"Teilen kann echt nerven": So heißt eine Liedzeile aus einem Kinderlied, in dem ein kleines Kind sein Leid klagt. Wenn es Spielzeug bekommt, dann muss es das mit dem Geschwisterkind teilen. Wenn es etwas besonderes zum Essen bekommt, müssen andere auch davon probieren. Das alles sind Momente des Teilens, die nicht nur für die Kleinsten anstrengend und oft unverständlich sind.
Auch für Erwachsene ist Teilen nicht immer einfach: Gute Ideen behält man gerne für sich selbst, und was man mit dem eigenen Geld erworben hat, gibt man nur ungern wieder aus der Hand. "Teilen kann echt nerven": Das gilt zudem für vieles, was in den Sozialen Medien geteilt werden "muss", weil man meint, es sei so wichtig, dass man auch die anderen daran teilhaben lässt.
Teilen ist nicht immer einfach, denn man gibt etwas her, was man am liebsten für sich ganz allein behalten würde. Alleine etwas besitzen, als einziger etwas benützen: Das ist eine Ursehnsucht des Menschen, Alleinstellungsmerkmale zu haben und sich so von den anderen abzugrenzen.
Der Heilige Martin überwindet Grenzen
Im Wort "abgrenzen" steckt eben auch die Grenze: Und wo man sich abgrenzt, dort zieht man Grenzlinien, schließt andere von der Teilhabe an etwas aus und markiert eine Linie, die nicht überschritten werden darf. Der andere soll anders bleiben, soll nicht alles haben, was man selbst hat. Wer nicht teilt, der schließt andere bewusst aus, verweigert die Solidarität und trägt dazu bei, dass immer neue Grenzen entstehen.
Jedes Jahr im November feiern - nicht nur - Christinnen und Christen das Fest des heiligen Martin, dessen Leben und Handeln uns immer wieder begeistert. Denn Martin von Tours lebt ein anderes Verhalten vor. Grenzen werden von ihm bewusst überschritten: die Grenze zwischen dem römischen Offizier und dem Bettler, die Grenze zwischen oben auf dem Ross und unten auf der Erde, die Grenze zwischen frierend und warm behütet.
Für Martin ist das Aufrechterhalten der Grenzen keine Lösung. Denn er lebt ein solidarisches Verhalten vor, das Grenzen überwindet.Möglicherweise war auch Martin klar, dass er frieren würde, wenn er seinen wärmenden Mantel teilt.
Dennoch hat er seinen Offiziersmantelgeteilt: Denn er war sich auch bewusst, dass Grenzen nicht aufgebrochen werden, wo jeder nur auf sich selbst schaut und nur den eigenen Vorteil sucht. Vorurteile können nur dort aufgebrochen werden, wo man vom hohen Ross herabsteigt und auf den anderen Menschen auf Augenhöhe begegnet. Solidarität wird nur dort möglich, wo man etwas von sich selbst gibt und damit den ersten Schritt auf einen anderen Menschen zugeht.
Leben, Licht und Liebe teilen
Am Martinstag ziehen zahlreiche Kinder mit ihren Laternen durch die dunklen Straßen und Gassen der Städte und Dörfer. Mit dem Blick aufMartin und sein heiligmäßiges Leben machen sie die Welt ein bisschen heller. Sie zeigen: Im Dunkel der Gesellschaft gibt es Menschen, die Licht bringen, die Wärme spenden, die auf das Leben hinweisen.
Lichtbringer in dieser Welt: Das sind nicht jene Menschen, die auf Grenzen pochen und Ausgrenzung befördern. Das sind auch nicht dieMenschen, die Solidarität verweigern und von sich selbst behaupten, etwas Besseres zu sein. Leben, Licht und Wärme kommt in das menschliche Miteinander, wenn man miteinander teilt, wenn Grenzen zerbrechen und Ausschließungen überwunden werde. So, wie es Martin getan hat, an den sich viele Menschen Jahr um Jahr gerne erinnern.
"Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir; dort oben leuchten die Sterne, hier unten leuchten wir", heißt es in einem Kinderlied zum Martinstag. Wenn Menschen so handeln, wie es Martin getan hat, dann werden sie zu Lichtern für die Welt. Dann braucht es keine Laternen mehr, weil die Menschen selbst so hell wie Sterne in der Gesellschaft leuchten. Wo Leben, Licht und Liebe miteinander geteilt werden, kann die neue Welt des Gottesreiches schon hier und heute anbrechen.