Misereor mahnt menschengemachte Ernährungskrisen an

Ein Riesenproblem

Der aktuelle Welthungerindex zeichnet ein düsteres Bild vom Kampf gegen den Hunger auf der Welt. Konflikte, Krisen und nicht zuletzt Corona haben die Situation in vielen Ländern verschärft. Misereor leistet Hilfe im Kampf gegen den Hunger.

Symbolbild Hunger / © panitanphoto (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Herr Meiwald, Sie sagen, Ernährungskrisen sind fast immer menschengemacht. Inwieweit trifft das auf Äthiopien beispielsweise zu?

Peter Meiwald (Leiter der Abteilung Afrika und Naher Osten bei MISEREOR): Das müssen wir leider so sagen, weil wir haben im Prinzip auch bei der heutigen Weltbevölkerung immer noch ausreichend Ernährungsgrundlagen. Wir haben genug Kalorien in der Produktion, aber die Menschen machen es sich an ganz vielen Stellen selber schwer und kaputt. In Äthiopien kann man das besonders krass sehen.

Da treffen die Folgen von der Klimaveränderung, der Klimakatastrophe auf die Folgen von Krieg und Gewalt, gerade jetzt in der Nordprovinz Tigray. Und klar, die Corona-Krise hat natürlich noch mal ihr Übriges getan, um es den Menschen noch mal besonders schwer zu machen.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle hat denn die Corona-Pandemie gespielt?

Meiwald: Die Corona-Pandemie hat vor allen Dingen in Gesellschaften, die sehr wenig von Industrialisierung leben, sondern wo die meisten Menschen in der Selbstversorgung und Landwirtschaft leben oder im informellen Sektor sich im kleinen Stil selber versorgen und die kleinen Märkte in der Umgebung bedienen, einfach ein Riesenproblem für die Menschen gebracht. Sie durften nicht mehr raus, konnten nicht mehr raus. Die Märkte sind zum Teil zusammengebrochen.

In einigen Ländern gab es Lockdown, da war es geschlossen. Man konnte vieles nicht mehr kaufen. Lieferketten sind zusammengebrochen. Und das hat natürlich die armen Leute, die eben keine Vorräte haben, die auch kein großes Bankkonto haben, um dann notfalls sich was von der Bank zu holen, um über die nächsten Tage zu kommen, besonders hart getroffen.

DOMRADIO.DE: Nachdem gerade der Welthungerindex mit seinen deprimierenden Zahlen veröffentlicht wurde, glauben viele, dass das UNO Nachhaltigkeitsziel, den Hunger bis 2023 zu beenden, nicht mehr zu erreichen ist. Wie sieht Misereor das?

Meiwald: Es wäre schon zu erreichen, wenn erkennbar wäre, dass die Weltbevölkerung und vor allen Dingen die politische Landschaft sich darauf jetzt konzentriert und aktiv wird. Im Moment erleben wir das Gegenteil: sehr viel Zerstörung. Die Konflikte nehmen an ganz vielen Stellen in der Welt zu. Äthiopien ist da wirklich ein ganz besonders krasses Beispiel. Aber wir sehen das in Mosambik und in vielen Ländern.

Die Welt ist ja nicht bereit, auf Waffenexporte und auf kriegerische Konflikte zu verzichten. Sie ist letztlich auch nicht bereit, wirklich Klimaschutz so zu machen, dass wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen können. Und solange wir das nicht feststellen, wird das sehr schwer, das Hungerziel zu erreichen.

DOMRADIO.DE: Und wie setzen Sie da von Misereor dann mit Ihrer Unterstützung an?

Meiwald: Wir versuchen besonders im Einzelnen und im Kleinen anzusetzen. Bei den Menschen, die für die Hauptlast der Versorgung da sind und die das auch leisten, nämlich bei den kleinbäuerlichen Strukturen. Wir fördern sehr viel im ländlichen Bereich, was agrarökologische Ansätze angeht, weil wir festgestellt haben, dass diese Strukturen viel besser in der Lage sind, das Überleben der Menschheit und eine vernünftige Lebensmittelproduktion zu sichern als agrarindustrielle Großstrukturen.

Das heißt, wir versuchen die Leute fit zu machen, ihre Anbaumethoden zu verbessern, mit Kompostierung, mit ökologischen Maßnahmen, um ihre Region zu versorgen und nicht so sehr auf den Weltmarkt zu schielen. Das ist so einer der Ansätze. Natürlich versuchen wir im politischen Bereich, uns gegen Rüstungsexporte, für Klimaschutz, den Kohleausstieg und ähnliche Dinge einzusetzen. Da greift eins ins andere.

Aber insbesondere auf der Projektebene setzen wir sehr auf die kleinbäuerlichen Agrarstrukturen. Auch wenn das manchmal vielleicht ein bisschen romantisch klingt – es ist wissenschaftlich an ganz vielen Stellen belegt, dass das der effizienteste Weg ist, Lebensmittel zu produzieren.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen von Nothilfe und auch von langfristigen Maßnahmen. In welchem Verhältnis stehen die denn?

Meiwald: In unserer Arbeit bauen die ganz klar aufeinander auf. Wir arbeiten zum Teil seit 60 Jahren mit Partnerstrukturen vor Ort, die sich darum kümmern, sehr langfristig Entwicklungserfolge zu erzielen und nach und nach die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Gleichzeitig werden auch diese Regionen, wo unsere Partner aktiv sind, immer wieder von Naturkatastrophen, von Kriegen, von anderen Katastrophen ereilt.

Dann müssen wir auch mit Nothilfe dafür sorgen, dass überhaupt die nächste Projektphase erreicht werden kann, wenn die Menschen vorher verhungert sind oder ihr Land verlassen mussten in die Nachbarländer, in Nachbarprovinzen oder auch nach Europa, weil sie nicht mehr überleben können, dann ist der beste Projektansatz gescheitert. Deswegen machen wir auch Nothilfe da, wo unsere Partner signalisieren: Es geht jetzt gerade nicht anders.

DOMRADIO.DE: Was muss denn die Staatengemeinschaft tun? Und was kann auch jede und jeder Einzelne tun?

Meiwald: Jeder Einzelne kann sich sicherlich in seinem Konsumverhalten überprüfen. Ein Teil des Problems ist ja auch, dass viele Lebensmittel einfach in die Fleischversorgung gehen und deswegen als Kalorien nicht den Leuten zur Verfügung stellen, die sie eigentlich am dringendsten brauchen. Da kann jeder einzelne gucken: Muss ich wirklich so viel Fleisch und tierische Eiweiße zu mir nehmen oder kann ich da auch was reduzieren? Aber das ist nicht die alleinige Lösung.

Wir können das nicht individualisieren, sondern die Menschen müssen in der politischen Entscheidung, also in ihrer Wahlentscheidung überlegen: Welches Konzept wollen wir denn für die Zukunft? Wollen wir Großstrukturen, wo die großen Konzerne, die auch jetzt schon viel Macht und Einfluss haben und auf viel Industrialisierung setzen, weiterhin optimale Bedingungen haben oder wollen wir auf kleinere und gesündere Strukturen setzen und auf eine Politik, die vor allen Dingen die benachteiligten Menschen in den Blick nimmt und sich auch für eine gerechtere Verteilung einsetzt?

Da kann man natürlich bei seiner Wahlentscheidung auch durchaus vernünftige Zeichen setzen. Aber ein großer Teil der Verantwortung liegt wirklich bei der internationalen Politik.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Quelle:
DR
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