Hofmann: Das ist sicher immer persönlich und sehr individuell gefärbt. Jeder, der Maria verehrt, wird seine einmalige Geschichte mit ihr haben. Trotzdem findet man in Lourdes viele Menschen, die auch gemeinsam dieser Verehrung, dieser Zuneigung und auch Dankbarkeit Ausdruck verleihen. Die Liebe zu Maria verbindet sie miteinander. Ich selbst wurde schon in meiner Kindheit zur Marienverehrung hingeführt und bin tatsächlich fasziniert von dieser Frau, weil sie viele unterschiedliche Facetten hat. 

Markus Hofmann bei der traditionellen Lourdesfeier im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Markus Hofmann bei der traditionellen Lourdesfeier im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ein anderer Mensch ist ja immer größer als das, was wir von ihm kennen. Und so ist Maria ein Mensch, der reich von Gott beschenkt ist und von dem ich mir nie anmaßen würde zu glauben, sie vollkommen durchschaut zu haben. Auch das – immer wieder noch etwas Neues an ihr zu entdecken – macht ein Stück ihrer Faszination aus.

DOMRADIO.DE: Was genau fasziniert Sie denn?

Hofmann: Ihre Schönheit. Bernadette sagt ja nicht "Ich habe Maria gesehen", sondern "Ich habe eine wunderschöne Dame gesehen". Nie zuvor hatte sie etwas Schöneres gesehen. Und Schönheit zieht an. Das ist ja bis heute so. Eine ganze Industrie lebt davon, wobei ich mich dabei gerne an das Psalmwort "Wahre Schönheit kommt von innen" erinnere. 

Und gerade das trifft auf Maria zu. Augustinus sagt über sie: In der Begegnung mit dem Erzengel Gabriel hat sie erst mit ihrem Glauben empfangen und dann auch leiblich. Also, die inneren Werte Mariens sind noch faszinierender als ihre äußere Schönheit. Soweit ich weiß, gibt es tatsächlich keine Frau, die in der Kunst häufiger dargestellt wurde als sie. Das heißt, sie fasziniert bis heute. 

Dr. Markus Hofmann

"Echte Mütterlichkeit, echte Schönheit ist immer anziehend."

Und dann ist es auch das Mütterliche. Jesus hat sie uns zur Mutter gegeben vom Kreuz herab, als er zu dem Jünger sagt: "Siehe, deine Mutter!" Dass dieser Jünger keinen Eigennamen hat, ist kein Zufall, sondern ganz klar Absicht, weil er stellvertretend für alle Brüder und Schwestern Jesu da steht. Die Kirche hat dies weiter reflektiert, so etwa das Zweite Vatikanische Konzil im achten Kapitel des Dokuments "Lumen gentium" über die Kirche, wo diese mütterliche Beziehung Mariens zu allen Getauften sehr schön dargelegt ist. Das Verhältnis ist das von einer Mutter zu ihrem Kind. Und echte Mütterlichkeit, echte Schönheit ist immer anziehend. 

Das Reliquiar der Heiligen Bernadette. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Reliquiar der Heiligen Bernadette. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dazu kommt, dass Maria auch die mächtigste Frau in der Kirche und im Reich Gottes ist. Auch das macht attraktiv. Sie ist mächtiger als alle anderen Heiligen. Und das wiederum kommt aus der alten Tradition Israels, wo nämlich die First Lady am Hof des Königs nicht die Ehefrau war, sondern die Mutter des Königs. Das ist die Frau, an die man sich wendet, wenn man etwas erreichen will. 

DOMRADIO.DE: Es gibt ja nicht wirklich viele überlieferte Zitate von Maria. Zu den bekanntesten gehört: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du gesagt hast…

Hofmann: Aber es sind ganz entscheidende Worte. Ohne die freie Zustimmung Mariens hätte das größte Ereignis der Weltgeschichte nicht stattgefunden: die Menschwerdung Gottes, der auf ihr "Ja" wartet. Es ist nicht die Quantität der Worte, die zählt. Das ist heute nichts anders: Es wird viel gesprochen, viel gedruckt. Trotzdem sind es am Ende nur ganz wenige Worte, die wirklich bewegen. 

