Ein Kommentar zum ökumenischen Miteinander im Lutherjahr

Darf es ein bisschen mehr sein?

Zum Reformationsgedenken empfing Papst Franziskus den EKD-Vorsitzenden und den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gemeinsam. domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen findet, dass es mehr Begegnungen der Kirchenoberhäupter dieser Art braucht.

Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige (DR)
Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige ( DR )

Beim kleinen Ökumene-Gipfel von Papst Franziskus, dem evangelischen Bischof Bedford-Strohm und dem katholischen Erzbischof Kardinal Marx zeigten schon die Bilder der herzlichen Begegnung: hier ist nichts mehr so, wie es über Jahrhunderte war. Hass, Feindschaft und das gegenseitige Ausgrenzen hat man längst hinter sich gelassen. Die Zeit hat inzwischen viele Verletzungen und Verwundungen der vergangenen Jahrhunderte geheilt – so, dass man sich inzwischen lächelnd in den Armen liegen kann.

Die Zeit ist auch hier in unserem Mutterland der Reformation nicht stehen geblieben. Noch in der Generation meiner Großeltern und Eltern war eine konfessionsübergreifende Ehe nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Christliches Leben nur noch Randbereich der Gesellschaft

Wenn früher die Katholiken am evangelischen Hochfeiertag Karfreitag demonstrativ ihre Wäsche draußen an der Leine aufhängten, rächten sich die evangelischen Bauern bei der Fronleichnamsprozession dann mit dem Ausfahren der Jauche auf ihre Felder…

Meine Kinder können den Unterschied zwischen evangelisch und katholisch kaum mehr erklären. Christliches Leben findet vielfach nur noch im Randbereich der Gesellschaft statt. Darüber können auch die Millionenzahlen der Mitglieder beider Konfessionen nicht mehr hinwegtäuschen. Am Sonntag stellt sich nicht mehr die Frage, wer die volleren Kirchen hat, sondern ob überhaupt noch genügend Gläubige zum Gottesdienst kommen. Kirchen und Klöster bleiben leer – auch wenn der Platz im kirchlichen Kindergarten noch begehrt ist.

Endlose Abendmahlsdebatte

Die christliche Basis spürt es nur zu gut, dass es da im gesellschaftlichen Dialog wenig Sinn ergibt, sich in überflüssigen Kleinkriegen gegenseitig den rechten Glauben abzusprechen. Wo keiner mehr die Zehn Gebote auf die Reihe bekommt, Pfingsten nur noch als beliebtes Reisewochenende im Gedächtnis ist und kaum noch einer weiß, wie man beten könnte, fehlt das Verständnis dafür, dass sich der Papst und die Bischöfe um das richtige Kirchenverständnis streiten.

Warum, wenn doch Jesus Christus selbst einlädt, man nicht gemeinsam zum Tisch des Herrn gehen darf – das wissen weder die normale evangelische Kirchenfrau noch der ebenso normale katholische Kirchenmann.

Christliches Zusammenleben erleichtern

Auf dem Boden, wo über Jahrzehnte für den rechten Glauben gestorben wurde, glaubt die Mehrheit heute höchstens noch an den Fußballgott. In solchen Zeiten würden sich die Noch-Gläubigen auf beiden konfessionellen Seiten daher schon freuen, wenn ihre Kirchenoberen ihnen das christliche Zusammenleben schnell erleichtern würden.

Die Gemeinschaft in "versöhnter Verschiedenheit" mag theologisch einen Weg ebnen. Christen an der Basis haben aber immer öfter kein Verständnis dafür, warum sich ihre Chefs nicht endlich mutiger auf den Weg der von Christus gewünschten Einheit machen. Wenn die Bischöfe ihre noch verbliebenen Gläubigen fragen würden, ob es in Sachen Ökumene vielleicht "ein  bisschen mehr sein darf?", dann bekämen Sie im reformatorischen Mutterland heute eine ganz klare Antwort: "Es darf nicht nur – es muss mehr sein!"


Quelle:
DR