DOMRADIO.DE: Am Donnerstag beginnt die Synodalversammlung. Täuscht der Eindruck, oder stolpert oder steht der Synodale Weg gerade?
Birgit Mock (Vizepräsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes, familienpolitische Sprecherin im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Vorsitzende des Synodalforums 4 "Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft"): Also wir arbeiten richtig intensiv. Vielleicht vor allem im Hintergrund, so dass man es gar nicht so mitbekommt. Aber seit letztem Jahr im Februar, seit der ersten Synodalversammlung, haben wir uns ein großes Arbeitsprogramm auferlegt und treffen uns regelmäßig. Für mich vergeht eigentlich keine Woche, wo ich nicht für den Synodalen Weg unterwegs bin, Texte lese, Mitdenke, nach vorne plane.
DOMRADIO.DE: Viele haben ja Sorge, dass dieser Synodale Weg ein kirchlicher deutscher Sonderweg ist, dass die Kirche sich abkoppeln möchte in Deutschland. Diese Sorge versuchen Bischöfe und Laien gemeinsam immer wieder aus der Welt zu schaffen. Aber wie sehen Sie das - auch im Kontext zum synodalen Prozess, den Papst Franziskus ja jetzt der ganzen Weltkirche verordnet hat?
Mock: Vielleicht könnte man interpretieren, dass wir mit unserem Synodalen Weg auch der Weltkirche ein gutes Modell liefern. Denn das, was wir in Deutschland haben, ist in der Weltkirche wirklich einzigartig. Wir haben ein paritätisch besetztes Leitungsgremium für den Synodalen Weg. Wir haben paritätisch besetzte Doppelspitzen, gemeinsame Verantwortung von Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der Laien. Wir haben uns gemeinsam eine Satzung gegeben. Haben den Rahmen auch gemeinsam vereinbart, in dem wir beraten und entscheiden wollen.
Und ich glaube, dass das für eine synodale Kirche eine praktische Umsetzungsform ist. Wir erproben das jetzt in Deutschland. Und wenn sich Dinge davon bewähren - und ich finde, es bewährt sich vieles schon jetzt - kann das idealerweise auch in die Weltkirche hinausstrahlen.
DOMRADIO.DE: Sie sind Vorsitzende des Synodalforums 4 "Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft". Was liegt Ihnen da besonders am Herzen?
Mock: Uns geht es darum, dass wir heute glaubwürdig sind auch für junge Menschen in der Frage von Sexualität. Wir erleben das ja schon bei den eigenen Kindern und auch an deren Freunden, dass die gar nicht mehr auf die Kirche schauen und achten. Denen ist das im Grunde egal, was die Kirche zum Thema Sexualität sagt. Das ist für viele so fern von dem, was ihnen wirklich wichtig ist.
Da wollen wir wieder anknüpfen mit dem, was wir da an guten Sachen dazu sagen haben: Achtet aufeinander, begegnet euch in Respekt. Die Würde des anderen und auch die eigene ist unverfügbar. Das wollen wir auch in das Zentrum der Sexualmoral stellen. Und wenn wir diese Orientierung betonen wollen, dann müssen wir aber auch endlich aufräumen mit dem, was sich in der kirchlichen Sexualmoral nicht bewährt hat. Mit dem, was aus unserer Sicht auch wirklich nichts mit der frohen Botschaft zu tun hat.
DOMRADIO.DE: Welche konkreten Dinge haben sich in Ihren Augen wirklich nicht bewährt?
Mock: Aus unserer Sicht geht es darum, dass wir Sexualität als positive Kraft anerkennen. Und zwar vor allem anderen. Da ringen wir in unserem Forum ganz intensiv drum. So wie ich es jetzt aber erlebe, haben wir da eine ganz große Mehrheit, wenn nicht sogar eine Einigkeit, die sich dieser Perspektive anschließen kann. Das fände ich für die kirchliche Geschichte wirklich nochmal einen ganz wichtigen neuen Meilenstein.
