Don Bosco-Mission hilft Kindersoldaten beim Ausstieg

Kinder machen das auch "freiwillig"

Eine Viertel Million Kindersoldaten gibt es laut Unicef weltweit. Zum Red-Hand-Day, dem internationalen Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten, berichtet die Don Bosco-Mission von der Situation der Kindersoldaten in Kolumbien.

Die Hand eines Kindes nimmt ein automatisches Gewehr mit Waffen vom Tisch. Nahaufnahme. / © ya_create (shutterstock)
Die Hand eines Kindes nimmt ein automatisches Gewehr mit Waffen vom Tisch. Nahaufnahme. / © ya_create ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie haben Projekte zur Betreuung von ehemaligen Kindersoldaten in Kolumbien besucht. Wie ist die Situation dort?

Ulla Fricke (Leiterin von Bildung und Kommunikation bei Don Bosco in Bonn​): Die Situation ist keinesfalls besser als vor der Pandemie. Die weltweite Corona-Situation hat eigentlich alle Kinderrechtsverletzungen noch mal massiv verschärft. Genauso auch das Thema Kindersoldaten. Auch in Kolumbien waren die staatlichen Schulen zum Teil 18 Monate lang geschlossen. Auch dort gibt es einfach eine riesen Lücke.

Grundsätzlich müssen wir beim Phänomen Kindersoldaten an das Bild ran, was wir im Kopf haben. Das sind nicht immer zwangsrekrutierte Kinder, die nachts aus der Hütte gegriffen werden, unter Drogen gesetzt werden und denen ein Gewehr in die Hand gedrückt wird. Oft sind das „Freiwillige“. Die Jugendlichen und Kinder schließen sich den bewaffneten Gruppen aus Alternativlosigkeit, aus Langeweile und auch weil sie perfiden Rekrutierungsstrategien auf den Leim gehen, an. Das hat zugenommen.

DOMRADIO.DE: Dieses Klischee "Kind mit der Kalaschnikow in der Hand, das gezwungen wird zu töten" stimmt gar nicht mehr so eindeutig?

Fricke: Ja und nein. Man muss das im Kontext der Situation sehen. Dieses Bild ist sehr stark von den Bürgerkriegen in Sierra Leone und Liberia geprägt worden. Diese Situation gibt es natürlich auch noch. Aber in Kolumbien oder in vergleichbaren Gesellschaften sind es andere Umstände, die Kindersoldaten hervorbringen. Kolumbien hat 50 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Das sind von Gewaltstrukturen durchtränkte Gesellschaften.

Für die Kinder und Jugendlichen gibt es Push- und Pull-Faktoren, die sie zu Kindersoldaten werden lassen. Einerseits Faktoren, die die Kinder in die Arme der bewaffneten Gruppen treiben. Zum Beispiel eine desolate Lage zu Hause, Perspektivlosigkeit, aber auch Langeweile.

Andererseits gibt es Pull-Faktoren. Wenn die bewaffneten Gruppen vor Ort auftreten, verteilen sie Süßigkeiten, machen Versprechungen wie Motorräder, schenken eine Art familiäre Liebe und bieten auch eine Möglichkeit von Rache.

In einem Fall war der Vater eines Mädchens von der Armee getötet worden. Das Leben als Kindersoldat gibt den Kindern und Jugendlichen eine Möglichkeit, einem desolaten Zuhause zu entfliehen und irgendwo auch ihr Selbstwertgefühl aufzuwerten.

DOMRADIO.DE: Wie versucht die Don Bosco Mission zu helfen?

Fricke: Wir haben zwei große Einrichtungen in Cali und in Medellín. Dorthin kommen die Kinder und Jugendlichen zu uns. Das meiste sind Jugendliche, die dann zehn Jahre lang wirklich im Dschungel gelebt haben, die unglaubliche Entbehrungen hinter sich haben und die natürlich ganz viel mitgemacht haben.