Genauso ist es bei Maria. Es zählen ihre Taten. Sie ist unter dem Kreuz da, auch als elf der zwölf engsten Freunde Jesu nicht da sind. Und sie steht da, bricht nicht zusammen. Sie ist treu, und sie ist tapfer. Auch das gehört zu ihrer Faszination. Auf sie kann man sich verlassen. Sie lässt niemanden im Stich. All das macht sie anziehend: dass sie da ist und wie sie da ist.

DOMRADIO.DE: Im Jahreskreis ist der Monat Mai der Marienverehrung gewidmet, und dann gibt es auch nochmals im Herbst den Rosenkranzmonat Oktober. Was hat es mit diesen Monaten auf sich?

Hofmann: Der Mai ist der Monat, in dem die Natur aufbricht und zu blühen beginnt, so dass mit dem Mai auch die Hoffnung auf neues Leben verbunden ist. Die Blumen und Blüten symbolisieren Maria in ihrer Gnadenfülle; sie wird als "die schönste Blume" besungen. 

Maria ist der Beginn der neuen Schöpfung. Gott hat bei ihr mit dem Projekt Mensch nochmals ganz neu angefangen, sie ohne jeden Schatten der Sünde erschaffen. Damit hat er gezeigt: So habe ich den Menschen eigentlich gemeint. Maria wiederum ist Gottes Plan dann treu geblieben. 

Dr. Markus Hofmann

"In Maria zeigt uns Gott gewissermaßen: So habe ich mir den Menschen gedacht und ich führe meinen Plan mit seiner Mitwirkung zu einem Ende: zu seiner Erlösung, bei der Maria einen unersetzlichen Part spielt."

Vielleicht hilft da ein Vergleich: Der Kölner Dom konnte ja nur deshalb im 19. Jahrhundert vollendet werden, weil man den verschollen geglaubten ursprünglichen Plan der Fassade wiedergefunden hat. Dieses Wiederauffinden war sozusagen eine Art Initialzündung: Jetzt können wir tatsächlich dieses gigantische Unternehmen vollenden. So ähnlich können wir uns das auch mit Maria vorzustellen. In ihr zeigt uns Gott gewissermaßen: So habe ich mir den Menschen gedacht und ich führe meinen Plan mit seiner Mitwirkung zu einem Ende: zu seiner Erlösung, bei der Maria einen unersetzlichen Part spielt.

Lourdesfahnen im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Lourdesfahnen im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ein anderer Vergleich: In jeder Zelle unseres Körpers ist unsere DNA, unser Bauplan. Und wenn ich eine Wunde habe, "weiß" der Körper von selbst seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Das finde ich stark und gibt doch Hoffnung. Auf Maria übertragen heißt das: Der ursprüngliche Plan Gottes – die Freiheit von Sünde und diese einmalige tiefe Beziehung zu ihrem Schöpfer – ist möglich und in ihr auch wirklich aufgegangen. Maria ist uns von daher Vorbild, nämlich selbst in eine solche Beziehung zu Gott zu treten. Und sie ist die schönste Blume im Garten Gottes – ein Bild, das vielleicht heute ein bisschen romantisch klingt, aber nicht falsch ist. Dieser Gedanke hat sicher zunächst im 19. und dann im 20. Jahrhundert eine Rolle gespielt, so dass man ihrer 30 Tage lang am Stück in besonderer Weise gedenken wollte, zumal es im Mai keine Marienfeste gab. 

