Martin Luther habe die Sakramente als Heilsmittel abgeschafft - darin waren sich Lutheraner und Katholiken lange Zeit einig. Doch das ökumenische Gespräch der vergangenen 50 Jahre hat gezeigt: Für Luther hatten Taufe, Eucharistie und selbst die Beichte eine hohe Bedeutung. Das machte der Theologieprofessor Wolfgang Thönissen bei einer internationalen Tagung deutlich, die am Mittwochabend in Rom zu Ende gegangen ist.
Der vatikanische Ökumene-Verantwortliche Kurienkardinal Kurt Koch sagte in seinem Eröffnungsvortrag, die Theologie entdecke heute den "katholischen Luther" wieder. Während der protestantische Theologe Adolf von Harnack (1851-1930) noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts überzeugt gewesen sei, mit der Reformation Luthers habe "die Neuzeit ihren Anfang genommen", so werde heute erkennbar, wie sehr das Denken des Reformators noch im Spätmittelalter verwurzelt gewesen sei, so Koch.
Verteidiger eines "traditionellen sakramentalen Realismus"
Dass dies auch für die Feier der Sakramente gilt, zeigte unter anderem der Vortrag des lutherischen Bischofs von Kuopio in Finnland, Jari Jolkkonen. Ein Gesamtblick auf die Schriften Luthers lasse erkennen: Luther habe die Eucharistie, anders als einige andere Reformatoren, keineswegs nur "symbolisch" verstanden. Er sei vielmehr ein Verteidiger eines "traditionellen sakramentalen Realismus" gewesen. Auch wenn er die katholische Redeweise von der "Transsubstantiation" abgelehnt habe, sei er überzeugt gewesen, dass Leib und Blut Christi "wahrhaft und substanziell" in der Eucharistie gegenwärtig seien.
Diese Auffassung habe Luther auch gegen den Schweizer Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) verteidigt, so Jolkkonen. Aus der Gegenwart Christi im Sakrament habe Luther auch praktische Konsequenzen gezogen. Das Knien im Gottesdienst, Weihrauch und Gesten der Anbetung seien für Luther selbstverständlich gewesen. Auch habe der Reformator empfohlen, die Kommunion kniend und in den Mund zu empfangen, wie es in Finnland bis heute üblich sei.
Der evangelische Theologe Theodor Dieter, Direktor der Straßburger Instituts für Ökumenische Forschung, erinnerte daran, dass Martin Luther auch die Einzelbeichte nicht abgeschafft habe. Luther sei zwar überzeugt gewesen, dass Gottes Vergebung nicht vom Amt des Priesters abhängig sei, er habe aber trotzdem die Einzelbeichte geschätzt und empfohlen, da sie den Beichtenden die Erfahrung der Befreiung und der Freude des Evangeliums vermittele.
Andere Referenten betonten dagegen stärker das Neue in Luthers Sakramentenverständnis, so etwa der im italienischen Brescia lehrende katholische Theologe Angelo Maffeis. Die mittelalterliche Theologie der Scholastik habe gelehrt: Es reicht, wenn der Empfänger dem Sakrament kein inneres Hindernis ("obex") entgegensetze, damit es zustande komme. Unabhängig vom individuellen Glauben wohne den Sakramenten eine besondere Kraft ("virtus") inne, so seien die Scholastiker überzeugt gewesen.
Glaube an das Sakrament
Darin habe Luther die Gefahr eines "sakramentalen Automatismus" gesehen - und stattdessen betont, dass der Glaube entscheidend sei, damit die Sakramente ihre Wirkung entfalten können. Für Luther sei nicht das Sakrament an sich heilswirksam, sondern der Glaube an das Sakrament. Diese Integration des Glaubens in den Sakramentenbegriff bezeichnete Maffeis als "absolute Neuerung".
Der römische Tagung "Luther und die Sakramente", zu der mit der Päpstlichen Universität Gregoriana, dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und dem Johann-Adam-Möhler-Institut drei katholische Institutionen eingeladen hatten, waren zahlreiche lutherische und katholische Kirchenvertreter und Theologen gefolgt.
Katholiken und Lutheraner entdeckten in der Person und im Denken Martin Luthers Unterschiede und Übereinstimmungen wieder. Zum Abschluss der Tagung betonte der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, wie viele Gemeinsamkeiten bereits bestünden - und wie wichtig ein gemeinsames Zeugnis der christlichen Konfessionen in der Welt von heute sei.