Es gibt Richtlinien zur Vorbeugung und Mitarbeiterschulungen mit Praxishilfen: Doch der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche weiter fest im Griff. "Die institutionellen Bewältigungsmechanismen sind überfordert", brachte der Jesuit Hans Zollner es bei einer Fachtagung des Bistums Dresden-Meißen auf den Punkt.
Und niemand unter den Teilnehmern aus verschiedenen kirchlichen Aufgabenfeldern widersprach dem Präsidenten des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana, auch Bischof Heinrich Timmerevers nicht. Zum Abschluss am Donnerstagabend bekannte er seine "große Ohnmacht" angesichts der tausenden Missbrauchsfälle durch Kirchenmitarbeiter, die aus den vergangenen Jahrzehnten bekannt wurden. "Wahrscheinlich kommen wir nur raus, wenn wir das Heft des Handelns an unabhängige Stellen übergeben", räumte er ein.
Klerikalismus in der Kritik
An Einsicht in das Problem fehlt es indes nicht. Missbrauch sei der "gravierendste Ausdruck" einer destruktiven Machtausübung, widersprach Timmerevers Versuchen, die Missbrauchsfälle nur auf den Satan oder eine sexuell zu freizügige Gesellschaft zurückzuführen. Auch darin waren sich die Teilnehmer der Veranstaltung unter dem Titel "Macht. Verführung und Missbrauch entkommen" einig.
Inwieweit dies die Strukturen der katholischen Kirche in Frage stellt, ist innerkirchlich indes umstritten. So steht ein "sakral überhöhtes" Verständnis des Geistlichen, ein Klerikalismus, in der Kritik. "Wenn ein Priester missbraucht, missbraucht auch Gott", brachte Zollner es auf den Punkt. Für die Opfer ist diese Empfindung oft wichtiger als die Tat an sich und führt vielfach zu einer vollständigen Abkehr von Glaube und Kirche. Dies und die Vertuschung der Taten führte in Ländern wie Australien, Irland und den USA nach Erfahrung des weltweit vernetzten Jesuiten dazu, dass die katholische Kirche fast jegliche Glaubwürdigkeit auch in anderen ethischen Fragen verloren hat.
Kirche in einer "existenziellen Bedrohung"
So hat der Missbrauchsskandal hat auch die Kirche insgesamt nachhaltig "traumatisiert", wie Zollner die Situation der Institution in psychologischer Begrifflichkeit beschrieb. "Schock und Lähmung" binden nach seinem Eindruck einen Teil der Kräfte, die für die Verbreitung ihrer Botschaft in Wort und Tag zur Verfügung stehen könnten. Die Kirche sei in einer "existenziellen Bedrohung", warnte der Jesuit. Eine Präventionsstrategie könne Missbrauch aber nachhaltig entgegenwirken, so der Jesuit, auch wenn es eine Illusion wäre, solche Verbrechen ganz verhindern zu können.
Doch was könnte zudem nachhaltig aus der Krise führen und den "Klerikalismus als spezifische Form kirchlicher Gewalt", wie es der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Remenyi formulierte, zurückdrängen? Auf der Tagung wurde die ganze Breite kirchlicher Reformvorschläge laut. So sieht Remenyi sich herausgefordert, "über die Theologie des kirchlichen Amtes neu nachzudenken". Die Dresdner Theologin Ulrike Irrgang wandte sich gegen ein "extrem exklusives Verständnis des Priesteramtes", das Frauen und verheiratete Männer ausschließt.
Beteiligungsrechte der Kirchenmitglieder erweitern
Der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann riet, die Beteiligungsrechte der Kirchenmitglieder auf allen Ebenen zu erweitern. "Dem normalen Rechtsbewusstsein ist es nicht mehr zu vermitteln, dass es in der katholischen Kirche keine Gewaltenteilung gibt", betonte er. Nach den aus seiner Sicht enttäuschenden jüngsten Positionierungen von Papst Franziskus zu einer Priesterweihe von Frauen und verheiraten Männern empfahl er den Befürwortern von Reformen, "den Ton anzuschärfen".
Es sind Forderungen, wie sie auch im begonnenen Reformdialog der katholischen Kirche zur Debatte stehen. Timmerevers versicherte, er unterstütze den sogenannten Synodalen Weg "ausdrücklich". Wie die Kirche insgesamt stehe dieses Gesprächsforum vor der Aufgabe, "zu ergründen, welche Rahmenbedingungen und Muster Machtmissbrauch begünstigen".