Im Rosenkranzmonat Oktober erinnert das Fest "Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz" an die Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571: an ein Ereignis, das die Christenheit massiv in ihrer Existenz bedrohte, so dass schließlich der Papst dazu aufrief, den Rosenkranz zu beten. Völlig überraschend hat dann das weit unterlegene christliche Heer doch gesiegt. Diese Rettung vor dem Untergang wurde dem Gebet des Rosenkranzes zugeschrieben. Seitdem wird dieses Gebet intensiv gepflegt und hat sich immer wieder als Gebet auch in großer Not bewährt.

DOMRADIO.DE: Mai-Altäre und Mai-Andachten – die erste im Erzbistum Köln fand bereits Mitte des 19. Jahrhunderts statt – kennt jeder noch aus seiner Kindheit. Eine blumen­ge­schmückte Marien­statue etwa im Herrgotts­winkel, ein zusätz­liches "Gegrüßet seist du, Maria" zum Morgen-, Tisch- oder Abend­gebet und der "Engel-des-Herrn" um 12 Uhr galten als übliche Rituale. Sind das Relikte aus alter Zeit oder werden sie auch vom modernen Menschen wieder mit Leben gefüllt?

Hofmann: Auch in der Volksfrömmigkeit gibt es durchaus Trends. So ist zum Beispiel der "Engel des Herrn" in der Mitte des Tages durchaus ein Gebet, das sich auch junge Menschen zu eigen machen. Es ist kurz, für manche ein Haltepunkt im Verlauf des Tages, so dass es sogar in manchen Büros gepflegt wird, wenn da Menschen arbeiten, die sich dabei einig sind, dass ihnen ein solches Innehalten bei der Arbeit etwas bedeutet. 

Millionen Menschen pilgern jährlich zu Marienwallfahrtsorten. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Millionen Menschen pilgern jährlich zu Marienwallfahrtsorten. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Andere haben zuhause vielleicht eine Gebetsecke; einen Platz, wo sie zur Ruhe kommen. Ich selbst habe so etwas auch. Schließlich brauchen wir Orte, wo uns das Beten leichter fällt. Lourdes ist auch so ein Ort, von dem Menschen sagen: Hier an der Grotte ist es für mich einfacher zu beten. Oder von hier aus nehme ich neue Impulse mit nach Hause und tauche daheim – vielleicht mit einem Marienbild von Lourdes vor mir – wieder in diese Atmosphäre ein. 

Die Zahlen sprechen für sich. Es sind viele Millionen Menschen, die es zu Marienwallfahrtsorten zieht, weil sie eine große Sehnsucht antreibt. Guadalupe ist zum Beispiel nicht nur der größte marianische Wallfahrtsort, sondern der größte Wallfahrtsort überhaupt. Nirgendwohin kommen so viele Menschen wie zur Gottesmutter nach Mexiko. Das sind bis zu 20 Millionen jährlich, in Lourdes und Fatima sind es etwa 3,5 Millionen. Weil das für diese Menschen Sehnsuchtsorte sind. Allerdings fokussiert Maria die Menschen ja nicht auf sich, sondern nimmt einen sozusagen an der Hand und führt uns zu ihrem Sohn.

DOMRADIO.DE: Der Rosenkranz ist eine tradierte Gebetsform und lebt von dem wiederholten "Ave Maria". Was die einen als langatmig, vielleicht sogar langweilig empfinden, versetzt andere in eine wohltuende Form der Sammlung, Ruhe und Meditation. Wie geht es Ihnen damit?

Hofmann: Nach der Feier der heiligen Messe und dem Stundengebet ist der Rosenkranz für mich das wichtigste Gebet. Es ist nicht immer ganz leicht, ihn täglich zu beten – manchmal ist man einfach auch müde – aber mir ist er sehr kostbar geworden, weil ich mit dem Rosenkranz Szenen aus dem Leben Jesu betrachte und mir das weiterhilft auch in der Kenntnis seiner Person und der vielen anderen um ihn herum. Deswegen ist der Rosenkranz eben auch ein auf Christus ausgerichtetes Gebet. 

