Der frühe Samstagmorgen im Kölner Dom ist für ihn so etwas wie ein "Jour fixe". Und unterscheidet sich trotzdem ganz wesentlich von den vielen anderen Terminen unter der Woche, die bei Monsignore Dr. Markus Hofmann tagtäglich auf der Agenda stehen. Während das Leben inner- und außerhalb Kölns Kathedrale zu dieser Zeit erst so allmählich erwacht, das frische Licht des Tages den noch fast leeren Innenraum vom östlichen Kapellenkranz her zum Leuchten bringt, stellt sich im Chorumgang mitunter überraschende Betriebsamkeit ein. Denn nach der 7.15 Uhr Messe ist der Kölner Generalvikar in der Sakramentskapelle beim Beichtehören anzutreffen. Und der 53-Jährige ist ein gefragter Beichtvater, wie immer wieder zu vernehmen ist.
Das heißt, wer regelmäßig den Dom als Beichtkirche aufsucht, darf sich sicher sein, dass der Domkapitular pünktlich gegen kurz vor acht – das ist seine Zeit – hier sitzt. Denn seit Corona und unter Berücksichtigung der geltenden Abstandsregeln wird das Beichtsakrament an diesem Ort – und damit zurzeit außerhalb des Beichtstuhls – gespendet. Ist der Andrang besonders rege – zu den Hochfesten Weihnachten und Ostern ist die Nachfrage weitaus größer als zu normalen Zeiten – dann wird zusätzlich auf die Johanneskapelle ausgewichen. Wer dann dort die Beichte abnimmt, ist unmittelbar hinter dem Kapellengitter und schon von Weitem sichtbar mit einer lila Stola auszumachen.
Monsignore Hofmann: Beichten ist oft befreiender Schritt
"Zuhören, ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte haben, mich in den Dienst der Menschen stellen, ihnen helfen, wenn sie etwas bedrückt, Seelsorger sein – das gehört nicht nur zu meinen Aufgaben als Priester, sondern ist mir auch persönlich ein wichtiges Anliegen", sagt Hofmann. Und er macht kein Geheimnis daraus, dass auch das eigene Bekennen von Schuld – und nicht nur die Lossprechung anderer von ihren Sünden – zum Kern seines Priesterseins gehört. Keine Frage, dass daher der Beichtstuhl – wenn nicht gerade Corona herrscht – zu seinen Lieblingsorten im Kölner Dom zählt.
"Mir würde etwas ganz Entscheidendes fehlen. Denn das Sakrament der Versöhnung ist deshalb so kostbar, weil es wirklich hilft, Frieden im Herzen zu finden", erklärt er. Auch wenn die Beichte in den Augen vieler als scheinbar veraltet gelte und sich die Menschen zunehmend schwer mit dieser katholischen Praxis täten, einem anderen gegenüber eigene Vergehen zur Sprache zu bringen, wie er ergänzt. "Klar, das ist nicht immer angenehm, meist schambesetzt", weiß Hofmann aus Erfahrung, "aber oft auch ein befreiender Schritt, wenn man sich erst einmal überwunden hat und die Erfahrung macht: Gott ist wirklich gütig und offenbart sich in seiner ganzen Barmherzigkeit, wenn mir ein Priester in persona Christi Vergebung zuspricht."
Aus Beichtgesprächen Kraft für eigenes Priestersein tanken
Er sei davon überzeugt, so der Domgeistliche, dass sich viele Menschen nach Frieden sehnten und doch oft nicht wüssten, wie er zu erreichen sei. "Dabei fängt der Friede in der Familie, innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Staaten auf jeden Fall im eigenen Herzen an." Das Beichtsakrament sei die von Christus am Ostertag geschenkte Form, Vergebung zu finden und etwas von einem solchen inneren Frieden zu spüren. Wie oft schon habe er, wenn jemand aus einer verfahrenen Situation herausgefunden, sich schweres Leid mit einem Mal aufgelöst oder es eine unverhoffte Entwicklung, einen neuen Aufbruch gegeben habe, das Wirken Gottes in der Seele eines Menschen miterleben können. Was ihn, wie er eigens bemerkt, zutiefst dankbar zurücklasse.
"In der Beichte begegnet man mitunter Menschen von beeindruckender Glaubenstiefe und wird damit selbst oft reich beschenkt", betont Hofmann. "Das kann so weit gehen, dass ich aus intensiven Beichtgesprächen Kraft für mein eigenes Priestersein tanke und gleichzeitig daran erinnert werde, wozu ich als Seelsorger da bin." Gerade in der Karwoche oder speziell nach dem Kreuzweg am Karfreitag, wenn ihn Menschen mitunter an einem tiefgreifenden Weg der Umkehr teilhaben ließen, seien das schon mal "echte Ostererlebnisse".