Die haben rein psychologisch noch so eine Soldatenmentalität. Einer unserer Koordinatoren sagte mal, wie schlimm es sei, dass das keine freien Menschen sind. Sie erwarten Strafe, sie erwarten Befehle und müssen dann an ein selbstständiges Leben in Freiheit total gewöhnt werden. Das ist erst mal die größte Herausforderung.

DOMRADIO.DE: Können Sie von Erfolgsgeschichten erzählen?

Fricke: Ich habe sofort ein Mädchen vor Augen. Sie ist mit ihrem Bruder zusammen über viele Umwege in unsere Einrichtung gekommen, hat drei Jahre lang unseren Prozess durchlaufen und hat sogar in Kolumbien angefangen zu studieren. Durch ganz viel Zufälle ist sie jetzt in Deutschland. Ich sehe sie regelmäßig auf Social Media, wenn Sie Kochvideos teilt. Sie lebt zurzeit in Karlsruhe mit ihrem Freund.

Das ist so eine Erfolgsgeschichte. Ich sehe einfach ganz oft, wie glücklich sie nun ist. Das ist eine große Herausforderung mit so einem schweren Gepäck im Leben. Die Kinder haben ja zum Teil gar keine Schulbildung gehabt. Viele, die zu uns zu Don Bosco kommen, können gerade mal ihren Namen schreiben. Es muss unfassbar viel aufgeholt werden.

Unicef: Weltweit Zehntausende Kindersoldaten

Zum Welttag gegen den Einsatz von Kindersoldaten und Kindersoldatinnen am 12. Februar hat Unicef zu verstärkten Anstrengungen gegen diese besonders schwere Form der Verletzung von Kinderrechten aufgefordert. Niemand wisse genau, wie viele Kindersoldaten es gebe, weil die Rekrutierung meist im Verborgenen und in schwer zugänglichen Kampfgebieten erfolge, teilte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in Köln mit. Unicef gehe aber davon aus, dass weltweit Zehntausende Kinder von bewaffneten Gruppen für ihre Zwecke missbraucht würden.

Der 16-jährige Luutu in einem Unicef-Rehabilitationszentrum für demobilisierte Kindersoldaten / © UNICEF/UN0441462/Tremeau (Unicef)
Der 16-jährige Luutu in einem Unicef-Rehabilitationszentrum für demobilisierte Kindersoldaten / © UNICEF/UN0441462/Tremeau ( Unicef )

Wenn man dann sieht, dass jemand irgendwo langsam wieder Fuß fasst, einen Beruf ergreift, eine Ausbildung macht oder anfängt zu studieren und zudem einfach irgendwo glücklich ist, dann sind das die Erfolge. Davon können meine Kollegen in Kolumbien noch ganz viel erzählen. Es geht ja auch gar nicht immer um die großen Erfolge, sondern um die kleinen, zum Beispiel, dass jemand wieder gut schläft.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass es möglich sein wird, eine Welt ohne Kindersoldaten zu erreichen?

Fricke: Ich bin Grundoptimistin. Das sind wir bei Don Bosco, glaube ich, alle. Ich glaube schon an die bessere Welt. Dafür müssen wir aber viel mehr auf Prävention setzen. Die Faktoren, warum sich Kinder bewaffneten Gruppen anschließen bzw. warum die Gruppen so einen Erfolg haben, liegen in Armut und in kaputten sozialen und staatlichen Strukturen. Da müssen wir hingucken.

Beim Thema Kindersoldaten müssen wir die Kinder, die aus dem Raster fallen, früher finden. Erste Warnzeichen sind, wenn die Kinder nicht mehr zur Schule zu gehen oder auch wo häuslicher Missbrauch herrscht. Da spielen auch die lokalen Communitys, die Dorfgemeinschaften, eine ganz große Rolle.

Manchmal reicht es schon, wenn wir denen eine Telefonnummer geben, die man anrufen kann, wenn man eben fürchtet, dass sich ein Jugendlicher aufmacht, um sich einer bewaffneten Gruppe anzuschließen. Die gehen durchaus strategisch vor. Gehen immer wieder in ein Dorf und organisieren Fußballturniere. Da müssen wir Gegenangebote schaffen. Deswegen ist auch Jugendarbeit so wichtig.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR