1999 begann das päpstliche Hilfswerk "Kirche in Not", Verletzungen der Religionsfreiheit zu dokumentieren. Was als schmale Broschüre startete, hat sich heute zu einem 800 Seiten starken Report ausgewachsen, zusammengetragen von 30 internationalen Experten: Berichte zu 196 Ländern, Fallstudien, farbige Grafiken, das Ganze in sechs Sprachen. Die Grobzusammenfassung: Die Lage ist nicht besser geworden.
Die am Dienstag in Rom vorgestellte neue Studie zu "Religionsfreiheit weltweit" beleuchtet den Zeitraum von August 2018 bis November 2020.
Religionsfreiheit in 62 Ländern schwerwiegend verletzt
Demnach wurde dieses Menschenrecht in 62 Ländern schwerwiegend verletzt - fast jedem dritten der untersuchten Staaten. Ihre Einwohner machen zwei Drittel der Weltbevölkerung aus. Seit dem vorigen Bericht sind 24 Staaten neu hinzugekommen. In 30 Ländern wurden demnach Menschen aus Glaubensgründen ermordet. In jedem fünften Land mussten Menschen, die ihre Religionsgemeinschaft verlassen, mit massiven rechtlichen oder sozialen Konsequenzen rechnen.
Auf einer Weltkarte sind die Länder mit regelrechter Verfolgung (rot) und Diskriminierung (orange) eingefärbt. Ein Richtungspfeil zeigt an, ob sich die Lage in den vergangenen zweieinhalb Jahren verbessert oder verschlechtert habe. Meist zeigt er nach unten.
Neu ist die Kategorie "unter Beobachtung", veranschaulicht durch eine Lupe. In den 24 gelisteten Staaten, darunter die Ukraine, Israel, Südafrika und Mexiko, registriert "Kirche in Not" zunehmende Hasskriminalität oder einzelne rechtliche religionsfeindliche Maßnahmen.
Die internationale Gemeinschaft reagiert nach Einschätzung des Geschäftsführenden Präsidenten der Päpstlichen Stiftung "Kirche in Not", Thomas Heine-Geldern, bislang "zu wenig und zu spät" auf Gewalt aus Gründen der Religion. Dabei handele es sich um ein wachsendes globales Phänomen; die aktuellen Zahlen gäben Anlass zu "größter Besorgnis".
Die Statistik erinnere daran, dass es viele Millionen Menschen weltweit gebe, die wegen ihres Glaubens unvorstellbares Leid erdulden müssten. "Kirche in Not" werde sich weiter bemühen, den Betroffenen eine Stimme zu geben.
Die Pandemie hat die Entwicklung nach nach Erkenntnissen des Hilfswerks auf vielfältige Weise beeinflusst. So bezeichneten islamistische Terrorgruppen wie al-Qaida, der "Islamische Staat" und Boko Haram auf Propaganda-Videos Covid-19 als Strafe Gottes für den "dekadenten Westen". Dschihadisten wird Immunität und ein sicherer Platz im Paradies versprochen.
Im Internet verbreiteten sich Verschwörungstheorien, denen zufolge Juden den Ausbruch verursacht hätten. Es traf - je nach Land - aber auch andere Minderheiten: in Indien Muslime, in China, Niger, der Türkei und Ägypten wurden Christen verantwortlich gemacht. In Pakistan verweigerten laut dem Bericht islamische Wohltätigkeitsorganisationen Christen Nahrungsmittelhilfe und Notfall-Kits.
Religionsgemeinschaften rücken auch zusammen
Mancherorts ließ die Seuche dagegen die Religionsgemeinschaften zusammenrücken. In Bangladesch begrub eine islamische Wohltätigkeitsorganisation auch hinduistische und christliche Covid-19-Tote. In Zypern, wo Grenzschließungen Christen und Muslime daran hinderten, ihre jeweiligen religiösen Stätten zu besuchen, beteten türkisch-zypriotische Muslime am Grab des Apostels Barnabas, dem Schutzpatron des geteilten Inselstaates.
Auf Kuba genehmigte die kommunistische Regierung erstmals eine Übertragung des Kreuzwegs von Papst Franziskus und der Ostergottesdienste im Staatsfernsehen.
Von einem "Hoffnungsschimmer in einer dunklen Landschaft" spricht der Report auch mit Blick auf die islamische Republik Pakistan. Obwohl dort Gerichtsverfahren wegen Blasphemie (Gotteslästerung) zahlenmäßig zugenommen hätten, seien im Berichtszeitraum einige juristische Erfolge zu verbuchen. Höhere Instanzen hätten mehrere Urteile aufgehoben. So kam auf Weisung des höchsten Gerichts die Katholikin Asia Bibi im Januar 2019 frei und konnte unter Geheimhaltung nach Kanada ausreisen - nach neun Jahren in der Todeszelle. Diese Dynamik sei "ermutigend", resümiert "Kirche in Not" mit der Einschränkung: "sofern es gelingt, sie aufrechtzuerhalten".
Inzwischen rückt auch der Westen in den Fokus des Hilfswerks. In einigen OSZE-Ländern werde etwa das Recht von Angehörigen der Gesundheitsberufe, die Mitwirkung an Abtreibungen oder Sterbehilfe aus religiösen Gründen zu verweigern, nicht mehr ausreichend gesetzlich geschützt.