Bedeutet Corona das Aus für die Citypastoral?

"Ein großes Problem, aber kein Todesstoß"

Corona hat die Innenstädte leer gefegt. Das merkt nicht nur der Einzelhandel, sondern auch die Citypastoral. Mit zeitgemäßen, urbanen Konzepten könne sie über die Pandemie hinaus eine Zukunft haben, meint Pastoralforscherin Veronika Eufinger.

Leere Straße in der Innenstadt von Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Leere Straße in der Innenstadt von Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was unterscheidet so eine Citypastoral von einer Kirche in der Innenstadt, die einfach ihr reguläres Programm anbietet mit Gottesdiensten, Jugendarbeit, Frauengemeinschaften und so weiter?

Veronika Eufinger (Zentrum für angewandte Pastoralforschung in Bochum): Idealtypischerweise zeichnet sich Citypastoral dadurch aus, dass sie eher punktuelle, passagere "Touch-and-Go"-Kommunikation betreibt. Wenn man von den religiösen Sozialformen ausgeht, haben wir hier kein gruppenförmliches Angebot in der Regel, sondern ein Angebot, das immer in seiner Interaktion zeitlich begrenzt ist.

Passager bedeutet ja "im Vorbeigehen" und soll somit die "Laufkundschaft" ansprechen. Das sind Menschen, die sich ohnehin in der City aufhalten, sei es aus Gründen der Freizeit, des Konsums oder auch Arbeit. Diese Menschen will man im Vorbeigehen mit spirituellen Impulsen etwa kurzfristig berühren, ohne die Leute langfristig zu verpflichten.

DOMRADIO.DE: Gibt es Personengruppen, die man mit der Citypastoral besonders gut erreicht und in der regulären, normalen Gemeinde vielleicht weniger oder überhaupt nicht?

Eufinger: Wir haben grundsätzlich ja im Katholizismus in Deutschland das Problem einer sogenannten Milieuverengung. Das bedeutet, dass die klassische Pfarrei- und Gemeindepastoral nur einen immer kleiner werdenden, aber auch immer älter werdenden Ausschnitt der Gesellschaft in optimaler Weise anspricht.

Große Teile der Gesellschaft, gerade eher die zukunftsorientierten Milieus, jüngere Menschen, werden hingegen immer weniger von Gemeindepastoral erreicht. Gerade diese kirchenfernen Zielgruppen sollen ihrem Selbstverständnis nach von Citypastoral jetzt in besonderer Weise erreicht werden.

DOMRADIO.DE: Die Citypastoral lebt von der "Laufkundschaft", also etwa Menschen, die zum Einkaufen in die Stadt kommen. Wenn ich hier im Moment in Köln aus dem Fenster gucke, dann ist da nicht besonders viel, und auch am letzten Lockdown war da nichts los. Kann man sagen, dass Corona der Todesstoß ist für die Citypastoral?

Eufinger: Das ist natürlich ein großes Problem. Die gleichen Probleme, die jetzt die durch die Lockdown-Maßnahmen geschlossenen Einzelhändler haben, haben auch die Citypastoral-Einrichtungen. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass Leute vorbeikommen und Lust haben, durch eine schön gestaltete Schaufenster-Deko oder einen interessanten Eingangsbereich oder Ähnliches, einfach mal kurz reinzukommen, weil es einfach faktisch ja gerade nicht möglich ist.

Alles was mit direktem persönlichen Kontakt ist, ist durch Corona ja extrem erschwert. Das betrifft auch kurze Gespräche im Vorbeigehen. Das ist auch eine schöne Aktionsform, dass man zum Beispiel mobile Kirchenbänke in der Stadt aufstellt, wo dann ein Priester oder eine Ordensfrau draufsitzen, wo man sich dann daneben setzen kann und einfach mal ganz kurz und unverbindlich Fragen über Kirche, über den eigenen religiösen Lebenswandel oder Ähnliches stellen kann.

