DOMRADIO.DE: Am Montag wurde gegen die Caritas demonstriert. Warum wollte die Caritas diesen Tarifvertrag nicht unterschreiben?
Prälat Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes): Ganz so einfach ist es ja nicht. Es ist eine Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes, die paritätisch besetzt ist aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Es ist also keine Entscheidung des Präsidenten oder des Vorstandes.
Zudem hätte auch die Arbeitsrechtliche Kommission der Diakonie zustimmen müssen. Und außerdem wurden vom Bund der Arbeitgeber und dem Verband privater Pflegeanbieter Klagen angedroht.
DOMRADIO.DE: Was für Klagen wurden denn da angedroht?
Neher: Der Vorwurf lautete, dass die privaten Arbeitgeber in keinster Weise hier bei einer solchen Allgemeinverbindlichkeitserklärung beteiligt seien. Und deswegen wurde mit Klage gedroht, weil es nicht sein könne, dass das dann letztlich nur mit Caritas und Diakonie ausgehandelt wird.
Das ist der Hintergrund dieser Klageandrohungen. Ob sie gekommen wären, wissen wir nicht, aber sie waren angedroht.
DOMRADIO.DE: Das heißt, wenn Caritas und Diakonie zugestimmt hätten, dann hätten die Privaten möglicherweise geklagt?
Neher: Genau.
DOMRADIO.DE: Die Caritas gibt ja an, bessere Löhne und Arbeitszeitregelungen zu haben als die Privaten. Was wären denn dann die Folgen eines flächendeckenden Abschlusses gewesen? Kann man sagen, die Caritas-Angestellten hätten dann weniger Geld bekommen?
Neher: Nein. Ich muss dazu sagen, ich selber hätte mir aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive und sozialpolitischer Verantwortung gewünscht, dass die Kommission dieser Allgemeinverbindlichkeit zustimmt, weil ich den gesamtgesellschaftlichen Nutzen für höher einschätze als mögliche Risiken für die Caritas.
Rein gesetzlich hätte es zur Zeit keine Möglichkeit gegeben, den Caritas-Tarif abzusenken. Aber es bestand die Sorge, wenn es einen sogenannten Norm-Tarif gibt, der niedriger ist als der Caritas-Tarif, dass dann möglicherweise in Zukunft, wenn die Kassen sparen müssen, wenn der Staat sparen muss, dann doch jemand auf die Idee kommen könnte, nur den niedrigeren Tarif zu refinanzieren.
Das war eine Sorge. Ich persönlich hätte diese Sorge als nicht so gravierend empfunden. Aber die Mehrheit in der Arbeitsrechtlichen Kommission hat das offenbar anders gesehen.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist es so, dass diese besseren Löhne, die die Caritas zahlt, auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem Markt verschaffen, wo dringend Fachkräfte gesucht werden. Standen bei diesem Nein möglicherweise auch Eigeninteressen der Caritas im Mittelpunkt?
Neher: Es ist das Anliegen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in der Arbeitsrechtlichen Kommission, diese Tarife zu bewerten. Und zunächst mal kann denen niemand verübeln, wenn sie das tun, für das sie gewählt sind. Das andere ist ein gesamtgesellschaftlicher Aspekt.
Deswegen betone ich noch einmal, ich hätte es als einen wichtigen Weg empfunden, tatsächlich in die Allgemeinverbindlichkeit zu gehen. Was aber grundsätzlich nicht heißt, dass es nicht auch andere Wege gibt, die Situation in der Pflege zu verbessern.
Und das ist nach wie vor eine wichtige Aufgabe, ganz unabhängig davon, wie das nun diese Kommission der Caritas im Moment entschieden hat.
DOMRADIO.DE: Die Meinung in der Öffentlichkeit ist nun so, dass die Caritas höhere Löhne für alle in der Pflege verhindert. Ist das ein schwieriges Signal, zumal jetzt in Zeiten, wo ja auch die katholische Kirche wegen anderer Themen öffentlich in der Kritik steht?
Neher: Das dürfen Sie mir glauben, dass das für mein Empfinden ein ganz furchtbares Signal ist. Zum einen, weil es einfach nicht der Realität entspricht, weil der Deutsche Caritasverband seit vielen Jahren für verbesserte Bedingungen in der Pflege arbeitet. Zum zweiten, weil diese Allgemeinverbindlichkeit ein Weg zur Verbesserung ist, aber nicht der einzige.
Die Bindung der Refinanzierung an Tariflöhne, die dringend notwendige Pflegereform, die auch dafür Sorge trägt, dass die zusätzlichen Kosten durch höhere Löhne nicht bei den Angehörigen und den Pflegenden hängenbleiben: Das ist ja alles offen.
Deswegen ist es so dringend notwendig, dass Gesundheitsminister Spahn jetzt wirklich dringend ein entsprechendes Reformpaket vorlegt, das die gesamte Pflegesituation tatsächlich weiterentwickelt. Jetzt nur auf die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags in der Pflege zu setzen, springt einfach zu kurz und ist im Moment für uns ein ganz, ganz schlimmes Narrativ, weil hier der Caritas eine Verantwortung zugeschoben wird, die überhaupt nicht angemessen ist.
Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.