Katholische Elternschaft fordert Umdenken bei Corona-Schulpolitik

"Eine riesengroße Belastung"

Die Katholische Elternschaft warnt vor den aktuellen Belastungen für Familien und Kinder. Daher sei auch mit Blick auf Inzidenzzahlen ein Umdenken in der Corona-Politik für die Schulen nötig, erklärt Bundesvorsitzende Marie-Theres Kastner.

Eine Mund- und Nasen-Bedeckung liegt im Unterricht auf Arbeitsmappe / © Matthias Balk (dpa)
Eine Mund- und Nasen-Bedeckung liegt im Unterricht auf Arbeitsmappe / © Matthias Balk ( dpa )

DOMRADIO.DE Was sind das für massive seelische Auswirkungen für Kinder und deren Familien, die die Corona-Pandemie mit sich bringt?

Marie-Theres Kastner (Bundesvorsitzende der Katholischen Elternschaft Deutschlands): Vielleicht darf ich am Anfang sagen, dass wir nicht wie die Kuh vom Sonntag reden, sondern dass das sehr fundiert ist. Wir haben uns erstens erlaubt, eine zweite Umfrage zu machen mit über 10.000 beteiligten Kindern, Jugendlichen, Eltern und Lehrern. Und wir haben am Wochenende eine Tagung gehabt, in der wir auch zwei Kinderpsychologen zu Gast hatten, die an der Universität Münster auch Studien in diese Richtung gemacht haben.

Das, was wir erleben bei Kindern und Jugendlichen, ist, dass sie sich sowohl körperlich als auch seelisch verändern. Sie sind zum Teil mit Angststörungen zu erleben, sie sind mit Aggressivität zu erleben. Sie bekamen Kopfschmerzen, können nicht schlafen, nehmen drastisch an Gewicht zu - auch aufgrund des Bewegungsmangels. Das ist eine riesengroße Belastung für diese Kinder, weil sie einfach zum Teil sehr alleine sind mit sich, dem Unterrichtsstoff und auch ohne jugendliche Kontakte.

DOMRADIO.DE: Jetzt fordern Sie ein Umdenken in der Corona-Politik. Sie sagen, dass Kita- und Schulschließungen nicht vom Inzidenzwert abhängig gemacht werden sollen. Wie begründen Sie das?

Kastner: Wir werden aufgrund der Tatsache, dass wir immer mehr Testungen vornehmen, ob in den Betrieben oder in den Schulen, ein riesengroßes Testaufkommen haben. Teilweise gibt es ja auch Eltern, die fordern, dass ihre Kinder jeden Tag getestet werden. Dabei werden wir sicherlich den einen oder anderen entdecken, der testmäßig positiv ist. Die Kinder weisen teilweise keine Symptome auf, deshalb wird man dann überrascht sein.

Wir haben dann einen hohen Inzidenzwert, der aber eigentlich nicht sagt, wie die Krankheitsverläufe sind. Die Kinder haben teilweise kaum schwerwiegende Verläufe. Natürlich muss man die Kinder dann in Quarantäne bringen, aber die Werte stimmen ja dann nicht mehr. Ich habe heute Morgen noch einen Forscher gehört, der gesagt hat: Es ist eigentlich schwierig, wenn man immer nur nach den Inzidenzwerten geht. Man muss eigentlich gucken, wie sind die Erkrankungen und wie ist die Schwere der Erkrankungen. Danach muss man eigentlich vorgehen. Das ist ein anderer Wert, der mindestens dazu betrachtet werden muss.

Und ich bin schier in Entsetzen geraten, als ich heute gehört habe, dass bei dem neuen Gesetz, wo sich die Fraktionen über Veränderungen unterhalten haben, dass man den Inzidenzwert für die Schulen nochmal weiter runtersetzen wird - also bei 165. Wir müssen also im Fall von Nordrhein-Westfalen davon ausgehen, dass eine riesen Schulschließung wieder stattfinden wird, dass wieder alle Kinder in den Distanzunterricht gehen und dass sie wieder keine Kontakte untereinander haben.

DOMRADIO.DE: Jetzt wird ja auch gefordert, dass nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch Schülerinnen und Schüler zügig durchgeimpft werden sollen. Was halten Sie denn davon?

Kastner: Ich würde das begrüßen, wenn ich sicher bin, dass der Impfstoff auch für die Kinder und Jugendlichen zugelassen ist. Ich wäre aber ehrlich gesagt schon ganz schön froh, wenn alle Lehrer durchgeimpft würden. Lehrer und auch die Eltern der Kinder. Wir müssen einfach impfen, impfen, impfen. Und wenn der Impfstoff dann für die Kinder geeignet ist, dann bitte sofort.

DOMRADIO.DE: In den letzten eineinhalb Jahren ist ja schon viel verloren gegangen. Da fehlt es jetzt auch Lernstoff. Wie kann das denn überhaupt aufgeholt werden?

Kastner: Das eine ist für mich der Lernstoff. Schulen sind ja nun mal auch Vermittlung von Wissen und Können - ganz fachlicher Art. Aber was mir im Moment noch viel wichtiger ist, ist die psychische Belastung. Ich glaube, wenn es Kindern gut geht, dann können sie auch sehr viel schneller Defizite im Lernen nachholen. Aber ich sage ganz deutlich: Wir müssen uns ganz dringend um den Nachholbedarf der Kinder kümmern und vor allen Dingen um die Kinder, die von zuhause aus - aufgrund welcher Konzeptionen auch immer - keinerlei Unterstützung bekommen.

Ich glaube, da sind wir noch lange nicht drauf eingerichtet. Wenn ich diese Programme alle sehe, die jetzt gemacht werden, die dann auch gekoppelt sind an irgendwelche Vorgaben, die sind alle sehr bürokratisch und mit viel Aufwand verbunden. Teilweise müssen die Kommunen dann auch ihren Beitrag dazu leisten, was manche Kommunen, die hoch verschuldet sind, auch gar nicht können, sodass dann wieder Kinder auf der Strecke bleiben.

Hier muss wirklich sehr sorgfältig hingeguckt werden: Wie können wir den Kindern, die sonst keine Unterstützung haben, auch den Stoff geben? Wenn Sie das Ergebnis sehen in unserer Umfrage: Wir haben die Kinder gefragt, auch die Erwachsenen und die Lehrer, wie sie die Lebenschancen für die Zukunft sehen. Es ist erschreckend, wie viele geantwortet haben, dass sie da eine größere Ungerechtigkeit für die Zukunft sehen und ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft und der Bildungschancen.

DOMRADIO.DE: Sie haben auch auf andere Länder in Europa geguckt. Wie ist denn die Situation da, was Kitas und Schulen betrifft? Können wir uns irgendwo etwas abgucken?

Kastner: Jedenfalls sind da die Schulen auf, etwa in Österreich oder in der Schweiz. In anderen europäischen Ländern sind die Schulen weiter geöffnet.

DOMRADIO.DE: Da hoffen sie wahrscheinlich auch, dass spätestens nach den Sommerferien die Schulen aufbleiben?

Kastner: Ja. Jeder Tag vorher ist schon Gold wert.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Marie-Theres Kastner / ©  KED (KNA)
Marie-Theres Kastner / © KED ( KNA )
Quelle:
DR