Pilotprojekt: Trauernde begleiten und trösten

Einer trage des anderen Last…

Selig sind, die da trauern, denn sie werden getröstet werden. Aber zu wem gehen, wenn da niemand ist, um den akuten Schmerz aufzufangen? Mit einem Qualifizierungsangebot für Getaufte und Gefirmte löst das Erzbistum nun diese Zusage ein.

Trauerbegleiitung heißt, niemanden in seinem Schmerz allein zu lassen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Trauerbegleiitung heißt, niemanden in seinem Schmerz allein zu lassen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Frau Will, es gibt viele unterschiedliche Träger für Angebote zur Trauerbegleitung. Seit Neuestem gibt es nun auch im Erzbistum Köln die Möglichkeit, sich zur Trauerbegleiterin bzw. zum Trauerbegleiter ausbilden lassen zu können. Worin liegt der Mehrwert dieser kirchlichen Initiative, für die Sie das Konzept entwickelt haben?

Eva-Maria Will (Referentin für Trauerpastoral und Bestattungskultur im Erzbistum): Trauer hat ja ganz unterschiedliche Gesichter und Ursachen. Es muss nicht unbedingt der Tod eines geliebten Menschen sein, der Trauer auslöst. Auch viele andere Verlustsituationen können zu einem in wörtlichem Sinne "trost-losen" Leben, zu einer Leere und totalen Krise führen. Da ist es gut, Familie oder Freunde zu haben, die einen auffangen.

Aber es gibt heute eben auch zunehmend mehr Menschen, die nicht wissen, zu wem sie gehen können, wenn sie akut seelischen Beistand benötigen, weil ihnen ein soziales Netz fehlt. Deshalb will auch die Kirche, die Trauernde zu trösten als eine ihrer Kernaufgaben betrachtet, hier ein Angebot machen und es dort verankern, wo sich viele Menschen versammeln: in der Gemeinde.

Denn nichts brauchen Trauernde mehr in ihrer oft ausweglos erscheinenden Lage, in der ihnen der Boden unter den Füßen wegbricht, als einen festen Halt; etwas, woran sie sich orientieren können. Und da kann die Kirche Präsenz zeigen, indem sie einfach da ist: mit Menschen, die ein offenes Ohr für den Trauernden haben oder ihm sprichwörtlich die Hand reichen und die – darüber hinaus – zum Ausdruck bringen, dass Gott niemanden allein lässt und jeden Leidensweg mitgeht.

Denn nicht nur Worte, sondern gerade auch die Symbole oder Rituale unseres christlichen Glaubens, wie zum Beispiel der Segen, können ein Stück Sicherheit in einem großen Gefühlschaos geben und Trost spenden.

DOMRADIO.DE: Im Volksmund heißt es, geteiltes Leid ist halbes Leid. Trifft dieses banale Sprichwort Ihr Anliegen?

Will: Wenn es so einfach wäre! Und trotzdem: Ja, mit jemandem an der Seite, der meine Trauer teilt, lässt sie sich besser aushalten. Mit jemandem mitfühlen heißt für uns als Christen, uns am Vorbild Jesu zu orientieren, der den Weg der verzweifelten Jünger nach Emmaus als Gefährte mitgeht. Diese Haltung des Mitgefühls nennen wir zugewandte Barmherzigkeit. Tote begraben und Trauernde trösten sind barmherzige Werke.

Der Apostel Paulus drückt sein Verständnis von Mitgefühl und Solidarität in dem Postulat "Einer trage des anderen Last" aus. Darin sieht er das Evangelium, das die Grundlage unseres Handels ist, erfüllt. Natürlich hat die Hospizbewegung in den letzten 30 Jahren einen großen Dienst an den Sterbenden und ihren Angehörigen geleistet. Und es gibt zahlreiche andere Einrichtungen, die hier ebenfalls tätig sind.

Aber bei dieser elementaren Aufgabe der Kirche dürfen wir dennoch das Feld nicht nur säkularen Anbietern überlassen, sondern müssen aus unserer christlichen Spiritualität heraus von der Hoffnung erzählen, die uns erfüllt. Denn dass gerade uns die existentielle Situation von Sterben und Tod besonders herausfordert, hier ein Zeugnis unseres Glaubens abzulegen, nämlich dass Gott uns nicht im Tod lässt, sondern neues Leben verspricht, versteht sich eigentlich von selbst.

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten mit Menschen, die trauern. Was brauchen denn solche Menschen? Welche Beobachtungen machen Sie?

Will: Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa rund 900.000 Menschen. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass bei jedem Verstorbenen etwa drei ihm nahestehende Menschen von Trauer betroffen sind, dann erleben jedes Jahr etwa drei Millionen Menschen akute Trauer. Und das ist eher noch knapp kalkuliert. Das bedeutet also ganz klar einen Handlungsbedarf. Trauerprozesse folgen ja nicht unbedingt einer zeitlichen Vorgabe, sondern dauern oft viel länger.

