Ein Kommentar von Jutta Wagemann zur Berliner Rede Köhlers

Eine Bewerbung mit Altbekanntem für eine neue Amtszeit

Johannes Rau hielt seine Abschiedsrede im Schloss Bellevue. Sein Nachfolger im Amt des Bundespräsidenten, Horst Köhler, wählte für seine dritte "Berliner Rede" am Dienstag ebenfalls das Bellevue als Vortragsort. Eine Abschiedsrede sollte es mitnichten werden. Im Gegenteil. Erst vor knapp vier Wochen hatte Köhler seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit bekanntgegeben. Mit Spannung wurde daher seine "Berliner Rede" erwartet. Würde Köhler in den Wahlkampf gegen seine Konkurrentin Gesine Schwan einsteigen?

 (DR)

Der Bundespräsident mag diese Frage nach dem Wahlkampf um das eigentlich ja überparteiliche Präsidentenamt nicht. Das hat er in den vergangenen Wochen seit der überraschenden Nominierung der Viadrina-Chefin Schwan durch die SPD immer wieder deutlich gemacht. In seiner Rede verzichtete der Präsident daher auf eine neue Programmatik oder gar aggressive Töne.

Viel Neues war allerdings auch nicht zu hören. «Arbeit, Bildung, Integration» war der Vortrag überschrieben, wofür Köhler die neue Abkürzung ABI einführte. Was der Wirtschaftswissenschaftler zu ABI ausführte, klang allzu bekannt: weltweites Wachstum gegen Hunger und Armut, Deutschland mit seinen guten Ideen, eine neue Gründerzeit, Bürgerengagement, maßvolle Unternehmensführung und schließlich die Agenda 2020.

Diesen Anstoß hatte Köhler schon im April in der Zeitschrift «Super Illu» gegeben. Offenbar gefielen ihm die Reaktionen so gut, dass er sie in seiner «Berliner Rede» noch einmal in den Mittelpunkt rückte. Als fühle er sich beim Vortragen der immer gleichen Forderung ertappt, musste er selbst breit lächeln, als er im Redemanuskript an die Stelle kam: «Wir sollten das Erreichte nicht zerreden oder gar zurückdrehen, sondern beherzt vorangehen auf dem Weg, der sich als der richtige erwiesen hat. Dafür brauchen wir eine Agenda 2020.»

Köhler ist bekennender Fan der Agenda 2010 von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Seine Warnung vor dem Zurückdrehen war ein kleiner Hieb gegen die SPD, die gerade die Verlängerung der Altersteilzeit beschlossen hat.

Ansonsten blieb es recht harmlos für die Parteien. Köhlers Forderung nach Steuersenkungen entspricht der Unions-Haltung. Sein Vorschlag, das Sozialsystem stärker über Steuern als über Abgaben zu finanzieren, kommt der SPD nahe. Köhler geißelte den Dauerwahlkampf in Kommunen, Ländern und im Bund und schlug die Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre vor. Schließlich riet er zu einer «klugen Einwanderungspolitik»: «Es geht darum, begabte Ausländer für uns zu gewinnen.» Ob er damit das Punktesystem meinte, das die Union ablehnt, blieb unklar.

Die Zustimmung für Horst Köhler ist in der Bevölkerung sehr hoch. Im ARD-Deutschlandtrend zeigten sich Ende Mai 85 Prozent der Befragten mit ihrem Staatsoberhaupt zufrieden. Sollte Köhler die Mehrheit der Bundesversammlung im nächsten Jahr hinter sich bringen, müssen sich die Bürger nicht sorgen. Die Zusammenfassung seiner hinlänglich bekannten Standpunkte klang zwar wie eine Abschiedsrede. Doch vielleicht wollte Köhler nur die Botschaft aussenden: Ich bleibe mir treu.