Am Abend des 9. November 1938 gingen in Deutschland die Synagogen in Flammen auf. Damals bestieg Dompropst Bernhard Lichtenberg die Kanzel der Berliner Sankt-Hedwigs-Kathedrale und sagte: "Was gestern war, wissen wir. Was morgen ist, wissen wir nicht. Aber was heute geschehen ist, haben wir erlebt: Draußen brennt die Synagoge. Das ist auch ein Gotteshaus".
Verhaftung des Priesters
Von da an betete Lichtenberg Abend für Abend drei Jahre lang öffentlich für die Juden und "nichtarischen" Christen wie auch für alle anderen Verfolgten der Nationalsozialisten. Bis zum Oktober 1941, als die Geheime Staatspolizei (Gestapo) den Priester verhaftete. Dabei fanden die Beamten auf seinem Schreibtisch den Entwurf einer Kanzelankündigung, die in allen katholischen Kirchen verlesen werden sollte: "Handelt auch in diesen unchristlichen Zeiten nach dem strengen Gebot Jesu Christi: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", hieß es in dem Manuskript.
Von den Nazis als "unbelehrbarer Fanatiker" eingestuft, verurteilte ein Sondergericht beim Landgericht Berlin den Dompropst im Mai 1942 unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen "Kanzelmissbrauchs" und Verstößen gegen das "Heimtückegesetz" zu zwei Jahren Gefängnis. Nach Ablauf der Strafe am 23. Oktober 1943 ordnete die Gestapo wegen angeblicher "Gefährdung der Öffentlichkeit" die Deportation des bereits todkranken 67-Jährigen in das Konzentrationslager Dachau an. Auf dem Transport starb Lichtenberg am 5. November 1943 bei Hof in Bayern.
Probst des Domkapitels
Geboren wurde der Geistliche am 3. Dezember 1875 im schlesischen Ohlau. Seit 1900 war er als Seelsorger in Berlin tätig. 1932 wurde er Pfarrer der Sankt-Hedwigs-Kathedrale und sechs Jahre später Propst des Domkapitels. Lichtenberg gehörte als Vertreter der Zentrumspartei der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Charlottenburg an. Außerdem arbeitete er im Präsidium des "Friedensbundes der deutschen Katholiken" mit.
Früh erkannte der Priester die Unmenschlichkeit der NS-Ideologie. Offenbar in Voraussicht hörte er 1933 auf, sein zuvor detailliertes Tagebuch weiterzuführen. Allerdings versah er Zeitungen und Bücher - unter anderem Hitlers "Mein Kampf" - weiter mit bissigen Randbemerkungen. Diese Kommentare trugen später entscheidend zu seiner Verurteilung bei.
Lichtenberg leistete Widerstand
Schon Jahre vor seinen öffentlichen Gebeten in der Berliner Kathedrale leistete Lichtenberg Widerstand gegen Anordnungen der NS-Behörden. So protestierte er 1935 beim preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring gegen die Zustände im Konzentrationslager Esterwegen. 1938 übernahm er die Leitung des "Bischöflichen Hilfswerks für nichtarische Christen", das den Verfolgten nach Kräften half.
"Er wusste immer, was er riskierte - mit seinen Protesten, seinen Briefen und Predigten gegen staatliches Unrecht und menschenverachtende Gewalt", betont Tobias Przytarski, Lichtenbergs heutiger Nachfolger als Dompropst. Lichtenberg habe das christliche Liebesgebot "ohne jede Einschränkung durch Religion, Rasse oder Herkunft ernst genommen", würdigt ihn auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch. Er ließ dessen sterbliche Überreste am 75. Todestag feierlich aus der Krypta der Hedwigskathedrale nach Maria Regina Martyrum in Berlin-Plötzensee überführen. In der Gedenkkirche für die christlichen Hitler-Gegner werden sie ruhen, solange die Kathedrale noch umgebaut wird.
Seligsprechung von Bernhard Lichtenstein
Bereits 1965 regte der damalige Bischof von Berlin, Alfred Bengsch, im Vatikan ein Seligsprechungsverfahren an. 1994 erkannte die zuständige vatikanische Kongregation Lichtenberg als Märtyrer an - ein entscheidender Schritt für die vor 25 Jahren, am 23. Juni 1996, erfolgte Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. bei dessen Berlin-Besuch. Er ist der erste seliggesprochene Priester des Erzbistums Berlin, das nun auch seine Heiligsprechung anstrebt. Damit wäre seine weltweite Verehrung in der katholischen Kirche verbunden.
Über Deutschlands Grenzen hinaus wird Lichtenberg wegen seines unerschrockenen Engagements auch heute schon verehrt. So verlieh ihm die israelische Gedenkstätte Yad Vashem 2004 postum den Titel "Gerechter unter den Völkern".