Gleichzeitig ergeht damit an uns als Kirche der Auftrag, das wahrzunehmen und auf das individuelle Bedürfnis des Trauernden einzugehen. Wir beobachten, dass Trauernde oft vereinsamen, in die Isolation geraten, weil die Nachbarn oder Kollegen nicht wissen, wie sie mit ihnen umgehen sollen und ihnen deshalb lieber aus dem Weg gehen, unter Umständen sogar die Straßenseite wechseln – nach dem Motto: Lieber nichts sagen, als etwas Falsches zu sagen.

Es herrscht also eine große Unsicherheit. Durch dieses Verhalten fühlen sich Trauernde aber oft nicht gesehen und sogar ausgegrenzt. Da müssen wir unbedingt dagegenhalten. Papst Franziskus sagt, es müsse Aufgabe der „Diener des Evangeliums“ sein, "die Herzen der Menschen zu erwärmen, in der Nacht mit ihnen zu gehen…" In diesem Sinne müssen wir immer noch mehr zu einer sorgenden Gemeinde werden.

DOMRADIO:DE: Sie sagten, Trauer habe unterschiedliche Gesichter. Sie drückt sich also sehr individuell aus. Heißt das denn auch, dass sich Trauer in irgendeiner Weise messen lässt, es unterschiedliche Schweregrade von Trauer gibt?

Will: Ja, wir sprechen zum Beispiel von erschwerter Trauer, etwa bei Suizid, wenn ein noch junger Mensch zu Tode kommt oder wenn es sich um ein Gewaltverbrechen handelt. Hier kann eine Psychotherapie erforderlich sein. Und es ist wichtig, dass es solche professionellen Angebote gibt wie beispielsweise in den zwölf Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen unseres Bistums.

Aber in den meisten Fällen sind die Trauernden kein Fall für den Spezialisten. Vielmehr benötigen sie die Unterstützung in ihrem nahen Umfeld, damit eben keine Krankheit daraus wird. Es ist unser aller Aufgabe, uns um trauernde Menschen zu kümmern. Für mich bedeutet das, Trauernde quasi zu "resozialisieren", also in das gesellschaftliche Leben zurückzuführen. Das erfordert aber einen Blickwechsel. Und hier liegt der Auftrag unserer Gemeinden.

Wir müssen dort, wo es das nicht oder nicht mehr gibt, Besuchsdienste einrichten: mit Gemeindemitgliedern, die Trauernde besuchen, ihnen zuhören und konkrete Unterstützung im Alltag anbieten. Als gastfreundliche Kirche müssen wir Räume schaffen, in denen sich Menschen in vergleichbaren Situationen austauschen können. Hier ist unsere Solidarität gefragt. Für uns als Kirche heißt das einmal mehr, unseren Auftrag als diakonische, als sorgende Kirche wahrzunehmen. Genau das betont ja auch der Pastorale Zukunftsweg: Wir müssen immer wieder nach versteckter oder nicht-materieller Not suchen und überlegen, wie wir den Menschen dienen können.

DOMRADIO.DE: Wie sieht nun konkret diese Ausbildung für die Begleitung von Trauernden aus?

Will: Bei der Entwicklung dieses Kursprogramms, das soeben als Pilotprojekt mit 15 Teilnehmern gestartet ist und das sich in drei Wochenenden gliedert, war die Ausgangsüberlegung: Wie können wir auf trauernde Menschen in ihren unterschiedlichen Situationen zugehen? Aus welcher Hoffnung heraus und mit welchen Grundhaltungen können wir das Gespräch mit ihnen führen und gestalten? Was können wir als Gemeinde anbieten und wie uns vernetzen?

In dieser dreiteiligen Schulung geht es zunächst um die Motivation des Einzelnen und die Bereitschaft, sich mit der eigenen Trauerbiographie auseinanderzusetzen, aber sich auch über geistliche Erfahrungen auszutauschen. Beim zweiten Modul stehen spirituelle Kraftquellen, die Trauer an sich und die pastorale Vision im Zentrum. Und schließlich beim letzten Teil geht es um Trauerreaktionen, das Einüben einer Gesprächsführung und den Erwerb von Dialogkompetenz. Für alle drei Seminare stehen den Kursteilnehmern, die sich als Teams anmelden, Referentinnen und Referenten mit ihrem Fachwissen zur Seite.

DOMRADIO.DE: Warum legen Sie besonderen Wert darauf, dass sich Teams aus den Gemeinden bei Ihnen melden?

