Noch nie war Deutschland bevölkerungsreicher als derzeit - weder im Kaiserreich noch während der Nazizeit und seit der Wiedervereinigung. Wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte, wuchs die Einwohnerzahl nach einer vorläufigen Schätzung von 82,8 Millionen im Jahr 2017 um rund 200.000 auf 83 Millionen 2018.
"Deutschland schrumpft. Irgendwann", so hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung die wider Erwarten seit einigen Jahren steigenden Einwandererzahlen kommentiert. Seit 2012 gibt es Jahr für Jahr ein Plus. Ausschlaggebend dafür ist aber allein die Zuwanderung aus dem Ausland.
Geburtendefizit verstärkt sich
2018 wanderten zwischen 340.000 und 380.000 mehr Menschen zu als ab. Dabei wird das Plus allerdings im dritten Jahr in Folge kleiner. 2015 hatte die Nettozuwanderung extrem stark zugenommen; mittlerweile ist sie wieder auf das Niveau von 2012 abgesunken.
Gleichzeitig verstärkt sich aber das Geburtendefizit: Etwa 785.000 bis 805.000 Neugeborenen standen im vergangenen Jahr 950.000 bis 970.000 Sterbefälle gegenüber - eine Differenz von mehr als 160.000. 2017 hatte das Geburtendefizit noch 145.000 betragen.
Babyboom-Generation in hohem Alter
Damit überlagern internationale Migrationsbewegungen gegenwärtig den Trend zum Bevölkerungsrückgang, der durch eine lang anhaltende Phase des Geburtenrückgangs angelegt ist. Da seit 1972 hierzulande jedes Jahr mehr Menschen sterben als Kinder geboren werden, würde die Bevölkerungszahl in Deutschland ohne Zuwanderung seit 40 Jahren schrumpfen.
Für die kommenden Jahre erwarten die Demografen, dass die Zahl der Gestorbenen - trotz steigender Lebenserwartung - weiter zunehmen wird, da die zahlenmäßig starken Jahrgänge der Babyboom-Generation ins hohe Alter hineinwachsen. Zugleich wird die Anzahl potenzieller Mütter in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich zurückgehen, da die schwach besetzten 1990er Jahrgänge in die gebärfähige Altersphase kommen.
Statistiker rechnen mit durchschnittlicher Entwicklung
Längerfristige Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland sind schwierig. Konflikte im Nahen Osten oder mögliche weitere Krisen in Nordafrika könnten für weitere Massenzuwanderung sorgen. In ihren Langfristprognosen rechneten die Statistiker allerdings nicht mit solch großen Krisen, sondern einer durchschnittlichen Entwicklung.
Auf dieser Basis hatten die Bevölkerungsforscher 2016 erklärt, dass die Zuwanderung vermutlich nur sehr eingeschränkte Auswirkungen auf die langfristige Bevölkerungsentwicklung haben werde. Noch viel stärker gilt das für die Geburtenrate, die zuletzt gering angestiegen war.
Demografischer Rahmen verschiebt sich
Ein Bevölkerungsrückgang sei auf lange Sicht wegen der ins Rentenalter kommenden geburtenstarken Jahrgänge unvermeidbar, so die Bevölkerungsforscher. Das sogenannte Medianalter, das die Bevölkerung in zwei gleich große Gruppen unterteilt, ist mittlerweile auf 45,8 Jahre geklettert. Vor über einem Jahrhundert (1910) lag der Wert noch bei 23,6 Jahren.
"Die Zahl der Gestorbenen wird die Zahl der Geborenen immer stärker übersteigen. Diese Lücke kann nicht auf Dauer durch den positiven Saldo aus Zuzügen nach und Fortzügen aus Deutschland geschlossen werden", unterstrich etwa 2015 der damals amtierende Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler, in einer Langfristprognose. Der demografische Rahmen verschiebe sich in bisher nicht gekannter Art und Weise.
Experten: Deutschland wird auf Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angewiesen sein
Für das Jahr 2060 schätzen die Wissenschaftler vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung die Einwohnerzahl der Bundesrepublik auf 67,6 Millionen bei schwächerer Zuwanderung und 76,5 Millionen bei stärkerer Zuwanderung - ohne größere Krisen oder Kriege.
Besonders stark wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schrumpfen: Die Anzahl der 20- bis 64-Jährigen wird laut Prognose ab 2020 deutlich zurückgehen und 2060 je nach Stärke der Nettozuwanderung etwa 34 beziehungsweise 38 Millionen betragen. Der Anteil der 20- bis 64-Jährigen wird von 61 Prozent im Jahr 2013 auf knapp über 50 Prozent im Jahr 2060 sinken - daher wird Deutschland laut Experten weiterhin auf Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angewiesen sein.