Eine Frau betet mit gefalteten Händen, in denen sie einen Rosenkranz hält, am 15. März 2019 in Paris / © Corinne Simon (KNA)
Eine Frau betet mit gefalteten Händen, in denen sie einen Rosenkranz hält, am 15. März 2019 in Paris / © Corinne Simon ( KNA )

Wenn man das lateinische "Gegrüßet seist du, Maria" aufschreibt, stellt man fest, dass genau so viele Worte vor "Jesus" stehen wie nach "Jesus". Das bedeutet: Er ist in der Mitte. Und die Geheimnisse, das heißt, die Szenen aus Jesu Leben, führen immer auch zu einem tieferen Verständnis seiner Person. Es wird in der Heiligen Schrift oft über Maria gesagt: Sie dachte darüber nach, was sie erlebt hat. Für sie war das nicht alles von vornherein eh schon klar, sondern manchmal auch schwer zu verarbeiten und hat Zeit gebraucht. 

Dr. Markus Hofmann

"Mit Maria zusammen auf Jesus zu schauen, ermöglicht mir, verschiedene Anliegen, die ich selbst im Herzen trage oder die mir genannt werden, dann auch zusammen mit Maria vor Christus zu bringen."

Und das versuche ich, wenn ich den Rosenkranz bete, auch: mit ihr zusammen auf Jesus zu schauen. Das ermöglicht mir, verschiedene Anliegen, die ich selbst im Herzen trage oder die mir genannt werden, dann auch zusammen mit Maria vor Christus zu bringen. Im ersten Geheimnis des freudenreichen Rosenkranzes erkennt Maria zum Beispiel ihre Berufung, Gottesmutter zu werden. Da kann ich sehr gut andocken und auch mich selbst fragen: Worin liegt eigentlich der Sinn meines Lebens? Da wird der Rosenkranz mit einem Mal sehr lebendig. 

Und wer den Rosenkranz langweilig findet, dem kann ich nur sagen, dass er ihn vielleicht noch nicht oft genug gebetet hat. Das ist wie beim Fahrradfahren: Solange ich mich darauf konzentrieren muss, in die Pedale zu treten, Verkehrszeichen zu beachten etc., empfinde ich das als anstrengend. Wenn ich aber ein geübter Fahrer bin, die Bewegung einen Automatismus bekommt, kann ich den Kopf heben und die schöne Landschaft um mich herum genießen. Das ist eine Frage der Übung. Ich kann Rosenkranzbeten nur empfehlen.

DOMRADIO:DE: Weniger an Maria selbst, aber doch an ihrer Theologie, zu der auch das Dogma der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter gehört, scheiden sich mitunter auch die katholischen Geister. Diese Frau lässt an sich geschehen, ohne eigene Wünsche zu äußern. Das wirkt aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar und von daher der Kult um ihre Person wie aus der Zeit gefallen…

Hofmann: Tatsächlich wird immer wieder gesagt, Maria sei passiv gewesen. Das verkennt ihre Haltung und ihre Aufgabe in den Plänen Gottes. Von ihrer freien Zustimmung in Nazareth hing schließlich die Menschwerdung Gottes ab. Von daher hat sie eine sehr aktive Rolle eingenommen. Sie war mit Leib und Seele für diese Aufgabe da. Das hat sie voll in Anspruch genommen. Außerdem eilt sie sofort zu ihrer Verwandten Elisabeth, als sie hört, dass diese guter Hoffnung ist. Das heißt, sie ist da, wenn sie gebraucht wird. 

Markus Hofmann bei der Lourdesfeier im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Markus Hofmann bei der Lourdesfeier im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Bei der Hochzeit zu Kana sieht sie, dass der Wein ausgeht. Sie ist die Erste, die das feststellt, und ergreift die Initiative. Sie sorgt dafür, dass diese große Peinlichkeit, für das Brautpaar eigentlich eine Katastrophe, eben nicht eintritt. Vor dieser Totalblamage bewahrt sie das Paar, das diese Schmach nie wieder los geworden wäre. Oder: Sie steht unter dem Kreuz, bricht – wie gesagt – nicht zusammen, sondern ist stark. 

