Berliner Obdachlose posieren als Models

Einmal am Tag jemandem Glück bescheren

Von der Straße auf das Vogue-Cover? In der aktuellen 16-seitigen Beilage der Düsseldorfer Obdachlosen-Zeitung „fifty fifty“ sind Berliner Obdachlose auf Hochglanz-Covern zu sehen. Das Foto-Projekt heißt HOME.LESS.FASHION.

Obdachloser auf einem Cover von HOME.LESS.FASHION / © Luis Maximilian Limberg (fifty fifty) (privat)
Obdachloser auf einem Cover von HOME.LESS.FASHION / © Luis Maximilian Limberg (fifty fifty) ( privat )

DOMRADIO.DE: Haben Sie Topmodels dazu bewegt, für ein Straßenmagazin zu posieren?

Ira Dorsch (Designerin und Projektverantwortliche): Nein, Sie sehen dort wirklich Obdachlose. Das ist ein Projekt, das wir in Berlin auf die Beine gestellt haben. Wir sind zwei Tage durch die Straßen gezogen und haben Obdachlose angesprochen, ob sie Lust auf diese Aktion haben. Unser Ziel war, ihnen eine Präsentationsfläche zu bieten und sie in den Mittelpunkt zu stellen.

DOMRADIO: Was hat Sie dazu motiviert?

Dorsch: In meiner ganzen künstlerischen Laufbahn war es schon immer so, dass mich Kunst als Interaktion und Intervention interessiert hat. Also, dass man mit Kunst Missstände der Gesellschaft aufklären kann. In dem Projekt ging es um die Missstände vor der eigenen Tür. Wir leben mit Obdachlosen zusammen in einer Stadt. Ich wollte, die Fläche von Magazin und Kunst nutzen, um auf diese Missstände hinzuweisen.

DOMRADIO.DE: Sie haben in Berlin Ihre Bachelorarbeit zu diesem Projekt geschrieben und sind dann mit dem Düsseldorfer Obdachlosen-Magazin fifty fifty in Kontakt gekommen. Daraus ist die 16-seitige Beilage entstanden. Die Straßenverkäufer in Düsseldorf sind aber nicht darin abgebildet und verkaufen sich selbst als Model, oder?

Dorsch: Nein, in der Theorie könnte man das natürlich auch mal machen. Ich denke, dass es cool wäre, weil sich die Obdachlosen in Berlin toll gefühlt haben, wie auf einem Podest. Deswegen wäre es natürlich schön, wenn sie ihre eigenen Zeitungen verkaufen könnten. Aber das Projekt hat in Berlin stattgefunden, dementsprechend sind die Models nicht die Zeitungsverkäufer aus Düsseldorf.

DOMRADIO.DE: Wie war es die Leute anzusprechen? Und wie lief die Zusammenarbeit?

Dorsch: Die Zusammenarbeit war im Großen und Ganzen ziemlich lustig. Für das Projekt hatten wir zwei Tage. Der erste Tag war ein bisschen "berauschter", sage ich mal. Da haben wir mit zwei Obdachlosen gemeinsam Cover-Shootings gemacht und es war ein bisschen Alkohol im Spiel. Das war irgendwie ein lustiger Tag gemeinsam mit Freunden.

Am zweiten Tag gab es eine besondere Begegnung zwischen Markus (dem Fotografen) und einem Obdachlosen. Den haben wir sehr ins Herz geschlossen und den geben wir auch nicht mehr wieder her (lacht). Also mit dem sind wir tatsächlich bis heute zusammen unterwegs und machen gemeinsam Projekte. Es war eine schöne Arbeit, weil die Wechselwirkung von Glück eine große Rolle gespielt hat. Das war auch die ganze Intention hinter dem Projekt - einmal am Tag zwischenmenschlich sein oder einmal am Tag jemandem Glück zu bescheren oder einfach jemanden anzulächeln. Das hat man auf jeden Fall gemerkt, dass das bei dem Projekt sehr gut funktioniert hat.

DOMRADIO.DE: Wo haben Sie das eigentlich gemacht - in einem Café oder auf der Straße?

Dorsch: Auf der Straße, am Alexanderplatz, am Märchenbrunnen in Berlin. Wir haben uns Berliner Orte rausgepickt und die Obdachlosen auch gefragt, wo sie gerne hingehen wollen oder welches ihre Lieblingsorte sind. Daraufhin sind wir zu den Plätzen gegangen und haben dieses Shooting spontan umgesetzt.

DOMRADIO.DE: Wie war das für den Fotografen die Obdachlosen zu shooten?

Dorsch: Am ersten Tag haben die Obdachlosen so ein bisschen posiert, weil man auch gemerkt hat, dass sie sehr viel Spaß daran haben. Am zweiten Tag mussten die Obdachlosen erst einmal auftauen. Da war man auch etwas zögerlich, weil man nie weiß, inwiefern sie sich wohlfühlen und bis wohin man gehen kann. Letztendlich sind es Obdachlose. Man weiß auch nicht, ob sie mit ihrem eigenen Aussehen konform sind. Man hat im Laufe aber gesehen, dass sie immer mehr aufgetaut sind. Es war ein vorsichtiges Herantasten von beiden Seiten.

DOMRADIO.DE: In welchem Format sind die Fotos aufgenommen?

Dorsch: Eigentlich in allen möglichen. Wir haben an dem ersten Tag versucht, vorhandene Magazin-Cover nachzumachen. Wir haben zum Beispiel ein Lenny Kravitz-Cover mit dem Obdachlosen Leo nachgestellt. Am zweiten Tag haben wir frei geschaut, was passt, zum Beispiel ein Blumen-Porträt für die Vogue oder ein Karl-Lagerfeld-Shooting für die Vanity Fair. Es war also nicht nur Porträt oder Ganzkörperbild, sondern mal so, mal so.

DOMRADIO.DE: Am Alexanderplatz sind relativ viele Passanten unterwegs. Gab es da Reaktionen?

Dorsch: Ne, gar nicht. Ich glaube, das liegt daran, dass Berlin eine Großstadt ist. Da passiert es öfter mal, dass man Bilder zu sehen bekommt, die man sonst nicht gewohnt ist. Deswegen war es schon sehr intim, obwohl es in der Öffentlichkeit stattfand.

DOMRADIO.DE: Wissen Sie, wie die Leute reagieren, die diese Zeitung jetzt mitverkaufen?

Dorsch: Ne, leider noch nicht. Aber wir fahren morgen nach Düsseldorf und schauen uns das an. Darauf freuen wir uns schon sehr! 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Designerin Ina Dorsch auf den Straßen Berlins / © Fabian Landwehr (privat)
Designerin Ina Dorsch auf den Straßen Berlins / © Fabian Landwehr ( privat )

HOME.LESS.FASHION stellt Hochglanz-Cover nach / © Luis Maximilian Limberg (fifty fifty) (privat)
HOME.LESS.FASHION stellt Hochglanz-Cover nach / © Luis Maximilian Limberg (fifty fifty) ( privat )

Shooting vor dem Karl-Lagerfeld-Store / © Fabian Landwehr (privat)
Shooting vor dem Karl-Lagerfeld-Store / © Fabian Landwehr ( privat )
Quelle:
DR
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