Auf den ersten Blick wirkt es wie eine friedliche Idylle: blauer Himmel mit ein paar weißen Wolken, darunter ein üppiger grüner Regenwald. Doch der Boden davor ist braun und trocken, riesige Risse tun sich auf. Das Titelbild für Markus Vogts "Christliche Umweltethik", erschienen im Herder-Verlag, führt bereits das ganze Dilemma vor Augen. Die Menschheit steht vor der Herausforderung, ob der ihr anvertraute Planet auch in den nächsten Jahren noch ein lebenswerter Ort ist. Längst sollte dies allen bewusst sein, doch was wird wirklich getan?
Der Münchner katholische Sozialethiker hat nun einen Wälzer von fast 800 Seiten vorgelegt, der die Grundlagen und zentralen Einsichten seiner langjährigen Arbeit zusammenfasst. Gerne wäre er mit Beispielen noch konkreter geworden, sagte Vogt am Donnerstagabend bei der digitalen Vorstellung. Doch dann hätte dieses Buch wohl 2.000 Seiten gehabt. Gedacht ist es vor allem für Multiplikatoren. Denn der Sozialethiker ist überzeugt: Die katholische Kirche hat zu dieser großen Diskussion Wesentliches beizutragen.
Kirche und Theologie Teil des Problems
Dabei ist die Kirche in Sachen Umweltethik wahrlich keine Vorreiterin, sondern eher eine Nachzüglerin. Erst Papst Franziskus setzte mit der Enzyklika "Laudato si" ein vernehmbares Signal. Zuvor herrschte Funkstille im päpstlichen Lehramt. Nicht einmal die Begriffe Klimawandel und Nachhaltigkeit waren vorher schon einmal in einem Text aufgetaucht, wie Vogt berichtete.
Kirche und Theologie seien Teil des Problems und der Lösung. "Sie haben in ihrer Tiefenstruktur erheblichen Anteil an der Natur vergessenden Zivilisation, worüber auch hochmoralische Expertentexte mit vielen Imperativen nicht hinwegtäuschen sollen." Nur wenn die Kirche selbst bereit sei, hinzuzulernen, dann könne sich das Potenzial positiv entfalten, findet der Sozialethiker.
"Laudato si" hält Vogt für einen Meilenstein. Mit seiner harschen Kritik am politischen, technischen und ökonomischen Machtmissbrauch habe das Lehrschreiben die Befreiungstheologie innovativ für die Umweltethik fruchtbar gemacht. Der Text verbinde Quellen tiefer Spiritualität mit markanten umweltethischen Reflexionen.
Bibeltexte neu interpretieren
Die Umweltkrise heute sei eine Offenbarung, sagte Vogt und fügte hinzu: "Durch den Schrei der Schöpfung spricht Gott zu uns." Aufgabe der Kirche sei es, diesen Schrei zu hören und zu entziffern - hinsichtlich der Bedeutung für das Gottes- und Zukunftsverhältnis.
Wie passt das zusammen mit dem vielzitierten biblischen Satz "Macht Euch die Erde untertan"? Das im hebräischen Urtext verwendete Verb müsse ambivalent gesehen werden, erklärte der Theologe. Damals sei auch die Erfahrung nicht da gewesen, dass die Natur schutzbedürftig sei. Kurzum: Wer Ackerbau betrieb, musste sich eben gegen die Elemente durchsetzen.
Doch da gibt es noch die Wirkungsgeschichte dieses Satzes, mit dem im Laufe der Zeit immer mehr Dominanz beansprucht wurde. Letztlich sei Gottes Auftrag von den Christen fehlinterpretiert worden, so dass sich das imperiale Denken zumindest in der europäischen Geschichte habe Bahn brechen können, erläuterte der Sozialethiker. Hier sei die Theologie gefordert, für Klarheit zu sorgen.
Konrad Ott, der als Philosoph an der Universität Kiel lehrt, fügte hinzu, dass die markante Stelle im Buch Genesis als Segen formuliert sei. Deshalb könne das Verb hier keine gewaltsame Bedeutung haben wie etwa in einem militärischen Kontext.
Die ökologische Krise hat laut Vogt eine religiöse Dimension. Von Christen werde eine frohe Botschaft erwartet. Wie aber lässt sich von Hoffnung reden, wenn man sehenden Auges auf die Katastrophe zusteuert? Da helfe nur Differenzierung, so der Ethiker. Christliche Hoffnung sei selbst durchkreuzt. Sie schöpfe ihre Zuversicht daraus, dass Gott die Menschen auch in schmerzhaften Transformationsprozessen begleite. Dies gelte ebenso für die die aktuelle Dreifach-Krise von Corona, Klimawandel und Biodiversität. Theologie sei dazu da, in Abgründe zu schauen, aber auch zum Aufbruch zu ermutigen.