Das Transparent am Gitter vor der Kathedrale in Madrid weckt Neugier und Vorfreude. "Die spektakulärste Krypta-Kapelle in Spanien", steht dort auf Englisch. Da darf man die Messlatte beim Gang in den Untergrund hoch anlegen – und wird hineingesogen in einen eigenen Kosmos.
Wer das Wort Krypta hört, mag denken: klein und kühl, schummerig, ein wenig feucht vielleicht, verborgen unter dem Chor oder Altarraum. Doch in den Tiefen unter der Kathedrale Santa Maria la Real de la Almudena in Spaniens Hauptstadt ist alles anders, allein von der Größe her. Die Ausmaße des Untergrunds entsprechen in etwa denen des Gotteshauses selber, das eine Fläche von annähernd 5.000 Quadratmetern einnimmt.
Wälder aus Säulen
Von dort oben führt keine schmale Treppe hinab, wie manchmal in anderen Krypten, sondern es geht separat von einer Seitenstraße her durch ein breites Portal hinein. Wie zum Empfang steht die Skulptur eines kleinen Gottesdieners mit einer Spendenbox für die Caritas dort. Dahinter öffnet sich eine eigene Welt aus langen Gangfluchten und Wäldern aus Säulen.
Die Krypta ist buchstäblich eine riesige Überraschung, ein Unikat, ein architektonisches Ereignis – aber baugeschichtlich vergleichsweise jung. Der Grundstein der Kathedrale wurde 1883 gelegt, die neoromanische Krypta 1911 vollendet. Der Stil setzt den Kontrast zur Neogotik der Kathedrale, die erst 1993 ihre Weihe durch Papst Johannes Paul II. erfuhr. Höchste Verehrung bei den Gläubigen genießt das Marienbildnis, das den Namen Almudena trägt und als Madrider Schutzpatronin fungiert; ihr Ehrentag ist der 9. November.
Magisches Licht
Düster und gespenstisch? Die Krypta steht genau für das Gegenteil. Sie treibt ein Spiel mit Perspektiven, Symmetrien, Illuminationen. Hängelampen verbreiten dezentes Licht. Strahler, teils in den Boden eingelassen, setzen die über 400 Säulen mit ihren Kapitellen punktgenau in Szene; auf ihnen dominieren pflanzliche Motive wie Blüten, Ranken, Knospen. Bei Messen in der zentralen Hauptkapelle werden die Schalter auf eine durchdringende Beleuchtung umgelegt, die auch die Bildnisse akzentuieren. Die erhöhten Ehrenplätze hinter dem Altar zeigen das Heilige Herz Jesu, eine dunkle Madonna mit dem Kind und den Madrider Stadtpatron Isidor.
Wegen der geografischen Gegebenheiten am abfallenden Rand des Altstadtplateaus ist die Krypta nicht vollends im Boden versunken. Zu einer Längsseite hin dringt natürliches Licht durch Buntglasfenster, die stilisierte Blüten und Blätter zeigen, aber auch Persönlichkeiten wie den heiligen Papst Damasus I.
Auch Mausoleum
In einer der 20 Seitenkapellen wirft ein Christusbildnis hinterrücks den Schatten an die Wand, flutet Licht durch schmiedeeiserne Gitter, schaut man auf eine Plastik der heiligen Familie. Nicht so recht ins Bild wollen elektrische Kerzenkästen passen.
Die Krypta fungiert gleichzeitig als Mausoleum. Unter den mehr als 1.500 Grabstätten finden sich vornehmlich Vertreter der spanischen Bourgeoisie; ein Grab wie das der Wohltäterin und elffachen Mutter Amparo Portilla Crespo (1925-1996), die 2021 von Papst Franziskus als "ehrwürdig" erklärt wurde, ist die Ausnahme. Achten sollten Besucherinnen und Besucher beim Rundgang auf Stolperfallen: Auf manchen Bodengrabplatten haben Angehörige Blumengebinde, teils auch Sträuße in Vasen, hinterlassen.
"Überwältigend"
Selbst viele Spanier, sogar Madrider, reagieren erstaunt darauf, welche Pracht und Stimmung sich im Untergrund verbirgt. "Die Architektur der Krypta ist überwältigend", schwärmt Juanito aus Madrid. "Für mich ist die Krypta viel interessanter als die Kathedrale", sagt Maria del Carmen, ebenfalls aus Madrid. "Stille und Frieden" sind das, was Javier aus Ciudad Real am meisten schätzt – denn die Krypta ist kein klassisches Besuchsziel, das die Massen anlockt.
Auch vereinzelte Gäste aus Deutschland zeigen sich beeindruckt: "Muss man gesehen haben", urteilt Viviane aus Sauerlach. Und Marcus aus Dresden rät: "Wer in Madrid ist, sollte hier unbedingt vorbeischauen und verweilen."