Kritik am gescheiterten Branchentarif in der Pflege

Ist der "Dritte Weg" der Kirchen in Gefahr?

Die Kirchen haben ein eigenes System zur Aushandlung von Arbeitsvertragsbedingungen – aber nachdem die arbeitsrechtliche Kommission der Caritas einem Branchentarif in der Pflege nicht zugestimmt hat, wächst der Ärger über den sogenannten "Dritten Weg".

Pflege in Corona-Zeiten / © Harald Oppitz (KNA)
Pflege in Corona-Zeiten / © Harald Oppitz ( KNA )

Beim Ziel sind sich Politik und Kirchen einig: die Löhne und Arbeitsbedingungen im Bereich der Pflege sollen besser werden. Nur der Weg dahin ist umstritten und vor allem die Caritas musste viel Kritik einstecken, es gibt aber auch Verständnis für ihre Position.

Die Kommission der Caritas hatte vergangen Woche darüber abzustimmen, ob ein zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) geschlossener Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden soll. Er hätte den bisherigen Branchenmindestlohn ersetzt.

Werden durch den Tarif Mehrkosten nicht mehr erstattet?

Da katholische Caritas und evangelische Diakonie zusammen etwa 30 Prozent der rund 1,2 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege stellen, hängt die flächendeckende Einführung eines Tarifvertrags von ihrer Zustimmung ab – die aber die Caritas verwehrte und damit die Diakonie in die komfortablere Situation brachte, sich nicht mehr entscheiden zu müssen. Seitdem wird vor allem die Caritas von Politik und Gesellschaft kritisiert.

Sie begründet ihr Nein damit, dass sie schon jetzt "deutlich über Mindestlohn und dem geplanten Flächentarif" zahlt und unter anderem die Sorge hat, dass die Kostenträger (im Wesentlichen die Pflegekassen) sich künftig am Tarifvertrag Altenpflege als Norm orientieren und die Mehrkosten der Einrichtungen nicht mehr refinanzieren, die höhere Löhne zahlen.

Autonomie der Kirchen wird in Frage gestellt

Dieser Argumentation schließen sich aber längst nicht alle an, Kritik kommt aus Teilen der evangelischen wie der katholischen Kirche, der Sozialverband VdK Deutschland warnt vor den Folgen für die Pflegebedürftigen. Auch der zuständige Arbeitsminister Hubertus Heil zeigt sich verärgert. Besonders die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Tack, kritisiert die Caritas deutlich und fordert als Konsequenz, die Autonomie der Kirchen bei der Lohnfindung auf den Prüfstand zu stellen.

Diese besondere Stellung hat die Kirche durch den sogenannte "Dritten Weg":  Die Arbeitsbedingungen werden nicht durch Tarifverträge, sondern durch paritätisch besetzte arbeitsrechtliche Kommissionen festgelegt. Denn nach Ansicht der Bischofskonferenz sind weltliche Instrumentarien zur Regelung der Arbeitsvertragsbedingungen (Tarifvertrag, Streik und Aussperrung) mit dem Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft unvereinbar.

Kirche ist ohnehin schon unter Druck

Diese Sonderstellung wird jetzt mehr denn je in Frage gestellt – das befürchtet auf DOMRADIO.DE-Anfrage der Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) Andreas Luttmer-Bensmann: "Die Sonderwege in der katholischen und der evangelischen Kirche werden sowieso mit großer Kritik gesehen. Und wenn dann tarifliche Auseinandersetzungen nicht funktionieren, ist das mit ein Grund, die Sonderwege infrage zu stellen." Dazu kommt die aktuelle Kritik an der Missbrauchsaufarbeitung der Kirche. Wenn der Eindruck von "Gemauschel" und Intransparenz vorherrsche, sei das ein zusätzlicher Vorwurf, "der das Ganze in Frage stellen" könnte, so Luttmer-Bensmann weiter.

Der KAB-Bundesvorsitzende sieht nun vor allem die Pflegekräfte im Nachteil, die keinerlei Tarifbindung unterliegen und "die in der Pflege genau die gleiche Leistung erbringen wie die Kolleginnen und Kollegen aus den kommunalen Einrichtungen wie auch aus den Caritas- und Diakonie-Einrichtungen". Sie seien aber nach wie vor verwiesen auf die Rahmenbedingungen des allgemeinen Mindestlohns in der Pflege und die Rahmenbedingungen, die dann in den einzelnen Häusern gesetzt würden. Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag hätte stattdessen für die gesamte Pflegebranche Mindestbedingungen etwa für Gehälter und Urlaubsansprüche gebracht.

Unterstützung für die Position der Caritas

Unterstützung für die Caritas kommt vom Bund Katholischer Unternehmer (BKU). Der Versuch, einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflege zu erwirken, werde entgegen zahlreicher öffentlicher Wortmeldungen der Wirklichkeit nicht gerecht. Es gebe im deutschen Wohlfahrtssystem kommunale Anbieter, private Unternehmer und unterschiedliche Wohlfahrtsverbände. Jeder Träger habe eine eigene Geschichte, eine eigene Organisation und ein eigenes Vergütungssystem. Daran scheitere auch der Versuch eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags. Wenn nun ein Arbeitsminister versuche, mit einer dieser Parteien eine Übereinkunft zu erzielen, stoße er auf den Widerstand vieler anderer: "Gerade eine solche Einmischung der Politik ist kontraproduktiv, weil sie den föderalen und subsidiären Grundsätzen widerspricht, auf denen unser Pflegesystem bis heute aufgebaut ist", betont der BKU-Vorsitzende Ulrich Hemel.

Keine leichte Entscheidung

Auf absehbare Zeit hin wird also ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag nicht kommen – einig sind sich aber alle, dass Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Pflegekräfte verbessert werden müssen. Das sieht auch die Caritas so und betont, dass "dies nur im Rahmen einer umfassenden Reform des gesamten Pflegesystems geschehen kann". Der oberste Vertreter der Caritas-Dienstgeber, Norbert Altmann betont gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass man sich die Entscheidung gegen den Tarifvertrag "absolut nicht leicht gemacht" habe. Konsequenzen für den "Dritten Weg" befürchtet Altmann aber nicht. 

Mathias Peter (DR) mit Material von KNA und epd


Andreas Luttmer-Bensmann, Bundesvorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (privat)
Andreas Luttmer-Bensmann, Bundesvorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung / ( privat )