Schwindelfrei sollte man sein und keine Höhenangst haben. Eher eine Bergsteigermentalität mitbringen, zumal das "Gipfelerlebnis" lohnt. Denn wer sich auf extrem begrenztem Raum und in luftiger Höhe von 20 Metern auf die Bank der Schwalbennestorgel schwingt, um hier Bach oder Messiaen zu spielen, der sollte diesen außerordentlichen Ort und auch die mit ihm verbundene Abgeschiedenheit in vollen Zügen genießen – und nicht fürchten. Gregor Loers, Assistent der Kölner Dommusik und damit zurzeit die rechte Hand von Domkapellmeister Eberhard Metternich, kann das uneingeschränkt und setzt eher noch einen drauf. "Es gibt nichts Tolleres, als abends bis spät in die Nacht dort oben zu üben, manchmal sogar bis zum ersten Morgenlicht." Denn die Stunden vergingen oft wie im Flug. "Da lösen sich Zeit und Raum auf. Eine nicht steigerbare Erfahrung", gerät der 26-Jährige ins Schwärmen. "Hier ist man dem Himmel näher als an irgendeinem anderen Platz im Dom."
Der angehende Organist und Kantor, der sich gerade auf seinen Masterabschluss in katholischer Kirchenmusik an der Kölner Musikhochschule vorbereitet und zum Herbst eine Stelle als Regionalkantor im Bistum Münster antritt, hat immer schon eine enge Beziehung zum Dom gehabt."Als Assistent der Dommusik hat sich die eher noch verstärkt", stellt der gebürtige Dormagener fest. "Erst recht jetzt, da ich Köln bald verlassen werde, wird mir mit jedem Tag mehr bewusst, was es heißt, in einem solchen Gotteshaus arbeiten zu dürfen. Hier Musik machen, mit dem Knabenchor proben, Konzerte vorbereiten oder Orgel- und Kantorendienste in den Messen übernehmen zu können, betrachte ich als großes Privileg." Da kämen oft viele Gefühle gleichzeitig zusammen, wenn Ehrfurcht, Freude, Begeisterung und Erstaunen – zum Beispiel darüber, dass ein 30 Tonnen schweres Instrument an nur vier gerade mal 35 Millimeter dicken Stahlseilen von der Decke hänge – eine spannende Gemütslage ergäben.
Vor allem ein Raum für große sinfonische Orgelmusik
"Doch unangefochten bleibt diese innere Bewegtheit, wenn man vom Spieltisch der Schwalbennestorgel links und rechts etwa auf Höhe der Triforien diesen unvergleichlichen Blick in die Weite des Domes hat, an Sommerabenden noch lange die bunten mittelalterlichen Fenster um einen herum in ihrer ganzen Pracht leuchten, bis es dann allmählich immer dunkler wird, schließlich um Mitternacht alle Lichter gelöscht werden und allein das goldene Funkeln des Dreikönigenschreins in der Schwärze der Nacht einziger Fixpunkt bleibt. Ob mystische Nachtstimmung oder Sonnenaufgang – atmosphärisch ist dieser Platz einfach unbeschreiblich, einzigartig und nicht zu toppen!", sagt Loers über seinen Lieblingsort im Kölner Dom euphorisch.
Aber auch akustisch fasziniert den jungen Musiker, was er dort hoch über dem Langhaus erlebt, wenn der Ton noch lange im Raum stehen bleibt, wie er erklärt. "Hier funktioniert vor allem große sinfonische Orgelmusik ganz wunderbar: Widor, Vierne, Bruckner, Liszt." Aber eigentliche bilde dieses Instrument mit seinen unterschiedlichen Flöten-, Hörnern-, Trompeten- und Posaunenregistern die Vielseitigkeit der gesamten Orgelliteratur ab: vom frühen 16. bis ins 21. Jahrhundert.