Dann wollen wir auch deutlich machen, dass man sich die Sexualität nicht aussucht. Gerade Menschen mit homosexueller Identität sind ja auch so geschaffen, wie sie sind. Sexualität ist ja auch eine Frage des Reifungsprozesses. Wichtig ist, dass wir das als Kirche endlich auch anerkennen - auch in dem Bewusstsein, dass alle Menschen mit ihrer Sexualität geschaffen und von Gott gleichermaßen geliebt sind.
Und dann natürlich auch die Überzeugung, dass Identität und Sexualität ganz eng zusammengehören und dass es aus unserer Sicht nicht denkbar und im Grunde auch eine Verletzung der Menschenwürde ist, Menschen von ihrer Sexualität fernzuhalten. Das ist ja das, was die kirchliche Lehre im Moment tut: Menschen, die nicht in einer Ehe von Mann und Frau zusammenleben, Menschen, die homosexuell sind, auch wenn sie in dauerhaften Liebesbeziehungen zusammenleben, deren Sexualität, wenn sie sie leben, wird hier als schwere Sünde bezeichnet.
DOMRADIO.DE: Wie zerrissen und wie schwierig es ist, ist jüngst auch wieder durch das Papier aus Rom deutlich geworden, das einen Segen für homosexuelle Partnerschaften ausschließt. Landauf, landab gab es da Protest und Regenbogenfahnen auf Kirchtürmen. Wie haben Sie diese Diskussionen erlebt?
Mock: Wenn wir Sexualität anders bewerten, wenn das für uns in Liebesbeziehungen und treuen Beziehungen auch mit dazugehören darf, dann ist der Segen Gottes schon längst in dieser Beziehung auch da. Daran glaube ich jedenfalls. Und dann können wir auch Segensfeiern, die in Deutschland schon an allen Orten gefeiert werden, endlich auch in offenen Kirchen feiern.
Das Nein aus Rom kam aus meiner Sicht zur absoluten Unzeit. Wir sind mitten im Synodalen Weg. Wir ringen um Positionen. Wir haben diesen Weg auch gemeinsam aufgelegt. Und dann kommt mitten in unsere Debatte ein Stoppschild aus Rom. Das war aus unserer Sicht in keiner Weise hilfreich und das zeigten auch die Reaktionen. So viele haben hier deutlich gemacht, dass für sie diese pastoralen Wege schon längst gute Wirklichkeit sind und dass sie sich so auch als Kirche verstehen.
DOMRADIO.DE: Es gibt aber viele, die sagen, man dürfe doch die traditionellen katholischen Positionen nicht einfach so aufgeben. Was sagen Sie denen?
Mock: Ich glaube, dass die Praxis der Lehre vorangeht. Das war immer schon so. Es ist wichtig, dass wir Praxis auch zulassen, dass wir da ordentlich drüber befinden und uns das auch sorgfältig überlegen. Wir legen Kriterien auch fest dafür, dass dann doch diese Praxis erprobt werden kann. Und das, was sich bewährt, übernehmen wir. Das, was sich nicht bewährt, da muss nochmal weiter nachgesteuert werden. Aber die Praxis zeigt, dass es viele Seelsorger gibt, die jetzt schon längst nach ihrem Gewissen entscheiden und Paare segnen, die darum bitten.
DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass gerade der ganze große Bereich der Sexualität ein Bereich ist, wo Kirche wieder unbedingt Boden unter den Füßen braucht, um glaubwürdig zu bleiben?
Mock: Ja, ich glaube das schon. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, was der Ausgangspunkt für den Synodalen Weg war: die schrecklichen Erfahrungen des Missbrauchs an Minderjährigen aber auch an Erwachsenen. Und das ist ja auch das Ziel, dass systemische Ursachen, die zu diesem Missbrauch geführt haben, angegangen werden. Die MHG-Studie hat gezeigt, eine Ursache liegt eben darin begründet, dass sich die Sexualmoral seit so vielen Jahrzehnten nicht weiterentwickelt hat.
