Ein ehemaliger Botschafter zur Lage in Kuba

"Der Stabwechsel kommt"

In Kürze erscheint das Buch "Kuba im Umbruch - von Fidel zu Raul Castro" von Bernd Wulffen. Der langjährige Diplomat war von 2001 bis
2005 deutscher Botschafter in Havanna. Ein Gespräch über die Zukunft des kommunistisch regierten Landes nach dem Machtwechsel und die Rolle der Kirche bei einem möglichen Wandel.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

KNA: Herr Wulffen, Sie kennen Fidel Castro persönlich. Was für ein Mensch ist der Maximo Lider?
Wulffen: Er ist auch im hohen Alter eine charismatische Persönlichkeit geblieben, mit einer erstaunlichen Fähigkeit, andere für sich einzunehmen. Raul Castro erschien mir wesentlich zurückhaltender.

KNA: Wie steht es um Kuba im Jahr 2008?
Wulffen: Das kubanische Wirtschaftsmodell ist gescheitert, und ein großer Teil der landwirtschaftlichen Anbauflächen liegt brach. Raul versucht, die Lage durch Landzuteilungen zu verbessern. Kuba war lange Zeit auf die sozialistischen Bruderländer angewiesen und muss nun dringend umsteuern. Aber wirkliche Reformen lassen bislang auf sich warten.

KNA: Ein wirklicher Wechsel steht also noch aus?
Wulffen: Enttäuschenderweise ist der Generationswechsel ausgeblieben. Die Führungsschicht ist im Schnitt weit über 70 Jahre.  Und die alte Riege setzt auf eine behutsame Öffnung, auf eine kontrollierte Evolution, keine Revolution.

KNA: Mit dem Ziel eines politischen Wandels?
Wulffen: Nein, es geht vor allem um Wirtschaftsreformen auf dem Land.

KNA: Und das Volk ist duldsam? Glaubt es noch an die Revolution?
Wulffen: Das Volk ist erstaunlich duldsam. Raul hat etwas Hoffnung geweckt. Die Menschen können inzwischen gegen Devisen und zu hohen Kosten Handys oder Computer kaufen. Aber der entscheidende Schritt einer Liberalisierung der Wirtschaft steht weiter aus.

KNA: Wie rechtfertigt man den offensichtlichen Verfall im Land?
Wulffen: Fidel war immer schnell bei der Hand, die USA für Fehlentwicklungen im eigenen Land verantwortlich zu machen. Raul ist rhetorisch zwar nicht so aggressiv, aber in der Sache ebenso wenig konziliant wie sein Bruder. Er betonte unlängst, dass Kuba auf einen bewaffneten Konflikt vorbereitet sein und das Militär besser ausrüsten müsse.

KNA: Wie ist die Lage der Menschenrechte?
Wulffen: Sie hat sich unter Raul nur geringfügig verbessert. Er änderte einige Todesurteile in lebenslange Haftstrafen. Aber die Regierung verfolgt weiterhin die Opposition. Von den vor fünf Jahren festgenommenen 75 Oppositionellen sind noch immer mehr als 50 inhaftiert. Sie haben Gefängnisstrafen von bis zu 28 Jahren erhalten. Auch die angekündigte größere Meinungsfreiheit wird wohl nur für Äußerungen in Anspruch genommen werden können, die sich im Rahmen der Revolution bewegen. Vielleicht könnte sich aber eine Besserung nach dem Parteikongress im kommenden Jahr anbahnen.

KNA: Welche Rolle spielt die Religion?
Wulffen: Eine große Zahl von Kubanern folgt noch der Santeria, einer afroamerikanischen synkretistischen Religion. Insgesamt gehen nur rund 800.000 der elf Millionen Kubaner regelmäßig zur Kirche. Für viele Unterdrückte und Arme ist sie ein Zufluchtsort und ein Trost.
Zahlreiche Kubaner sind in den vergangenen Jahren religiöser geworden. Sie lassen sich wieder taufen, gehen zur Kirche, schließen christliche Ehen. Das ist eine sehr interessante Entwicklung.

