DOMRADIO.DE: Monsignore Hofmann, Sie haben eine besondere Nähe zur Gruft der Erzbischöfe, die sich unterhalb des Binnenchores des Kölner Domes befindet. Wie kommt das? Ein bisschen hat dieser Begriff doch auch etwas Gruseliges. Zumindest aber hat eine solche in die Wand gemauerte Grabstätte – anders als ein schön geschmücktes Grab auf einem Friedhof – ja mehr Mausoleumscharakter. Entsprechend ist diese Grablege mit einem nur schmalen begehbaren Korridor kein wirklich heimeliger Ort, an dem man lange verweilen will…
Dr. Markus Hofmann (Domkapitular): Zugegeben, das Wort "Gruft" ist in der Tat kein attraktiver Name für diese Grabstätte. Was mich aber dennoch positiv anspricht, ist der Friede, der von diesem Ort ausgeht und den ich sehr wertvoll finde: Hier finde ich Ruhe zum Nachdenken und Beten. Außerdem verbinde ich die Krypta und Bischofsgruft immer mit dem Tag meiner Priesterweihe, der für mich ja ein ganz wichtiger Tag war. Unmittelbar vor der Weihe haben wir uns damals hier unten versammelt, den Trubel, den ein solcher Tag auch mit sich bringt, außen vor lassen können, uns angekleidet und mit dem Regens die Vesper gebetet. Das waren die letzten wichtigen Augenblicke konzentrierter Sammlung, bevor wir uns dann von hier aus in die Prozession eingegliedert haben, also aus dem Gebet heraus in die Weiheliturgie gegangen sind. Als ich später dann selber Regens war, habe ich diese Einrichtung weitergeführt.
Hinzu kommt, dass man hinter diesem grauen Vorhang am Ende der Gruft genau unter dem Hochaltar des Domes steht. Das macht die Ursprünge des Christentums in Köln zum Greifen nahe. Denn an dieser Stelle wurde seit dem dritten, vielleicht schon seit dem zweiten Jahrhundert ununterbrochen Eucharistie gefeiert, was eine unmittelbare Verbindung unserer Stadt zu den frühen Christengemeinden und Märtyrergenerationen herstellt. Ich bin in Köln aufgewachsen, daher bedeutet mir dieses – wie gesagt – fast handgreiflich nahe Glaubenszeugnis, das hier sichtbar wird, sehr viel.
DOMRADIO.DE: Und die besondere Nähe zu den Gräbern der Kölner Erzbischöfe?
Hofmann: Auch die ist mir wichtig. In der Bischofsgruft liegen Kardinal Meisner, der mich zum Priester geweiht hat, aber auch Kardinal Höffner, den ich noch kennengelernt habe, Kardinal Frings, der für das II. Vatikanische Konzil von großer Bedeutung war, und weitere Vorgänger begraben. Also komme ich hier gleichzeitig auch den Wurzeln der jüngeren Geschichte unserer Kirche ein Stück weit auf die Spur. Denn bei der Priesterweihe trifft mich der Ruf Jesu Christi. Damit werde ich hineingenommen in die Sukzession, das heißt, in die Nachfolge der Apostel. Mit dem Priestertum ist mir aufgetragen "Tut dies zu meinem Gedächtnis". Das bedeutet, dieser Ort bringt vor allem auch eine Verbindung mit denen zum Ausdruck, über die wir mit Christus lebendig verbunden sind.
Ich werde nie vergessen, dass unser Erzbischof damals jedem Weihekandidaten einen geistlichen Stammbaum, der bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, gegeben hat. Damit wollte er uns bewusst machen, dass wir als Priester in der Reihe derer stehen, die vor uns geglaubt haben und gemeinsam mit dem Papst, den Bischöfen und dem ganzen Volk Gottes Verantwortung für die Weitergabe dieses Glaubens tragen. Wir haben in der Priesterweihe gewissermaßen das "Staffelholz des Glaubens" erhalten. All das kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn ich die Grablege der Kölner Erzbischöfe besuche.
DOMRADIO.DE: Apropos: Jeder Kölner Erzbischof weiß, dass er einmal in einer solchen Grabstätte seine letzte Ruhe finden wird, wie übrigens auch alle Domkapitulare wissen, wo sie einst beerdigt sein werden. Was ist das für ein Gefühl, wenn man diesen Platz, der einem schon zu Lebzeiten zugeteilt ist, genau kennt? Macht das einem die eigene Endlichkeit umso bewusster? Oder ist das einfach nur irgendein Ort?
Hofmann: Dass jeder einmal stirbt, ist schon seit der Geburt eine Gewissheit. Und natürlich ist das kein angenehmer Gedanke, den wir auch schon mal gerne von uns schieben. Da ich jeden Tag im "Gegrüßet seist du, Maria" aber auch bete "…bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes", ist mir die Realität des Sterbenmüssens bewusst. Das halte ich auch für wichtig. Jeden Tag kann es vorbei sein. Doch da uns Christus Hoffnung auf die Auferstehung gemacht hat, verändert das noch einmal erheblich meinen Blick auf das Leben. Immer wieder begegne ich Menschen, die lebensbedrohlich erkrankt sind und die sich wie in einem Tunnel fühlen, an dessen Ende für sie ein schwarzes Nichts steht. Als Christen aber glauben wir, dass der Tod das Tor zum ewigen Leben ist. Auch wenn ich nicht im Einzelnen weiß, wie das letztlich genau aussieht, brauche ich nicht zu verbittern oder zu resignieren. Kardinal Meisner hat das Wort geprägt: "Als Christ habe ich immer noch viel mehr Zukunft vor mir als Geschichte hinter mir." Das gibt Gelassenheit.
Vor ein paar Monaten war ich in Kenia und habe dort Menschen in großer Not erlebt, die kaum das Nötigste zum Leben haben. Trotzdem haben sie einen starken Glauben und lassen sich nicht unterkriegen. Ja, das Leben ist kostbar, aber danach kommt die Ewigkeit. Und davon sind diese Menschen auf beeindruckende Weise überzeugt. Damit zeigen sie, dass dieser Glaube einem doch ganz viel von dieser Frustration nehmen kann. Und was ich empfinde, wenn ich mir klar mache, dass es auch für mich schon eine bereits festgelegte Grabstelle auf dem Domherrenfriedhof gibt? Das hat nichts Bedrohliches für mich und macht mir keine Angst. Aus Neugierde, aber auch um es konkret einmal zu sehen, bin ich da auf der Ostseite des Domes hinter der Apsis schon einmal hinuntergestiegen. Denn auch für die Domkapitulare gibt es eine Gruft, in deren Wände die einzelnen Gräber eingelassen sind. Da kam mir der Gedanke: Denk daran, der Tod gehört zum Leben dazu!
DOMRADIO.DE: An Allerheiligen und Allerseelen gehen die Menschen auf den Friedhof und zünden auf den Gräbern ihrer Angehörigen eine Kerze an oder schmücken sie mit Blumen. Das sind im Verlauf des Jahres noch einmal ganz besondere Tage, an denen – wie es der Name schon sagt – aller Heiligen gedacht wird, sich viele Menschen aber vor allem auch – mehr als zu anderen Zeiten – an ihre schmerzlich vermissten Verstorbenen erinnern. Was bedeutet Totengedenken für uns Christen?
Hofmann: Auf vielen Grabsteinen steht geschrieben – aber wir formulieren es ja auch in unseren Gebeten: Requiescat in pace – möge er oder sie in Frieden ruhen! Gemeint ist eine Ruhe, wie wir sie sonst nur vom Schlaf kennen. Diese Formulierung drückt aus, dass die Verstorbenen nicht einfach weg sind, sondern dass sie sich nach dem Vorbild Jesu vom Grab erheben werden. Christliches Totengedenken beinhaltet nicht nur Erinnerung, sondern dass wir für unsere lieben Verstorbenen auch beten. Das ist also sehr viel mehr. Lichter auf die Gräber zu stellen bedeutet: Hier ist noch jemand lebendig. Hier ruht jemand, der nicht einfach aufgehört hat zu existieren.
