Die US-Regierung rückt von einer "Zwei-Staaten-Lösung" im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ab – und damit von der Perspektive, über die jahrzehntelang international weitgehend Einigkeit herrschte. Er werde die Lösung akzeptieren, auf die sich Israelis und Palästinenser verständigen, hatte der neue US-Präsident Donald Trump in dieser Woche in einem Gespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu verkündet.
"Nervosität" innerhalb der Bevölkerung macht Gregor Buss, Theologe und Dozent an der Hebrew University of Jerusalem, jetzt verstärkt aus – nicht zuletzt ausgelöst durch die vermeintlich freundschaftliche Atmosphäre zwischen Trump und Netanjahu.
Eine Zwei-Staaten-Lösung sei im Grunde schon seit zehn Jahren "nur noch Geschwätz" und mittlerweile "irreal" geworden, meint dagegen Dr. Jörg Bremer, langjähriger Nahost-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Möglicherweise sei es gut, wenn der US-Präsident mit "völlig neuem Wind" und "vollkommen neuen Ideen" komme, sagt Bremer im domradio.de-Interview.
Netanjahu treibt Siedlungsausbau voran
Seit Donald Trumps Amtsantritt im Januar hat Israel den Bau von rund 6.000 neuen Siedlerwohnungen im besetzten Westjordanland und in Ost-Jerusalem verkündet. Zudem versprach Netanjahu die Gründung einer neuen Siedlung im Westjordanland.
Für Nah-Ost-Kenner Gregor Buss ein klares Zeichen: Israel breite sich immer weiter aus. Der fortschreitende Siedlungsausbau sei zur Normalität geworden, auch wenn es in den vergangenen Tagen so etwas wie einen Aufschrei gegeben habe. Unter den Palästinensern sei eine Mischung aus Empörung und Resignation spürbar, so der Theologe im domradio.de-Interview.
"Stark eingeschränkt"
Auch Schwester Hildegard Enzenhofer, die seit 15 Jahren in Palästina lebt und arbeitet, nimmt die palästinensische Bevölkerung als frustriert, traurig und depressiv war. Grund dafür: Zirka 50.000 Menschen seien allein in Ihrem direkten Umfeld stark in ihrer Bewegung eingeschränkt. Die Ordensschwester der Salvatorianerinnen leitet ein Pflegeheim in Emmaus-Qubeibeh, einem Dorf, das zusammen mit zehn anderen von einer Sicherheitsmauer umgeben ist. Ein eigener palästinensischer Staat – Wunsch vieler Palästinenser – sei durch den "massiven Siedlungsbau nicht mehr möglich" meint Schwester Hildegard.
Anders die Einschätzung von Journalist Bremer. "Ich könnte an einer Hand fünf gute Freunde nennen, die Palästinenser sind und ihr System selbst als völlig korrupt und unfähig bezeichnen", betont Bremer. "Man darf nicht vergessen, dass Israel im Prinzip eine starke Demokratie hat", so der Nahost-Experte. Die Palästinenser würden dagegen seit Jahren von einer Autonomie regiert, die man zwar als demokratisch ansehen könne, die aber seit Jahren nicht mehr legitimiert werde, weil keine Wahlen stattfänden.
Bremer sieht zudem eine andere Gefahr: "Man kann einfach nicht verlangen, dass Siedler, die möglicherweise seit drei Generationen in ihrem Häuschen irgendwo im Westjordanland leben, plötzlich das Land verlassen - nur, weil die Knesset das beschließt", betont Bremer. Er befürchtet "Gewalttaten und Blutvergießen", sollte es tatsächlich zu Polizeiaktionen gegen Siedler kommen.
Trump nicht der Richtige
"Ich würde gerne sehen, dass sie sich bei den Siedlungen ein wenig zurückhalten“, hatte US-Präsident Trump gegenüber Netanjahu gesagt. Dennoch: Auch Schwester Hildegard berichtet von "großer Sorge" der Menschen, die aufblühende Koalition Israels mit den USA könne den Konflikt weiter anheizen.
"Der Friedensprozess benötigt Sensibilität, Diplomatie, Kenntnis der Lage und das Freisein von Eigeninteressen", bekräftigt die Ordensfrau gegenüber domradio.de. Genau das vermisse sie bei Trump momentan. "An seine Politik glauben die Menschen nicht."
Vorsichtige Hoffnung
Theologe Buss sieht zwar ein Interesse Trumps an einer Lösung des Konflikts. "Nur allzu gern würde er so in die Geschichtsbücher eingehen", meint der deutsche Theologe. Jedoch sieht Buss ein Problem: Trump pflege enge Beziehungen zu Israel und eine lange Freundschaft zu Benjamin Netanjahu. "Wenn er zur palästinensischen Seite eine ähnlich enge Beziehung hätte, wäre Trump in der Tat der ideale Friedensvermittler", so Buss. Das scheine jedoch nicht der Fall zu sein. Der sogenannte Muslim-Bann habe gezeigt, dass er dem Islam und der arabischen Welt mit Vorbehalten begegne.
Den "Schlüssel zur Lösung des Konflikts" sieht Buss vielmehr in der arabischen Welt. Zwischen Israel und einigen seiner arabischen Nachbarn gebe es mittlerweile Kontakte, die vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen seien. "Vielleicht liegt hier ein Weg, dem Frieden näher zu kommen", formuliert Buss eine vorsichtige Hoffnung. Noch pessimistischer fällt die Bilanz von Nahost-Experte Bremer aus. "Ich habe lange genug in der Region gelebt", sagt Bremer, "ich habe nicht die Spur einer Vision für ein Ende des Konfliktes."