DOMRADIO.DE: Es hieß im Vorfeld, wenn die Windverhältnisse stimmen, werden heute Kuppel und Kreuz montiert. Die Arbeiten sind tatsächlich im Gange. Aber heftigen Gegenwind gibt es trotzdem aus der Berliner Stadtgesellschaft. Finden Sie das Kuppelkreuz richtig?
Johann Hinrich Claussen (Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland): Die ganze Situation hat natürlich etwas Absurdes. Man baut ein Schloss wieder auf. Dann, finde ich, gehören die Kuppel und das Kreuz mit dazu. Alles andere wäre eine architekturhistorische Zensur.
Auf der anderen Seite wusste man lange nicht so richtig, was man in dieses Schloss hinein tut. Jetzt kommt etwas hinein, was mit der äußeren Form nicht so richtig zusammenpasst. Insofern hat man einen klaren Widerspruch zwischen Innen und Außen, Form und Inhalt. Das kann man schlimm finden. Man kann aber auch sagen: Jetzt ist es so. Und man macht daraus ein Thema. Und das Thema hieße: Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen unseres Erbes. Das fänd ich interessant.
DOMRADIO.DE: Das Kreuz allein ist vielleicht auch gar nicht so problematisch. Aber es kommt ja auch noch ein Spruchband dazu, auf dem steht, es gebe kein anderes Heil für die Menschen als das Beugen der Knie vor Jesus Christus. Können Sie nachvollziehen, dass da eventuell Diskussionen entstehen bei Juden oder Muslimen, die das als Unterwerfung unter das Christentum verstehen könnten?
Claussen: Da hilft natürlich der Blick in die gute alte Bibel. Und wenn man sich diese beiden Verse aus der Apostelgeschichte und dem Philipperbrief in ihrem ursprünglichen Kontext anguckt, dann wird man feststellen: Das sind herrschaftskritische, das sind subversive Texte, damals von einer kleinen, unbedeutenden Sekte formuliert, die eben sagt: Gegen den Herrschaftsanspruch der religiösen Obrigkeiten und des Kaisers setzen sie Jesus. Das sind eigentlich verrückte Verse für den damaligen Zusammenhang.
Dann hat der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. daraus ein reaktionäres Programm seines Gottgnadentums gemacht, das allerdings schon zu seiner Zeit aus der Zeit gefallen war. Insofern glaube ich: Wir sind frei, diesen Vers selbst zu bedenken. Und es steht ja nicht zu befürchten, dass jetzt die evangelische oder katholische Kirche eine Zwangsmissionierung vornehmen werden.
DOMRADIO.DE: Das Humboldt Forum soll dann ein Museum der Kulturen der Welt sein, also auch der Religion. Sind denn die anderen Religionen dann auch so prominent vertreten, das Judentum beispielsweise?
Claussen: Das Christentum wird wahrscheinlich gar nicht so besonders prominent darin vertreten sein, sondern vor allen Dingen Religionskulturen aus anderen Kontinenten. Neil MacGregor (Anm. d. Red.: Von 2015 bis 2018 Intendant des Berliner Humboldt Forums) hat schon am Anfang ganz wesentlich darauf hingewiesen, dass der Islam einen Platz haben muss.
Soweit ich weiß, hat das Judentum im Humboldt Forum bisher noch keinen großen Platz bekommen. Aber es ist ja nicht nur das Humboldt Forum, das ins Schloss kommt, sondern auch das Berliner Stadtmuseum. Und es wäre natürlich ein sehr, sehr wichtiges Thema und eine Möglichkeit, über die Berliner Stadtgeschichte auf die Bedeutung des Judentums neu hinzuweisen.
DOMRADIO.DE: Jedenfalls soll vor allem außereuropäische Kunst im Humboldt Forum präsentiert werden, unter anderem aus Afrika und Amerika. Und gerade auf diesen beiden Kontinenten wurde unter dem christlichen Kreuz viel Unheil angerichtet. Sendet das vielleicht die falschen Signale aus?
Claussen: Nein, es setzt ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen, und das ist total interessant, strittig und nicht nur historisch. Also, die Frage: Wie haben sich Mission und Kolonialismus zueinander verhalten? Wo waren sie zusammen unterwegs? Wo haben Sie sich widersprochen?
Das ist nicht nur eine historische Frage, sondern führt mitten hinein in Gegenwartskonflikte des postkolonialistischen Diskurses. Und da ist natürlich so ein Kreuz erst verstörend, aber vielleicht auch eine eindrückliche Mahnung, dieses Thema endlich richtig anzugreifen und zu diskutieren. Da ist ein konstruktiver Konflikt im Gange, und das kann ich nur begrüßen.
Das Interview führte Tobias Fricke.