Ehemalige Heimkinder fordern Runden Tisch

Verlorene Jahre

Nach einer Anhörung des Bundestags-Petitionsausschusses hat der Verein ehemaliger Heimkinder einen Runden Tisch zur Aufarbeitung strukturellen Unrechts gefordert. Das müsse jetzt erfolgen und nicht erst in mehreren Jahren, sagte Rechtsanwalt Gerrit Wilmans am Montagabend in Berlin. Zudem forderte er den Gesetzgeber zum Handeln auf. Politik und Kirchen dürften nicht "auf eine biologische Lösung des Problems hoffen".

 (DR)

Zuvor hatten Experten in der nichtöffentlichen Beratung des Ausschusses betont, Missstände in Heimen seien in den 1950er, 60er und 70er Jahren ein strukturelles Problem gewesen. Seit 2006 befasst sich der Petitionsausschuss mit dem Schicksal von Heimkindern im Nachkriegsdeutschland. Der Verein fordert die Klärung fehlender Rentenanwartschaften für unbezahlte Arbeit der früherer Heiminsassen, für die keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt wurden. Weiter verlangt er von Staat und Kirchen eine Anerkennung moralischer Schuld wegen mangelnder Heimaufsicht. Der Verein geht von Tausenden Betroffener aus, die bis heute mit Problemen zu kämpfen hätten. Der Petitionsausschuss will seine Beratungen fortsetzen.

"Schon damals Unrecht"
Vier der Fachleute berichteten im Anschluss an die gut dreistündige Ausschusssitzung von dem Gespräch. Der Leiter des Instituts für Pädagogik der Universität Koblenz, Christian Schrapper, betonte, schon vor 50 Jahren hätten Fürsorgeheime in der Kritik gestanden. "Das war schon zur damaligen Zeit offensichtliches Unrecht", meinte er.

Der Berliner Erziehungswissenschaftler Manfred Kappeler bezeichnete die Qualifikation des pädagogischen Personals als katastrophal.
Bemerkenswert sei heute, dass für die "politisch opportune"
Aufarbeitung verfehlter Heimpädagogik in der DDR Geld vorhanden sei, für eine vergleichbare Forschung in den alten Bundesländern aber nur schwierig Mittel zu beschaffen seien. Der Berliner Sozialrechtler Johannes Münder betonte, in den 50er Jahren hätten sich die kirchlichen Träger massiv gegen eine gesetzliche Regelung der Heimaufsicht gewehrt.

Laut Wilmans machen die Expertenschilderungen deutlich, dass es nicht nur um Unrechts-Einzelfälle, sondern eine Systematik gehe. Deren Folge sei eine Vielzahl traumatisierter Menschen und zerstörter Biografien. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Ackermann, der dem Petitionsausschuss angehört, bekräftigte, das Gremium nehme das Thema sehr ernst und denke auch über die Form etwaiger Entschädigungen nach. Notwendig sei eine lückenlose Aufklärung der Vorkommnisse.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe haben die Kirchen mehrfach ihre "moralische Verantwortung" für frühere Missstände eingeräumt, zugleich aber vor falschen Verallgemeinerungen gewarnt. Aus ihrer Sicht spricht nichts dafür, dass die von den Anwälten der Betroffenen prognostizierte Opferzahl von 15.000 etwas mit der Realität zu tun haben könnte.

Eine systematisch angeordnete oder geduldete Misshandlung sei jedenfalls auszuschließen. Der Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE) hatte bereits 2006 erklärt, dass Misshandlungen keine generelle Praxis in kirchlichen Heimen gewesen seien.