Druck auf Italiens Kirche wächst

Missbrauch mit mehr als Zahlen untersuchen

Auch in Italien werden Rufe nach einer Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche lauter und häufiger. Die Bischöfe wollen reagieren, aber in ihrem Tempo. Aus Sicht von Betroffenen ist das allerdings zu langsam.

Autor/in:
Anna Mertens
Ein Stuhl steht in einer dunklen Kirche am 28. September 2021 in Köln. Symbolfoto: Missbrauchsaufklärung / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Stuhl steht in einer dunklen Kirche am 28. September 2021 in Köln. Symbolfoto: Missbrauchsaufklärung / © Harald Oppitz ( KNA )

Dem Münchner Missbrauchsgutachten war auch in Italiens Medienlandschaft viel Aufmerksamkeit gewidmet worden. Nicht nur die Rolle des emeritierten Papstes Benedikt XVI. stand im Fokus der Berichte, sondern auch die Täter, Fälle und Betroffenen. Gut eine Woche später trafen sich Italiens Bischöfe im Ständigen Rat. Missbrauch war ein Thema. Vor allem die Prävention. Aber Rufe nach einer Untersuchung und Aufarbeitung mehren sich - mit Verweis auf Deutschland und Frankreich.

In ihrer jüngsten Abschlusserklärung des Ständigen Rats hatten die Bischöfe Italiens am Donnerstag einen verstärkten Schutz von Missbrauchsbetroffenen zugesagt. Generalsekretär Stefano Russo schloss dabei - laut italienischen Journalisten erstmals - eine Untersuchung von Missbrauch in Italien nicht aus. Derzeit stünden aber Maßnahmen zum Betroffenenschutz im Vordergrund, so Russo.

"Gründliche und Ernsthafte Untersuchung"

Kardinal Gualtiero Bassetti, Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz, Erzbischof von Perugia-Citta della Pieve, bei der Generalversammlung der Italienischen Bischofskonferenz (CEI) am 24. Mai 2021 in Rom. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Gualtiero Bassetti, Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz, Erzbischof von Perugia-Citta della Pieve, bei der Generalversammlung der Italienischen Bischofskonferenz (CEI) am 24. Mai 2021 in Rom. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

In einem Interview mit dem Mailänder "Corriere della Sera" bezog der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, am Wochenende deutlicher Stellung. Die Kirche denke seit einiger Zeit darüber nach, "eine gründliche und ernsthafte Untersuchung der Situation in Italien in Angriff zu nehmen", sagte Bassetti, der seine Antworten offenbar gründlich abwog.

Es solle über die Zahlen hinaus, die für eine objektive Betrachtung der Realität grundlegend seien, eine weitergehende inhaltliche Aufarbeitung werden. Ziel sei es, die Präventionsarbeit und Ausbildung der Priester und Laien zu stärken und zu verbessern. Zwischenzeitlich würden Informationen der mittlerweile in allen Diözesen eingerichteten Jugendschutzzentren gesammelt. Es sei ein "fortschrittlicher und unaufhaltsamer Weg eingeschlagen" worden, so der Kardinal.

Jugenschutzzentren sollen Abhilfe schaffen

Bei den Jugendschutzzentren handelt es sich laut dem Erzbischof von Perugia um 56 Frauen und 47 Männer sowie 124 Priester oder Ordensleute. Die Laien seien Fachleute mit juristischer, psychologischer, medizinisch-psychiatrischer, sozialer und pädagogischer Ausbildung. Darüber hinaus gebe es in etwa 40 Prozent der Bistümer bereits diözesane und interdiözesane Beratungsstellen. Weitere sollten folgen.

Man wolle Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit nicht wiederholen und den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren lassen. "Aber Gerechtigkeit ist nicht gleich Rechtsprechung, und es wäre weder für die verwundete Gemeinschaft noch für die Kirche ein guter Dienst, wenn wir übereilt handeln würden, nur um Zahlen zu nennen", so Bassetti. Vor einigen Monaten hatte der Kardinal noch davor gewarnt, die "Plage der Pädophilie" auf der Basis von statistischen Hochrechnungen zu bekämpfen.

Das Bewusstsein habe sich bereits geändert

Was sich in den vergangenen Jahren sicherlich geändert habe, sei "das wachsende Bewusstsein für die Schwere des Verbrechens und der Sünde", so der Kardinal weiter. Es gebe mehr Untersuchungen und kirchenrechtliche Verfahren durch Bischöfe und Ordensleute und Betroffene träfen auf eine Gemeinschaft, die eher zuhöre und helfe.

Zugleich verweist Bassetti auf die "strukturellen, kulturellen und kirchlichen Unterschiede" Italiens mit Blick auf die durchgeführten Missbrauchsuntersuchungen in Deutschland und Frankreich. "Angefangen bei der sehr hohen Zahl der Diözesen", so der Kardinal. Italien hat weiterhin rund 220 Erzbistümer und Bistümer. Der Vatikan drängt seit Jahren auf eine deutliche Reduzierung, nahezu Halbierung der Diözesen. Bislang geht diese aber nur langsam vonstatten. Deutschland hat im Vergleich 27 Diözesen, in Frankreich sind es etwa 100.

Betroffenennetzwerke weiterhin kritisch

Aus Sicht von Missbrauchsvereinigungen in Italien wird das Problem weiterhin vorrangig unter den Teppich gekehrt. Das "Rete L Abuso" gilt als das größte Betroffenennetzwerk. Auf der Seite findet sich eine Liste an Geistlichen - mit Foto und Namen -, denen Missbrauch vorgeworfen wird oder die rechtskräftig verurteilt wurden. Rund 160 Namen stehen allein dort. Auf einer Karte sind die Fälle zudem den Diözesen zugeordnet.

Mitte Februar will das Netzwerk gemeinsam mit anderen Betroffenenverbänden eine Koordinierungsstelle gründen. Das Motto lautet "Gegen das große Schweigen - #ItalyChurchToo".

Katholische Verbände solidarisieren sich mit katholischer queerer Initiative

Rund 20 katholische Verbände und Organisationen solidarisieren sich mit queeren Katholikinnen und Katholiken. "Es darf nicht länger hingenommen werden, dass Menschen in kirchlichen Kontexten aus Angst gegenüber Kirchenvertreter*innen ein Schattendasein führen müssen, wenn sie nicht dem von der Kirche normierten Geschlechterbild entsprechen", heißt es in einer am Montag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. Anlass sind Äußerungen der Betroffenen zu ihrer Sexualität beziehungsweise ihrer Geschlechteridentität im Rahmen einer bundesweiten Kampagne.

Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol (shutterstock)
Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol ( shutterstock )
Quelle:
KNA