Heute ist es umso wichtiger, dass wir gemeinschaftlich beten, da allgemein unter Christen diese Hoffnung sehr angefragt ist – gerade weil es der unmittelbaren Erfahrung zu widersprechen scheint, zumal durch den natürlichen Verwesungsprozess nichts Materielles, nichts Greifbares mehr da ist. Kritiker sagen, die christliche Hoffnung auf ein Weiterleben sei nur ein psychologisches Trostmittel, weil man anders die Härte und Endgültigkeit des Todes nicht aushält. Oder wie es die Marxisten gesagt haben: Dieser Glaube ist nichts anderes als Opium für das Volk. Man wolle die Menschen besänftigen, wie man ein Kind tröstet so nach dem Motto: Ist gar nicht so schlimm.
Aber bei Gott ist nichts vergeblich. Für mich persönlich gibt es genügend Gründe, die für die Auferstehung, die für ein Leben nach dem Tod sprechen: allem voran Jesus selbst, ohne den es kein Christentum, keine Kirche, keinen Kölner Dom gäbe. Das ganze Christentum ist ohne die Auferstehung Jesu nicht zu erklären. In nahezu allen Kulturen gibt es die Überzeugung, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Die Grabbeigaben zum Beispiel, die in alten Gräbern gefunden wurden, waren ja für ein Leben gedacht, das nach dem Tod kommt, weil man der Überzeugung war, dass die Seele weiterlebt. Und wenn ich daran glaube, dass ich die Verstorbenen wiedersehe, ist das doch eine ganz andere Qualität von Gedenken.
DOMRADIO.DE: Die Zahl anonymer Bestattungen, bei denen an der Beisetzungsstelle auf jeglichen Namenshinweis verzichtet wird, nimmt seit Jahren zu wie auch die von Menschen, um die niemand mehr trauert und deren letztes Geleit ohne irgendeine persönliche Anteilnahme stattfindet. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus, und wie geht die Kirche damit um? Stichwort "Vereinsamung"…
Hofmann: Ich persönlich empfinde das als eine Verarmung unserer Gesellschaft. Wie wir mit unseren Verstorbenen, mit Sterben und Tod grundsätzlich umgehen, hat auch Auswirkungen auf uns Lebende. Wenn ich die Endlichkeit meines Daseins verdränge, muss ich in diesem Leben ja alles erreichen, was wichtig ist. Je älter ich werde, desto deprimierender ist dementsprechend die Perspektive, die mir bleibt.
Die würdige Bestattung der Toten, vor allem auch derer, um die niemand mehr trauert, ist eine Aufgabe, der wir uns als Kirche noch mehr stellen sollten. Schon jetzt gibt es ja Initiativen, wenn ich da zum Beispiel an die Josefsbruderschaft in der Kupfergasse denke, die sich dieses Anliegen zueigen gemacht hat und in Form eines Gebetsgedenkens die Erinnerung und die solidarische Verbindung mit den Sterbenden und Verstorbenen wach hält, ganz nach dem Vorbild mittelalterlicher Bruderschaften, die sich für eine würdige Bestattung verantwortlich fühlten. Oder auch an die Menschen, die sich in der Hospizbewegung engagieren, die wiederum oft von der evangelischen oder katholischen Gemeinde bzw. vielfach auch ökumenisch am Ort getragen wird. Sie begleiten Sterbende und sorgen dafür, dass im Augenblick des Todes möglichst niemand allein ist. Immer wieder höre ich, dass der Dienst, Sterbende zu begleiten, als sehr bereichernd erlebt wird. Trotzdem ist auf diesem Gebiet sicher noch eine Menge zu tun.