Es kommen Menschen aller Schichten und Altersgruppen
Er habe große Achtung vor jedem, der den Mut aufbringe, bewusst auf die eigenen Verfehlungen zu schauen. Und es gebe keinerlei Grund, sich darüber zu erheben, findet der Domseelsorger. Im Gegenteil. "Das Leiden anderer lässt mich nicht kalt. Was ich höre, bewegt mich, und ich nehme es mit in mein Gebet." Natürlich sei man auch manchmal ohnmächtig. Dann sei die Beichte aber trotzdem so eine Art "Erste Hilfe", um den anderen dazu zu bewegen, etwas auszusprechen, ihm damit Entlastung zu verschaffen und Hoffnung auf Vergebung zu geben. "Gerade weil ich auch selbst zur Beichte gehe und sie nicht nur abnehme – also beide Perspektiven kenne – ist mir vertraut, was die Menschen beschäftigt, womit sie sich schwer tun, manchmal hadern und wo sie Ermutigung benötigen." Ihm gehe es darum, sagt er, jedem seine Angst zu nehmen und immer wieder dazu einzuladen, sich doch auf dieses heilende Sakrament der Versöhnung einzulassen.
Richtig froh mache ihn, so Hofmann, die Beobachtung, dass manchmal Menschen kämen, die die Beichte völlig neu für sich entdeckten – "nach vielen Jahren oder sogar Jahrzehnten und danach offen bekennen: Das war nicht einfach, aber es hat sich gelohnt!" Beim Beichten treffe er mit Menschen aller Schichten, Altersgruppen und Sprachen zusammen. Manchmal sind es Firmgruppen und junge Leute während der Nightfever-Veranstaltungen, manchmal Menschen am Ende ihres Lebens. Manche nutzen die Gelegenheit en passant, andere wünschen den geistlichen Austausch sehr bewusst. Manche bevorzugen die Anonymität des Beichtstuhls, andere wollen ihrem Beichtpriester ins Gesicht schauen.
"Doch alle suchen ein Gespräch zur Gewissensorientierung, was manchmal der Auslöser für einen Neustart sein kann. Und dann ist es gut, ihnen nah sein und Hilfestellung in ihrem konkreten Anliegen geben zu können." Das Bekennen von Schuld und die Absolution durch einen Priester gehörten zum Proprium des katholischen Glaubens und seien etwas anderes als das, was eine psychotherapeutische Begleitung leisten könne, unterscheidet Hofmann jedoch klar. "Als Beichtvater darf ich im Namen Gottes Schuld vergeben; das kann ein Therapeut nicht."
Verzicht auf Seelsorge ist schmerzlich
Trotz seines dicht gedrängten Terminkalenders als Generalvikar wolle er diese Morgenstunden in der Sakramentskapelle nicht missen. "Auch wenn die Woche anstrengend, jeder Tag meist bis an den Rand gefüllt war und ich selbst am Wochenende manche Stunde im Büro verbringe, versuche ich, mir diese Zeit nach der Feier der heiligen Messe zu reservieren, um Menschen ein verlässliches Beichtangebot machen zu können." Denn das sei ihm wichtig. "Ich bin gerne Priester", betont der oberste Behördenchef des Erzbistums, "und habe bei meiner Weihe versprochen, die Sakramente der Kirche treu zu verwalten." Da gehöre der Dienst des Beichtvaters, dessen Wert er beim regelmäßigen Beichtehören in einer Ordenskirche während seiner Promotion im Bistum Augsburg noch einmal für sich ganz neu schätzen gelernt habe und dem er auch auf seinen vielen Wallfahrten nach Lourdes oder Fatima als Pilgerleiter eine zentrale Bedeutung beimesse, unbedingt mit dazu.
Auch wenn er in seiner aktuellen Funktion als Generalvikar die Rolle eines "Ermöglichers von Seelsorge" einnehme, empfinde er mitunter gleichzeitig diesen großen Verzicht, den Menschen nicht vor allem selbst als Seelsorger nahe zu sein, als schmerzlich. "Da vermisse ich ganz viel, zumal ich in den 26 Jahren meines priesterlichen Lebens immer wieder deutlich gespürt habe, wie sehr ich den unmittelbaren Kontakt zu den Gläubigen brauche – egal welches Amt ich ausübe und wo mein Platz gerade ist."
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