Will: Meine Erfahrung ist, dass Gemeindemitglieder lieber als Teams und nicht als "Einzelkämpfer" unterwegs sind. Dieses Angebot soll der Gemeinde zugute kommen und dazu führen, eine Trauerseelsorge neu aufzubauen oder sie da, wo bereits einiges in diesem Bereich geschieht, weiterzuentwickeln, damit Trauernde an dem Ort, wo sie leben, das bekommen, was sie brauchen. Trägt ein ganzes Team eine solche Aufgabe, fühlen sich eben auch gleich mehrere verantwortlich. Außerdem besteht Gelegenheit zum Austausch untereinander, und jeder kann sich auch mal zurückziehen, wenn ihm die Kraft auszugehen droht, ohne dass dann gleich die ganze Arbeit zusammenbricht.

DOMRADIO.DE: Sollen denn ehrenamtliche Trauerbegleiter nun im ganzen Bistum eingesetzt werden?

Will: Natürlich muss vorab zusammen mit dem Pastoralteam der Bedarf in einem Seelsorgebereich geklärt werden: Wie hoch sind die Bestattungszahlen? Wie viele Seelsorger stehen zur Verfügung? Was geschieht bereits in der Trauerpastoral? Und dann ist vor allem auch wichtig zu ermitteln: Wer könnte für eine derart sensible Aufgabe überhaupt gewonnen werden?

Schließlich geht es nicht zuletzt darum, Trauerbegleiter in einer Dialogkompetenz zu stärken – auch für Trauernde mit einem anderen kulturellen oder gar religiösen Hintergrund. Es bedarf also einer umfassenden Vorbereitung auf dieses verantwortungsvolle Ehrenamt.

DOMRADIO.DE: Apropos: Welche Voraussetzungen muss jemand denn für die Ausbildung zum Trauerbegleiter mitbringen?

Will: Jeder von uns kann einen trauernden Menschen begleiten. Das ist nämlich vor allem eine Frage der Haltung und nicht des Wissens. Es ist die Frage, wie ich auf Menschen zugehe. Ich brauche dafür eine Resonanzbereitschaft: Ich muss offen dafür sein, mich vom anderen gefühlsmäßig berühren zu lassen, Nähe zulassen und dem anderen Zeit geben. Deshalb ist Zuwendung mehr als bloße Aufmerksamkeit. Es geht nicht darum, etwas "leisten" zu müssen oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ich muss für den anderen nur da sein, Intuition und Empathie mitbringen.

Und das können viel mehr Menschen mitten aus unseren Gemeinden heraus, als man meinen könnte. Der Verlust ist unwiederbringlich. Das steht außer Frage, und die Trauer darüber muss ernst genommen werden. Aber zu zweit lässt sich eben manchmal auch leichter ein Weg durch die Trauer hindurch entdecken. So paradox sich das anhört: Wer sich auf diese besondere Aufgabe einlässt, macht intensive, bereichernde und manchmal sogar beglückende Erfahrungen. Und das hilft letztlich auch im Umgang mit eigener Trauer.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


Eva-Maria Will (Referentin für Trauerpastoral und Bestattungskultur im Erzbistum):  / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Von "erschwerter Trauer" sprechen Experten, wenn Eltern den Tod eines Kindes betrauern / © Beatrice Tomasetti (DR)
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"Ich bin die Auferstehung und das Leben", sagt Christus. Eine tröstlichere Botschaft gibt es für Christen nicht / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Eine Kerze steht in der christlichen Symbolik für das Licht und die Wärme Gottes, das die Dunkelheit hell macht / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Ein Clown auf einem Grab: Er will den Verstorbenen mit seinem Sinn für Humor verlebendigen / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Bei den christlichen Symbolen geht es um die Botschaft, dass Christus von den Toten auferstanden ist / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Aus Altem wird Neues. Der Tod ist nicht das Ende, besagt die christliche Botschaft / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Auf Melaten findet man viele Gräber mit monumentalen Heiligenstatuen / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Ein Karnevalsgardist auf dem Grab soll über den Verstorbenen und das, was ihm im Leben wichtig war, eine Aussage machen / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Nicht nur Kindergräber werden oft mit süßlichen Engelsdarstellungen geschmückt / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Das Kindhafte, aber auch Zärtliche kommt in diesem Putto zum Ausdruck / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Rosen stehen - auch auf einem Friedhof - immer für eine Liebeserklärung / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Bunte Windmühlen stehen mit starker Symbolkraft oft auf Kindergräbern / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Memento mori - bedenke deine Sterblichkeit, haben die Mönche im Mittelalter gemahnt / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Gegensätze, aber Gleichzeitiges: ein knorriger lebendiger Stamm und ein Grabstein zur Erinnerung an einen geliebten Menschen / © Beatrice Tomasetti (DR)
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Quelle:
DR
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