Dabei sein ist alles: So heißt es in diesen Tagen wieder, wenn Athleten aus allen Ländern dieser Welt zu den Olympischen Spielen in Tokio zusammentreffen. Freilich reist jeder Sportler mit dem Ziel an, einmal selbst ganz oben auf dem Treppchen zu stehen.
Eine olympische Medaille mit nach Hause zu nehmen, ist für viele der Höhepunkt der Karriere. Aber nicht immer klappt es. Nicht immer ist man der Beste. Und vielleicht ist es für manche, die ohne Medaille im Gepäck wieder abreisen, ein kleiner Trost: einmal dabei gewesen zu sein, diese besondere Stimmung erlebt zu haben. Denn das ist der wirklich olympische Gedanke.
Thomas hat gefehlt
Dabei sein ist alles: Das hat sich vielleicht auch der Apostel Thomas im Nachhinein gedacht, als ihm die anderen Apostel erzählen, dass ihnen der auferstandene Herr begegnet ist. Thomas jedenfalls war nicht dabei, warum auch immer. Er hat gefehlt, und das wird ihm nun zum Verhängnis: Denn er kann oder will nicht glauben, was ihm die anderen da erzählen. Sein Wunsch: Er will Jesus nicht nur sehen, er will die Finger in seine Wunden legen. Erst dann, so meint er, kann er wirklich an seine Auferstehung glauben.
Auch wir Menschen heute können nicht mehr dabei sein. Wir können uns nicht mehr in die Zeit der leiblichen Gegenwart Jesu zurückversetzen.
Die Zeiten, in denen er hier auf Erden gelebt und das Evangelium verkündet hat, sind längst vorbei. Jesus ist weg. Und was uns Christen heute bleibt, ist nichts anderes als die Situation des Apostels Thomas damals: Wir hören, dass andere uns etwas über Jesus sagen.
Wir werden mit dem Zeugnis der Evangelien konfrontiert, wir stehen vor so mancher Geschichte, die wir nur mit einem leichten Schulterzucken beantworten können. Dass er Brot und Fisch vermehrt hat, erzählen uns die Evangelien, dass er Menschen von ihren Krankheiten geheilt hat, dass er am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden ist.
Solche und ähnliche Geschichten dringen immer wieder im Gottesdienst an unsere Ohren. Und wir? Wir stehen da wie Thomas damals. Wie er sind wir herausgefordert, dem, was wir hören, zu glauben oder es eben kritisch zu hinterfragen. Auch wir waren nicht dabei, als Jesus selbst seinen Jüngern erschienen ist. Auch wir haben nur das Zeugnis der anderen Apostel. Jeder von uns ist ein Thomas: einer, der die Botschaft hört und nun darauf reagieren muss.
Papst Gregor der Große hat einmal formuliert: "Mehr nützt uns der Unglaube des Thomas zum Glauben - als der Glaube der glaubenden Jünger." Denn die Haltung des Thomas zeigt uns etwas ganz Entscheidendes: Der Glaube an Christus, den auferstandenen Herrn, ist kein Selbstläufer. Er stellt sich nicht automatisch ein, sobald man die Geschichten der Apostel hört.
Der Glaube ist etwas, das unser ganzes Menschsein herausfordert, uns provoziert, uns zu einer klaren Haltung drängt. Vom Zweifel des Thomas können wir lernen, dass man zum Glauben einen Weg gehen muss.
Einen Weg, zu dem auch Zweifel und kritische Anfragen dazugehören. Einen Weg, der nie geradlinig verläuft, sondern so manche Weggabelung bereithält.
Christus zeigt sich auch ihm
Thomas war nicht dabei, als die anderen Jünger dem auferstandenen Herrn begegnet sind. Und er kommt doch zum Glauben, weil sich Christus auch ihm zeigt, weil der Auferstandene Thomas einlädt, seine Wunden zu berühren. Auch hier können wir nicht dabei sein. Doch: Christus kommt auch zu uns, er ist auch in unserer Mitte. Er ist da, wenn wir miteinander auf sein Wort hören und sein Gedächtnis feiern.
Er ist da, wenn die Wunden, die wir Menschen einander zufügen, plötzlich im österlichen Licht erscheinen; wenn wir bereit sind, aufeinander zuzugehen und einander zu vergeben.
Christus will auch uns begegnen, damit wir zum Glauben an ihn finden.
Er schenkt uns seine Nähe, immer wieder und immer wieder neu. Dabei zu sein, wenn er uns entgegenkommt, das ist für unseren Glauben alles. Und wir dürfen uns öffnen für seine Gegenwart, ihn entdecken mitten in unserem Alltag. Dort sucht er unsere Gemeinschaft, damit wir mit Thomas bekennen können: "Mein Herr und mein Gott."