KNA: Welches Ansehen hat die Kirche in der Öffentlichkeit?
Wulffen: Durch ihre umfangreiche karitative Tätigkeit genießt sie hohes Ansehen. Das gilt auch für Kardinal Jaime Ortega und die anderen Bischöfe. Ihnen wird eine wichtige Rolle im beginnenden Übergang beigemessen; sie gelten als moralische Autoritäten. Der Kardinal würde das zwar nachdrücklich von sich weisen, de facto sehe ich die Kirche aber in der Rolle einer - allerdings konstruktiven, behutsam agierenden - Opposition. Das hängt auch mit der Schwäche der eigentlichen kubanischen Opposition zusammen. Sie ist zersplittert und hat keine allgemein anerkannte Führungspersönlichkeit.

KNA: Welche Politik verfolgen die Bischöfe?
Wulffen: Nachdem sie sich eine Zeit lang durchaus konfrontativ gegenüber der Regierung verhielten, suchen sie nun einen modus vivendi. Ganz ähnlich wie die Europäische Union hoffen sie auf Reformen in naher Zukunft und versuchen, einen Dialog mit der Regierung zu finden. Kardinal Ortega ist ein umsichtiger, ausgleichender Charakter, der auch Verständnis für die andere Seite zeigt. Allerdings kann er auch sehr deutlich werden, wie sein kritischer Hirtenbrief von 2003 zeigte.

KNA: Was hat der Besuch von Papst Johannes Paul II. 1998 bewirkt?
Wulffen: Er hat bei vielen Kubanern Hoffnungen geweckt, die aber kaum erfüllt wurden. Allerdings ist die Kirche wieder in der Öffentlichkeit sichtbar: Die Christen können das Weihnachtsfest feiern, und es gibt wieder öffentliche Prozessionen, etwa in der Karwoche. Außerdem hat sich die Repression gegenüber der Kirche abgeschwächt. Spektakuläre Veränderungen blieben aber aus. Jetzt, wo die Kirche einen etwas versöhnlicheren Ton anschlägt, bessert sich die Lage.

KNA: Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone war im Februar auf Kuba und hat dabei den Grundstein für das erste Priesterseminar seit
1959 gelegt. Könnte der Vatikan eine Rolle bei einem Übergang zur Demokratie spielen?
Wulffen: Das sind natürlich Spekulationen, aber ich könnte mir vorstellen, dass der Vatikan sich eine Entspannung des Verhältnisses zwischen den USA und Kuba wünscht. Raul hat bereits mehrfach betont, er sei zu Gesprächen mit den USA bereit. Und der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter sagte bereits 2002 in Havanna, dass das größere Land den ersten Schritt gehen müsse.

KNA: Allerdings dürften die Exil-Kubaner in den USA dagegen sein.
Wulffen: Auch hier könnte die katholische Kirche und ihr Eintreten für Versöhnung zwischen Havanna und den Exil-Kubanern ein Ansatzpunkt sein. Washington wird keine Politik betreiben, die über die Interessen der Exil-Kubaner hinweggeht. In dem Maße, wie es also gelingt, über den Gedanken der Versöhnung die Exil-Kubaner mit ins Boot zu bekommen, wird die Sache auch für Washington einfacher.

KNA: Wie lange kann sich das Regime in Havanna halten?
Wulffen: Das hängt nicht nur von der kommunistischen Führung ab, sondern auch von Rahmenbedingungen in der Region. Denken sie nur an die Rolle des venezolanischen Staatschefs Hugo Chavez. Kuba bezieht riesige Erdöllieferungen, die wohl zum Teil gratis aus Venezuela kommen. Die Machtstrukturen mit Partei und Militär als tragenden Säulen sind wesentlich fester gefügt, als viele meinen. Allerdings wird in den kommenden fünf bis zehn Jahren zwangsläufig der Stabwechsel stattfinden. Dann werden die Karten neu gemischt.