Von dem Orgelstandort immer wieder neu überwältigt
"Da erbebt mitunter diese Orgel mit ihren 3963 Pfeifen; im selben Moment nimmt sie sich zurück und verhilft mit eher leisen Tönen einem frühen Buxtehude, Couperin oder Bach zu seiner vollen Entfaltung. Wenn man dann durch ihre Glaswände in die Tiefe schaut und bedenkt, dass dieser Klangkoloss nur an scheinbar fragilen Stangen hängt, die an vier Stellen im Dachstuhl verankert sind, ist das schon ein verrücktes Gefühl. Unglaublich, welch spektakuläre und waghalsige Konstruktion sich Menschen da ausgedacht haben!“
Allein schon der Weg hinauf zu diesem Instrument, das in seinem Höhenaufriss auch noch einmal nahezu 20 Meter erreicht, knapp unter dem Kreuzgratgewölbe endet und auf allerengstem Raum Rückpositiv, Hauptwerk, Spieltisch, Schwellwerk, Pedal und – wie gesagt – fast 4000 Pfeifen vereint, ist abenteuerlich. Er führt über schmale Wendeltreppen und entlang verwinkelter Gänge. Doch wer sich vor dieser Herausforderung nicht bang macht, wird reich beschenkt. "An dieser Orgel spielt man anders, hat andere Ideen, improvisiert anders. Weil es 24/7 ein hochinspirierender Ort ist", findet Gregor Loers, "von dem ich immer wieder neu überwältigt bin. Da reicht ein Blick zu den Fenstern und Figuren oder man riecht den aufsteigenden Duft von Weihrauch – und schon fällt einem etwas ein."
In der Summe eine spannende und prägende Aufgabe
Überhaupt habe er in dieser Kathedrale noch einmal auf besondere Weise die Leidenschaft spüren können, die ihn mit dem, wie er sagt, unfassbar vielseitigen Beruf des Kirchenmusikers verbindet. "Angefangen bei der Pädagogik, der es in den Proben mit den Knaben des Domchores bedarf, bis hin zu einer Zusammenarbeit mit fantastischen Profis. Da geht es darum, Kindern die Freude an klassischer Musik zu vermitteln, aber auch dieses wichtige Gemeinschaftsgefühl, dass ein gutes Ergebnis nur gemeinsam erreicht werden kann", resümiert der dreifache Familienvater.
"Es geht um eigenverantwortliches Gestalten und die Lust am Experimentieren – und um viele, viele musikalische Erfahrungen, bei denen man das rein praktische Handwerkszeug erwirbt." Auch die Rolle des Interviewers, in die er gerade mal wieder während der Orgelfeierstunden schlüpft, um vor laufender Kamera von seinem Gesprächspartner in einem Viertelstundenspot etwas zur Vita des jeweiligen Organisten oder dessen Programmwahl für die Zuschauer von DOMRADIO.DE in Erfahrung zu bringen, liegt ihm. "Das alles ist in der Summe unglaublich spannend und prägend", so Loers.
Dommusik-Assistenz als Glückstreffer
In Domkapellmeister Metternich habe er zudem einen fabelhaften Mentor und großartigen Musiker an seiner Seite, sagt er über seinen Ausbilder. "Er zeigt mir nicht nur, wie man einen Knabenchor – auch in Coronazeiten – bei der Stange halten und weiterentwickeln kann. Von ihm kann ich mir auch eine gesunde Portion Gelassenheit abschauen, wenn vor einer ausverkauften Philharmonie musiziert wird oder vor 3000 Zuhörern beim Weihnachtskonzert im Kölner Dom – und das obendrein bei einer großen medialen Präsenz von enormer Reichweite."
Von daher sei diese Dommusik-Assistenz, die nebenbei die Begegnung mit vielen namhaften Künstlern ermögliche, eine große Chance für ihn, ja geradezu ein Glückstreffer, findet Loers. "Trotzdem hat man es hier mit total bodenständigen Leuten zu tun, die alle eine super Arbeit machen."