Das alles geht ja gerade nicht. Das heißt, es ist schon ein großes Problem. Von einem Todesstoß zu sprechen, scheint mir dann doch aber ein bisschen zu weit, denn wir wissen ja alle, wir werden nicht ewig im Lockdown verbleiben. Die Frage ist natürlich: Was macht man, während man abwartet? Einfach nur den Kopf in den Sand zu stecken und darauf zu warten, dass es vorbeigeht, das kann es natürlich nicht sein.

Eine Sache, an der wir auch schon mal an einem Konzept vorgedacht haben, also jetzt ganz unabhängig von Corona, ist, dass man die großen Schaufenster, die großen aufmerksamkeitslenkenden Flächen, die ja viele citypastorale Einrichtungen haben, dass man die nutzen könnte, um etwa durch große Screens, die man mit interessanten Inhalten bespielt, einfach einen Blickfang zu schaffen. Den Leuten kann man dann andere Perspektiven auf ihren Alltag und auf ihr Leben eröffnen durch interessante, grafisch gut gestaltete Inputs. Aber auch diese Idee scheitert natürlich daran, wenn einfach niemand vorbeikommt, da die Innenstädte wirklich im engeren Sinne tot sind.

DOMRADIO.DE: Sie haben eine Onlinetagung zur Zukunft der Citypastoral veranstaltet. Corona ist ja vielleicht erstmal nur ein temporäres Problem, das ist zumindest die Hoffnung. Aber es gibt ja auch noch andere gesellschaftliche Entwicklungen. Wenn man jetzt beispielsweise an den Onlinehandel denkt, auch dadurch kommen die Menschen immer weniger in die Innenstädte. Wie sieht es dann aus mit der Zukunft der Citypastoral? Gibt es da eine?

Eufinger: Ich denke schon, dass Citypastoral eine Zukunft hat. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Citys nicht nur dem Einkauf dienen. Wenn wir uns fragen, was eigentlich Urbanität ist und das mal von der physisch-räumlichen Frage trennt, dann ist Urbanität einfach ein Lebensstil, eine Denkweise, ein Habitus könnte man vielleicht sagen, der auch unabhängig von dem faktischen Aufenthalt in einer City besteht.

Wenn man in diese Richtung denkt und Citypastoral dann eher als ein Angebot versteht, das Menschen, die eben diesen Lebensstil pflegen, auf eine religiöse, auf eine pastorale Weise erreichen sollte, dann kann man, glaube ich, anfangen, in Richtungen zu denken, die da sehr produktiv sein könnten.

DOMRADIO.DE: Hat Spiritualität in diesem urbanen Kontext überhaupt noch einen Platz? Ist das etwas, was die Leute wollen?

Eufinger: Das ist natürlich die große Herausforderung. Man kann sich quantitative Messwerte etwa dazu anschauen. Dann wird man sehen, dass gerade Menschen, die in innenstädtischen Lagen leben, tendenziell seltener Mitglied einer Kirche sind und dass sie tendenziell weniger religiös sind, wenn man das immer jeweils mit dem Flächenland des jeweiligen Bundeslandes vergleicht. Das ist auf jeden Fall ein Trend, den man anerkennen muss.

Ich würde aber nicht sagen, dass das bedeutet, dass Spiritualität in der Innenstadt keinen Platz hat. Ich glaube, die Herausforderung besteht eher darin, dass man Spiritualität auf eine urbane, zeitgemäße Weise konzipiert, die den Geschmack und das Lebensgefühl der Menschen, die man ansprechen möchte, trifft.

Das Interview führte Gerald Mayer.


Veronika Eufinger / © Nachtschicht Gottesdienst, Stuttgart 27.09.2020 (privat)
Veronika Eufinger / © Nachtschicht Gottesdienst, Stuttgart 27.09.2020 ( privat )
Quelle:
DR