DOMRADIO.DE: Dürfen wir neidisch sein, wenn jemand vor uns geimpft wird, der aus unserer Sicht noch gar nicht dran ist?
Bruder Paulus Terwitter (Kapuzinerpater): Ich glaube, das sucht man sich ja nicht aus, ob man neidisch wird, sondern irgendwie spürt man, da ist jemand im Vorteil mir gegenüber. Und dann kommt unmittelbar ein Gefühl auf, dass das ungerecht sei. Fragen kommen auf, wie: Warum ich eigentlich nicht? Warum der? Diese Gefühle mit Sachinformationen zu bekämpfen, ist der richtige Königsweg.
DOMRADIO.DE: Wir könnten uns doch eigentlich auch für den anderen freuen und denken: Ja, irgendwann bin ich dann auch tatsächlich dran, oder?
Br. Paulus: Leider muss man sagen, ist das noch nicht so sicher, wann man wirklich dran ist. Und von daher brauchen wir umso mehr gute Informationen von der Politik und eine gute Einkaufspolitik, dass genügend Impfdosen zur Verfügung stehen. Sich einfach zu freuen über den, der das schon gekriegt hat, ist schon eine Meisterleistung der Nächstenliebe. Sie wird dann umso besser möglich, je mehr ich in einer Familie gesichert bin, aber auch in einem christlichen Glauben, der eine Zuversicht aus Gott schöpft und nicht aus irgendwelchen vergleichenden Beobachtungen in der Welt.
DOMRADIO.DE: Haben Sie denn das Gefühl, dass es beim Impfen in Deutschland gerade grundsätzlich gerecht zugeht?
Br. Paulus: Ich kann das von außen nicht beurteilen, dazu fehlen mir die Informationen. Ich hoffe, dass diejenigen, die Verantwortung tragen, jetzt nicht anfangen, das irgendwelchen interessierten Gruppen zuzuschustern. Ich selber bin ja Leiter einer Obdachloseneinrichtung des Franziskustreffs hier in Frankfurt. Wir dürfen Priorität zwei ausstellen, Bescheinigungen an unsere Ehrenamtlichen.
Und da juckt es mir natürlich schon in den Fingern, so ein paar Freunden unter der Hand eine Bescheinigung zukommen zu lassen, dass die etwas schneller geimpft werden können. Aber dann haue ich mir auf die Finger und sage: Du bist ein Christ, du bist ein guter Mensch. Du musst dich bitte an die Ordnung halten. Und ich vertraue darauf, dass die Verantwortlichen ebensowenig selbstsüchtig wie ich sind.
DOMRADIO.DE: Es scheint ja beim Impfen gerade so zu sein, dass derzeit vor allem diejenigen an Termine kommen, die sich erfolgreich durch Behördendschungel, durch Anträge und Formularfluten kämpfen. Ist das denn gerecht?
Br. Paulus: Ich denke, dass es einfach ist, sich anzumelden, wenn man einen Computer hat. Es ist schwieriger, wenn man mit einer Hotline telefonieren muss, und ich kann nur die franziskanische Haltung des Bettelns mal aufrufen. Alle diejenigen, die unsicher sind, wie man sich richtig und schnell anmeldet: Sie haben Enkel, Sie haben Neffen, Sie haben Nachbarn, die vielleicht ein bisschen fitter sind mit dem Computer. Und da ist das innerhalb von zwei Minuten gemacht, sich anzumelden. Das betrifft mittlerweile auch die Wartelistenhomepage, die einige Landkreise zur Verfügung stellen.
DOMRADIO.DE: Sie haben es eben gesagt: Sie stehen natürlich in Kontakt mit vielen wohnungslosen Menschen und Familien in prekären Situationen, von denen wir wissen, dass sie sich überdurchschnittlich häufig auch mit Corona anstecken. Wird an diese Menschen genug gedacht?.
Br. Paulus: Im Moment haben wir hier bei uns das Glück, dass es in der Stadt Frankfurt tatsächlich eine Task Force gibt, ein Einsatzteam, das sich um die Bedürfnisse von Obdachlosen kümmert. Und wir durften an dieses Team jetzt melden, wie viele Gäste wir in unserem Frühstückstreff jeden Tag haben und wieviel Ehrenamtliche und Hauptamtliche.
Da kommt jetzt ein Impfteam vorbei und impft unsere obdachlosen Gäste. Ob das in den nächsten zwei Wochen schon sein wird, weiß ich nicht. Aber ich habe volle Hochachtung davor, dass die Zivilgesellschaft offensichtlich unsere obdachlosen Mitmenschen auch im Blick hat.
DOMRADIO.DE: Heute kam die Meldung, dass Bund und Länder planen, die Impfpriorisierung aufzugeben und das bereits ab Ende Mai. Dann wäre ja alles gut?!
Br. Paulus: Dann werden sich halt Warteschlangen bilden und der eine hat mehr Beziehung zu seinem Hausarzt wie der andere. Man wird das nicht ganz verhindern können, dass Informationen schneller an die einen gelangen als an die anderen. Das sieht man am Sommerschlussverkauf und am Ende sieht man es bei jedem Pfarrfest, wenn der Würstchenstand grillt. Da können die Leute nicht warten, tun so, als seien sie ausgehungert. Und dann gibt es einen Streit um die erste Bratwurst. Das ist dann auch menschlich und das muss man vielleicht auch ein bisschen sportlich nehmen.
Das Interview führte Carsten Döpp.