Dem Münchner Missbrauchsgutachten war auch in Italiens Medienlandschaft viel Aufmerksamkeit gewidmet worden. Nicht nur die Rolle des emeritierten Papstes Benedikt XVI. stand im Fokus der Berichte, sondern auch die Täter, Fälle und Betroffenen. Gut eine Woche später trafen sich Italiens Bischöfe im Ständigen Rat. Missbrauch war ein Thema. Vor allem die Prävention. Aber Rufe nach einer Untersuchung und Aufarbeitung mehren sich - mit Verweis auf Deutschland und Frankreich.
In ihrer jüngsten Abschlusserklärung des Ständigen Rats hatten die Bischöfe Italiens am Donnerstag einen verstärkten Schutz von Missbrauchsbetroffenen zugesagt. Generalsekretär Stefano Russo schloss dabei - laut italienischen Journalisten erstmals - eine Untersuchung von Missbrauch in Italien nicht aus. Derzeit stünden aber Maßnahmen zum Betroffenenschutz im Vordergrund, so Russo.
"Gründliche und Ernsthafte Untersuchung"
In einem Interview mit dem Mailänder "Corriere della Sera" bezog der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, am Wochenende deutlicher Stellung. Die Kirche denke seit einiger Zeit darüber nach, "eine gründliche und ernsthafte Untersuchung der Situation in Italien in Angriff zu nehmen", sagte Bassetti, der seine Antworten offenbar gründlich abwog.
Es solle über die Zahlen hinaus, die für eine objektive Betrachtung der Realität grundlegend seien, eine weitergehende inhaltliche Aufarbeitung werden. Ziel sei es, die Präventionsarbeit und Ausbildung der Priester und Laien zu stärken und zu verbessern. Zwischenzeitlich würden Informationen der mittlerweile in allen Diözesen eingerichteten Jugendschutzzentren gesammelt. Es sei ein "fortschrittlicher und unaufhaltsamer Weg eingeschlagen" worden, so der Kardinal.
Jugenschutzzentren sollen Abhilfe schaffen
Bei den Jugendschutzzentren handelt es sich laut dem Erzbischof von Perugia um 56 Frauen und 47 Männer sowie 124 Priester oder Ordensleute. Die Laien seien Fachleute mit juristischer, psychologischer, medizinisch-psychiatrischer, sozialer und pädagogischer Ausbildung. Darüber hinaus gebe es in etwa 40 Prozent der Bistümer bereits diözesane und interdiözesane Beratungsstellen. Weitere sollten folgen.
Man wolle Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit nicht wiederholen und den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren lassen. "Aber Gerechtigkeit ist nicht gleich Rechtsprechung, und es wäre weder für die verwundete Gemeinschaft noch für die Kirche ein guter Dienst, wenn wir übereilt handeln würden, nur um Zahlen zu nennen", so Bassetti. Vor einigen Monaten hatte der Kardinal noch davor gewarnt, die "Plage der Pädophilie" auf der Basis von statistischen Hochrechnungen zu bekämpfen.
Das Bewusstsein habe sich bereits geändert
Was sich in den vergangenen Jahren sicherlich geändert habe, sei "das wachsende Bewusstsein für die Schwere des Verbrechens und der Sünde", so der Kardinal weiter. Es gebe mehr Untersuchungen und kirchenrechtliche Verfahren durch Bischöfe und Ordensleute und Betroffene träfen auf eine Gemeinschaft, die eher zuhöre und helfe.
Zugleich verweist Bassetti auf die "strukturellen, kulturellen und kirchlichen Unterschiede" Italiens mit Blick auf die durchgeführten Missbrauchsuntersuchungen in Deutschland und Frankreich. "Angefangen bei der sehr hohen Zahl der Diözesen", so der Kardinal. Italien hat weiterhin rund 220 Erzbistümer und Bistümer. Der Vatikan drängt seit Jahren auf eine deutliche Reduzierung, nahezu Halbierung der Diözesen. Bislang geht diese aber nur langsam vonstatten. Deutschland hat im Vergleich 27 Diözesen, in Frankreich sind es etwa 100.
Betroffenennetzwerke weiterhin kritisch
Aus Sicht von Missbrauchsvereinigungen in Italien wird das Problem weiterhin vorrangig unter den Teppich gekehrt. Das "Rete L Abuso" gilt als das größte Betroffenennetzwerk. Auf der Seite findet sich eine Liste an Geistlichen - mit Foto und Namen -, denen Missbrauch vorgeworfen wird oder die rechtskräftig verurteilt wurden. Rund 160 Namen stehen allein dort. Auf einer Karte sind die Fälle zudem den Diözesen zugeordnet.
Mitte Februar will das Netzwerk gemeinsam mit anderen Betroffenenverbänden eine Koordinierungsstelle gründen. Das Motto lautet "Gegen das große Schweigen - #ItalyChurchToo".