Eine Langzeittdoku über Ratzingers Geburtsort

Als Marktls Bürger alle Papst wurden

Der 19. April 2005 veränderte in Marktl am Inn alles. Als mit Joseph Ratzinger "einer von ihnen" zum Papst gewählt wurde, rückte der 2.700 Seelen zählende Geburtsort von Benedikt XVI. plötzlich ins große Scheinwerferlicht. Gäste aus Nah und Fern sowie Journalisten und Kamerateams überrannten den Ort.

Autor/in:
Barbara Just
 (DR)

Auch Mickel Rentsch zog es in die Marktgemeinde, zunächst nur aus privatem Interesse. Dann aber faszinierte den Filmemacher das Treiben so sehr, dass er eine Langzeitdokumentation zu drehen begann. In dieser Woche lief "Wir sind Papst!" in den bayerischen Kinos an.

Zu sehen ist in 90 Minuten, wie sich das Leben der Einwohner des vormals beschaulichen Ortes in zwei Jahren komplett veränderte. Ohne Scheu erzählt Geschäftsfrau Eva Zeberer, dass ihre Kräuterteemischung jetzt den Namen des Papstes trage, aber vielleicht später auch wieder anders heißen könne. In der Bäckerei gibt es auf einmal Ratzingerschnitten und Vatikanbrot, beim Gasthaus am Eck wird das Papstbier zum Renner. "Was sollen wir machen? Die Leute wollen halt etwas mitnehmen", heißt es. Die Kunden im Laden, die busweise einfallen, belegen es.

Erzählt die Metzgerin stolz von der Ratzinger-Bratwurst, kann man ihr nicht böse sein. "Sie meint es ganz und gar ehrlich", sagt Rentsch, "wenn sie erklärt, dass die darin verarbeiteten Blumen sinnbildlich für Fröhlichkeit stünden und damit für die Mentalität des Papstes." Natürlich sei da eine Portion Naivität dabei, "aber für mich ist es aus dem Herzen gesprochen". Dem Filmemacher geht es nicht darum, das "Vermarktln" erneut anzuprangern.

Diesen "Spagat zwischen Kommerz und Pietät" zu halten, wie es Bürgermeister Hubert Gschwendtner betont, ist eben nicht einfach. Rentsch gelingt mit einfachen technischen Mitteln ein ehrliches Porträt des Ortes und seiner Einwohner. Zu ihnen gehört Marianne Reichl. Die alte Dame wundert sich selbst darüber, dass nun Rosenkränze zu ihrem Ladensortiment gehören. Unumwunden gibt sie zu, dass manches Papst-Porträt auf Stoff-Taschen "greislich" ist: "Aber d' Leut' kaufen's."

Der Film lebt vom Dialekt und der Direktheit seiner Protagonisten. Und vom lebendigen Katholizismus. Die Kirche ist an Ostern 2006 voll, wenn über dem Taufbecken, wo Joseph Ratzinger wenige Stunden nach seiner Geburt am 16. April 1927 die Taufe empfing, nun erneut ein Junge getauft wird. Andächtig knien die Gläubigen auch in den Kirchenbänken, wenn einen Tag später die Städtepartnerschaft mit Wadowice, dem polnischen Geburtsort von Johannes Paul II., gefeiert und besiegelt wird.

Zu diesem Zeitpunkt sorgt bereits seit einem halben Jahr ein eigens eingestellter, geschäftiger Tourismuschef dafür, dass alles wie am Schnürchen läuft. Die Euphorie um den bayerischen Papst lässt sogar Musicalstar Anna Maria Kaufmann von Ägypten nach Marktl reisen, um, begleitet am einfachen Klavier, im Gemeindesaal "Amazing grace" zu singen. Ein "bisschen mitverführt" worden sei er von dem Treiben auch, räumt Rentsch ein, der selbst Protestant ist.

Als Unbekannte einen Tag vor dem Papstbesuch die Fassade des Geburtshauses mit blauer Farbe beschmutzen, wird in wenigen Stunden alles neu gestrichen. Der Papst kann kommen. Er tut es als Privatmann und bringt damit in seinem Geburtsort am Abend des 11. September 2006 die Marktler aus dem Häuschen. Es erinnert an Loriot, wenn Stunden zuvor eine Frau im roten Dirndl versucht, ihren Mann vor einem riesigen Papstplakat mit der Kamera richtig ins Bild zu setzen. "Fügung" nennt der Filmemacher solche Szenen.  

Inzwischen hat sich die Euphorie etwas gelegt, einige Läden mussten wieder zumachen. Stolz aber seien die Leute nach wie vor, sagt Rentsch. Unsicherheit herrsche jedoch, weil am Anfang viel falsch gemacht worden sei. Dabei sei jetzt alles eher gediegen. Der frühere Tourismusmanager ist längst weg - Richtung Flachau, der österreichischen Heimat von Skistar Hermann "Herminator" Maier.

Hinweis: Der Film "Wir sind Papst" läuft ab 14. Mai in den bayerischen Kinos an. Weitere Informationen unter www.wirsindpapst.de im Internet.