Auch im Magnificat wird deutlich, dass sie durchaus in der Lage ist, die Pläne Gottes zu verstehen. Mehr als alle anderen. Daher: Eine passive Rolle hat Gott ihr nicht zugedacht. Eine solche Einschätzung wird ihr nicht gerecht. Hinzu kommt, sie ist die mächtigste Fürsprecherin, Königin des Himmels und der Erde, die wichtigste Heilige. Das alles spricht dafür, wie aktiv sie ist. Sie kümmert sich um diejenigen, die sie unter dem Kreuz als ihre Kinder angenommen hat.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, Maria hat so viele unterschiedliche Facetten, die wir unter Umständen noch gar nicht alle kennen bzw. entdeckt haben. Was hat uns Maria heute noch zu sagen?

Hofmann: Sie zeigt uns: Es gibt den Himmel, es gibt Gott, es gibt die andere Wirklichkeit, auch wenn wir sie mit unseren Augen zunächst nicht sehen. Man kann Lourdes nicht erklären ohne Gott. Und das macht Maria deutlich. Auch, dass es darauf ankommt, wie wir Menschen uns verhalten. Maria drückt ihre Sorge aus: Wenn man Gott nicht ernst nimmt, dann hat das verheerende Folgen für die Menschen. 

Es ist nicht egal, wie ich zu Gott stehe, ob ich bete, die Sakramente empfange, lerne, meinen Nächsten um Vergebung zu bitten, oder nicht. Sie warnt, aber sie macht auch denjenigen Mut, die sonst keinen Grund mehr zur Hoffnung haben. Warum hat sie Bernadette ausgesucht? Weil diese damals zu den Ärmsten und gering Geachtetsten überhaupt gehörte. Allen, die meinen, auf der Verliererseite zu stehen, macht Maria deutlich: Nein, das tust du nicht. Gott hat eine großartige Zukunft für dich.

Wenn sie zu Bernadette sagt, "Ich verspreche Ihnen nicht, Sie in dieser Welt glücklich zumachen, aber in der anderen" und ich diese Zusage ernst nehme, dann gibt das doch eine große Gelassenheit. Viele Kranke, die nach Lourdes kommen und nicht körperlich geheilt werden, erfahren genau diese innere Stärke, diesen Trost, und erleben, dass sie mit einem Mal ganz anders mit ihren Leiden, Ängsten und Sorgen umgehen. Und das ist kein Opium, kein Placebo. 

Gerade in Lourdes gibt es beeindruckende Lebenszeugnisse – auch von den Helfern, die sagen: Hier erfahre ich, wie schön es ist, anderen Gutes zu tun. In Lourdes haben die Kranken und Menschen mit Behinderung Vorfahrt. Nicht der Rollstuhl muss stehen bleiben, sondern ich muss warten. Das verändert die Perspektive. All das gäbe es nicht, wenn nicht Maria tief in die Geschichte eingegriffen hätte.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Lourdes

Lourdes ist einer der berühmtesten Wallfahrtsorte der Welt. In dem südfranzösischen Städtchen soll 1858 dem damals 14-jährigen Hirtenmädchen Bernadette Soubirous (1844-1879) insgesamt 18 Mal Maria erschienen sein. Laut den Berichten des Mädchens wies die als "weiße Dame" und als "Unbefleckte Empfängnis" auftretende Gottesmutter sie an, Wasser aus einer Quelle zu trinken, Buße zu tun und "den Priestern zu sagen, hier eine Kapelle zu bauen und dass man hierher in Prozessionen kommen solle". 1862 wurden die Erscheinungen vom Ortsbischof, 1891 von Papst Leo XIII. anerkannt.

Madonnenstatue in Lourdes, Frankreich / © Ballygally View Images (shutterstock)
Madonnenstatue in Lourdes, Frankreich / © Ballygally View Images ( shutterstock )
Quelle:
DR