Als in Deutschland die Synagogen brannten

Ein Ereignis mit Vorgeschichte

Am 9. November 1938 brannten Deutschlands Synagogen. In diesem Jahr müssen die meisten Gedenkveranstaltungen wegen der Corona-Pandemie online stattfinden - oder ganz ausfallen.

10. November in Deutschland (dpa)
10. November in Deutschland / ( dpa )

"Der Sturm begann nachts halb drei Uhr", berichtete die "Neue Zürcher Zeitung" über die Ereignisse in Berlin. "Dunkle Gestalten durchzogen die Straßen und eröffneten mit Pflastersteinen ein Bombardement auf die Schaufenster...Die Polizei blieb unsichtbar und antwortete auch nicht auf telefonische Anrufe der verängstigten Geschäftsinhaber."

Novemberpogrom: Vor 82 Jahren, am Abend des 9. November 1938, vollzog sich in Deutschland der bis dahin größte Pogrom der Neuzeit in Mitteleuropa. Nur wenige Meter entfernt von der Münchner Synagoge hatte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in einem Bierkeller das Signal zum Losschlagen gegeben.

"Das Volk wird handeln"

In seiner Hetzrede zum Gedenken an den Hitlerputsch vom 9. November 1923 wiegelte er die Parteigenossen auf. "Ich rede kurz vor der Parteiführerschaft. Stürmischer Beifall", notierte er in sein Tagebuch. "Alles saust gleich an die Telefone. Nun wird das Volk handeln." SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich schob später ein Telegram hinterher mit der Bitte, deutsches Leben und Eigentum zu verschonen, "zB. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist".

Als Anlass für den vermeintlichen Ausbruch des Volkszorns nutzten die Nazis die Ermordung des deutschen Botschaftsangehörigen Ernst vom Rath durch den 17-jährigen Juden Herschel Grünspan am 7. November in Paris. Er wollte damit gegen die Abschiebung seiner Familie aus Deutschland protestieren.

Der Volkszorn wird angefeuert

Schon einen Tag nach dem Attentat ereiferte sich die Parteizeitung der NSDAP, der "Völkische Beobachter", darüber, dass in Deutschland "Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstraßen beherrschen". Obwohl die meisten Ausschreitungen in der Nacht des 9. November stattfanden, dauerten die Ereignisse länger: An einigen Orten, etwa in Nordhessen, brachen die ersten Unruhen schon in der Nacht des 7. November aus. Gewaltexzesse gab es bis zum 13. November.

91 Tote, so lautete die offizielle Bilanz. Nach neueren Forschungen starben während und in Folge des Pogroms mehr als 1.300 Menschen; mehr als 1.400 Synagogen und Beträume wurden verwüstet und etwa 7.500 Geschäfte geplündert. Mehr als 30.000 männliche Juden wurden in Konzentrationslager gebracht.

Die Vorgeschichte

Die auch als Reichskristallnacht bezeichneten Gewalthandlungen hatten eine Vorgeschichte: Körperliche Übergriffe, Einschüchterung und Entrechtung waren in Deutschland bereits seit der Machtergreifung Hitlers 1933 an der traurigen Tagesordnung. Die Nürnberger Gesetze legten seit 1935 fest, wer Jude war, viele hatten plötzlich Berufsverbot. Weitere Gesetze beschränkten den Zugang zu öffentlichen Räumen, auch war jüdisches Eigentum vielfach bereits enteignet - "arisiert" - worden.

Für die Schäden des Novemberpogroms mussten die Juden selbst aufkommen. Versicherungszahlungen wurden ihnen nicht zugestanden. Stattdessen verlangte die Reichsregierung auch noch eine Kontribution in Höhe von einer Milliarde Reichsmark als vermeintliche "Sühneleistung".

Beginn der Schoah

Die Pogrome markierten den Übergang von der Diskriminierung und Ausgrenzung jüdischer Deutscher hin zur systematischen Verfolgung und zur Schoah. Von den Novemberpogromen führte der Weg nach Auschwitz, Treblinka und Buchenwald. "Am 9. November 1938 änderte sich alles", schreibt der Historiker Wolfgang Benz. "Aus dem Antisemitismus, der die gesellschaftliche Diskriminierung der Juden begründete und seit 1933 Staatsdoktrin war, wurde Verfolgung, die in Vernichtung mündete."

Der Leiter des Zentrums für Holocauststudien in München, Frank Bajohr, interpretiert den Pogrom als Zeichen dafür, dass die Nationalsozialisten sich ziemlich sicher fühlten. "Es hätte nicht ernsthaft des Todes von Herrn vom Rath bedurft, um die Pogrome in Gang zu setzen", sagt er. Im März 1938 hatte die Mehrheit der Österreicher den Einmarsch deutscher Truppen und den Anschluss an das Reich bejubelt, im Oktober hatte Deutschland das Sudetenland besetzt. Hitlers Position war gefestigt.

Das Ausland nahm die Ereignisse hin. Zwar gab es weltweit viel Mitleid mit den Juden. Aber nur wenige Länder waren bereit, jüdische Auswanderer in größerer Zahl aufzunehmen.

Christoph Arens

 

Quelle:
KNA