Natürlich ist erschütternd, dass die Urnenbestattungen auch deshalb so zunehmen, weil sie billiger angeboten werden als eine Bestattung im Sarg und sich viele Menschen ihre eigene Beerdigung nicht mehr leisten können. Und was die Vereinsamung angeht und die damit einhergehende Anonymisierung von Tod, sagt die Kirche, dass ein kirchliches Begräbnis immer auch die namentliche Kennzeichnung eines Grabes beinhaltet. Das ist schließlich für Angehörige enorm wichtig, eines lieben Verstorbenen auch an einem definierten Ort gedenken zu können. Immerhin ist der Verstorbene einmal Teil der Gesellschaft gewesen. Selbst wenn sein Leben aus der Sichtbarkeit verschwunden ist, bleibt sein Dasein für Gott doch erhalten. Der Name eines Menschen ist oft noch das Letzte, was auf der Erde von ihm bleibt. Und mit dem Namen ist es möglich, sich an eine konkrete Person zu erinnern und für sie zu beten.
DOMRADIO.DE: Was steht für Sie persönlich an diesen beiden kirchlichen Festen Allerheiligen und Allerseelen im Zentrum?
Hofmann: Das Fest Allerheiligen zeigt für mich die Perspektive auf, wo es hingeht, wenn man das Leben als einen Weg begreift: nämlich ins himmlische Vaterhaus. Und da will ich hin – mit möglichst vielen, die ich liebe, denen ich mich verbunden fühle und für die ich Verantwortung habe. Mein Ziel ist die Gemeinschaft der Heiligen im Himmel. Denn ich lebe in der festen Hoffnung, dass einige von ihnen schon dort sind und auf mich warten. Ich betrachte es als meine Aufgabe, auch anderen den Weg dorthin zu ebnen, und ich bin dankbar, dass ich die Heiligen dabei um Hilfe bitten kann. An diesem Ort – so meine Hoffnung – treffe ich dann viele, die erreicht haben zu leben, wie Gott es will. Das sind neben den großen Heiligen auch viele unbekannte Menschen, die vielleicht ganz unspektakulär und still gewirkt haben, bei Gott aber nicht vergessen sind. Es gibt so viel Gutes im Verborgenen, über das nie berichtet wird, weil sich Skandale eben einfach besser verkaufen. Wenn ich da nur an die vielen pflegenden Angehörigen denke, die ausgefüllt sind mit einer großen Sorge um ihre Kranken, um die sie sich manchmal Jahrzehnte kümmern, dann zählt so jemand für mich zu diesen „stillen“ Heiligen, die ich meine und die es nie in die Schlagzeilen schaffen.
Und Allerseelen bedeutet für mich verdichtetes gemeinsames Beten, verbunden sein mit den Verstorbenen, denen wir über den Tod hinaus unsere Dankbarkeit ausdrücken und denen wir mit unserem Gebet helfen können. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sie das auch mitbekommen. Das Gebet ist für mich die wirksamste Weise, Dank auszudrücken. Außerdem erinnert mich Allerseelen gleichzeitig an meine eigene Sterblichkeit – nicht im Sinne eines Angsthabens, sondern eines noch bewussteren Lebens.
DOMRADIO.DE: Der November trägt immer das Etikett "Trauermonat". Wenn man Sie aber über Heiligen- und Totengedenken sprechen hört, spricht daraus vor allem Hoffnung…
Hofmann: Natürlich ist noch niemand zurückgekommen – so lautet ja eine Sentenz zu diesem Thema. Aber ganz stimmt das nicht. Es gibt nämlich eine Ausnahme: Jesus Christus. Er ist wirklich gestorben und von den Toten auferstanden. Also, er ist zurückgekommen und hat uns gesagt: Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Das haben wir uns doch nicht ausgedacht. Mir gibt diese Zusage jedenfalls die Sicherheit, dass es vernünftige Gründe gibt, an die Auferstehung zu glauben. Und das ist keine billige Masche des Selbstbetrugs, nur weil ich den Tod nicht aushalten könnte. Es gibt genügend vernünftige Gründe, an das Leben nach dem Tod zu glauben. Die Auferstehung Jesu steht da, wie gesagt, an erster Stelle. Die bis heute unverwesten Leichname einer ganzen Reihe von Heiligen, wie zum Beispiel der heiligen Bernadette und des heiligen Pfarrers von Ars, sind weitere Indizien, die für diesen Glauben sprechen. Das ist weder naiv noch kindisch, sondern zeigt, dass der Mensch von Gott für Größeres geschaffen ist als nur für ein paar Jahrzehnte hier auf Erden.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.