Das ist unser Auftrag als Forum, das zu verheutigen und das wollen wir auch tun. Wir begeben uns damit natürlich auch in eine Spannung mit der Weltkirche. Aber ich glaube, dass das auch fast eine Gretchenfrage unseres Verständnisses von Kirche ist: Darf sich Kirche ungleichzeitig entwickeln und schaffen wir es trotzdem, eine einheitliche Grundlage zu wahren? Und wir machen das, was wir tun, in Verantwortung für die Glaubwürdigkeit? Und trotzdem gehen wir das Tempo, was in Deutschland uns auch aufgetragen wurde.
DOMRADIO.DE: Sie meinen, in gewissen Entwicklungen muss es vielleicht auch in den verschiedenen Ländern und Kontinenten eine unterschiedliche Geschwindigkeit geben?
Mock: Ja, ich glaube, dass das am Ende das Spannungsfeld ist. Der mittelalterliche Theologe und Mathematiker Nikolaus Cusanus hat ja den Begriff der Einheit in Vielheit geprägt. Den finde ich wirklich gut für uns als Kirche. Das ist meine Vision einer Weltkirche der heutigen Zeit, dass wir diese unterschiedlichen Gestalten nicht nur zulassen, sondern vielleicht sogar auch als wünschenswert erachten, dass sich das so ausformt, wie es für die Zeit auch passt. Und dass wir trotzdem wissen, dass wir alle die gleiche Mitte haben, nämlich das Eintreten für das Menschsein, das Eintreten für die Menschenwürde und das Eintreten für gelingende Beziehungen.
DOMRADIO.DE: Wenn alle sich auf die gleiche Mitte konzentrieren, auf Jesus Christus mit seiner frohen Botschaft, dann müsste es ja gelingen. Trotzdem erleben wir gegenwärtig große Spannungen im Vorfeld der Synodalversammlung. Kritiker melden sich zu Wort. Ein Vorwurf lautet, der Synodale Weg würde auf dem Ticket der Missbrauchsbekämpfung eine eigene Reformagenda durchsetzen wollen. Haben Sie da Verständnis für?
Mock: Ich finde das ungehörig. All diese Personen mit diesen Argumentationen müssten sich umgekehrt selber auch fragen lassen, was sie denn gegen den Missbrauch tun? Was sind denn ihre Vorschläge, wirklich etwas zu verändern und zu verbessern?
Wir haben im Zentralkomitee der deutschen Katholiken jetzt mehrfach mit Vertreterinnen und Vertretern des Betroffenenbeirates der Bischofskonferenz gesprochen. Es ist so erschütternd, diese Geschichten zu erleben, die uns ja auch nur andeuten, was da an Verletzungen, Übergriffen, auch an Situationen passiert ist, wovon sie mehrfach erzählen mussten, bis ihnen am Ende jemand geglaubt hat. Und ich finde, wir müssen alle dafür eintreten, dass das nie wieder passiert. Und dafür müssen wir unsere Hausaufgaben machen.
DOMRADIO.DE: Sie engagieren sich als familienpolitische Sprecherin im Zentralkomitee. Sie sind Vize-Vorsitzende beim Katholischen Frauenbund. Sie sind hier in diesem Forum Vorsitzende. Woher nehmen Sie all diese Energie, wo man doch gleichzeitig auch merkt, dass es immer wieder Bremsklötze gibt?
Mock: Ich habe ja viel mit homosexuellen Paaren in den letzten Jahren zu tun gehabt. Viele kamen auf mich zu und haben mir ihre Geschichte erzählt. Und ich bin wirklich dankbar für alle diese Begegnungen und das zu erleben, wie diese Menschen trotzdem noch in der Kirche ihren Ort haben. Die ihr Gläubigsein und Katholischsein mit ihrem anderen Leben verbinden wollen und schauen, dass es eins wird und dass sie doch auch das Vertrauen haben und das Zutrauen haben, dass das auch ein Ort für sie ist. Dafür will ich mich einsetzen. Damit solidarisiere ich mich zu 100 Prozent. Daraus schöpfe ich auch viel Kraft. Weil ich glaube, dass das ein wichtiges Ziel ist.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.