Eine Ordensfrau beklagt im Bundestag "unmenschliche" Vorgaben für Asylbewerber

"Die Liebe steht über dem Gesetz"

Ein ungewohnter Anblick. Zwischen Verwaltungsprofis und Verbandsvertretern hockt am Montag eine Ordensfrau mit Gewand und Schleier im Saal des Bundestags-Sozialausschusses. Schwester Stefanie Müllenborn aus dem westfälischen Herten plädiert als Expertin der katholischen Kirche für die Streichung des Asylbewerberleistungsgesetzes. "Die Liebe steht über dem Gesetz", sagt sie zwischendrin.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Das Gesetz von 1993 regelt die sozialen Leistungen für bedürftige Asylbewerber und geduldete Ausländer in Deutschland. Sie erhalten ein gutes Drittel weniger an Leistungen als Sozialhilfe-Empfänger. Als der Bundestag das beschloss, ging es um Hunderttausende Menschen pro Jahr, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. «So gibt es neben Menschen zweiter Klasse noch Menschen dritter Klasse», meint die 63-jährige Ordensfrau. «Es muss doch jeder einsehen, dass man so etwas nicht machen kann.»

Gut 15 Jahre alt ist das Gesetz, gut 15 Jahre wurden die Leistungen auch nicht erhöht. Trotz allgemeiner Teuerung. Das Gesetz aus CDU-FDP-Zeiten überstand auch die rot-grüne Koalition unverändert. Nun wollen die Grünen aus der Opposition heraus die Streichung.

Gesetze, meint die Franziskanerin, würden viel zu wenig aus der Praxis heraus erarbeitet, das gelte auch für andere Themenfelder. Jeder, der über die Behandlung von Asylbewerbern entscheide, solle mal einige Tage Alltag mit ihr verbringen.

Lange Zeit war die gebürtige Eiflerin in der Verwaltung ihrer Gemeinschaft, der Salzkottener Franziskanerinnen, tätig. «Vor 20 Jahren haben wir uns als Orden gefragt: Wo leben heute Arme, Randgruppen, Menschen, für die niemand da ist?», erzählt sie.
Schwester Stefanie lief wochenlang durch die Straßen der Stadt im nördlichen Ruhrgebiet, führte viele Gespräche und fand so zur Arbeit mit Asylbewerbern.

1997 zog die Ordensfrau sogar in eine Asylbewerber-Unterkunft, fand Quartier in einer umgebauten Schule. «Ist die verrückt?», schrieb eine Zeitung. Aber die ziemlich geerdet wirkende Ordensfrau erfuhr nicht nur von den Schicksalen bosnischer oder iranischer Flüchtlinge und organisierte medizinische Betreuung. Sie lernte auch, wie sie berichtet, dass der vielfach beklagte Müll vor der Unterkunft nachts dort von andernorts abgeladen wurde. Nicht von Asylbewerbern.

Schwester Stefanie betont, sie wolle die Verantwortlichen nicht «anklagen, sondern sie umdrehen». Der Bürgermeister in Herten und die zuständigen Behörden kennen sie. Gelegentlich, wenn es heikel wird, telefoniere sie auch mal mit der Führung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, erläutert sie. Zuletzt habe sie im September vorigen Jahres eine Abschiebung verhindert.

Der am Montag diskutierte Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Asylbewerber mit Sozialhilfe-Empfängern, den Wohlfahrtverbände und Kirche unterstützen, kommt von den Grünen, einer Oppositionspartei. Da ist absehbar, dass es keine Aussichten auf irgendeine Änderung am Gesetz gibt - zumal sich der Bundestag auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode befindet. Schwester Stefanie ficht das nicht an: «Dann muss es nach der Wahl wieder auf die Tagesordnung. Dieses Gesetz ist unmenschlich und muss weg.»