DOMRADIO.DE: Die One-Love-Armbinde steht für Vielfalt, Offenheit und Toleranz. Manuel Neuer wollte sie tragen, doch das wird er nicht tun. Die Fifa duldet das nämlich nicht und droht mit Konsequenzen. Der Deutsche Fußball-Bund hat deswegen entschieden, dass der Kapitän sich die Binde nicht umlegen wird. Wie finden Sie das?
Dr. Thorsten Latzel (Beauftragter des Rates der EKD für Kirche und Sport): Das Ganze hat sich zu einer einzigen Farce entwickelt. Jetzt war schon der Protest mit der One-Love-Binde eine Kompromisslösung, weil man die Regenbogen-Binde nicht tragen wollte. Der DFB hatte die Entscheidung darüber dann zwei Monate in der Schwebe gelassen, nachdem die DFB-Auswahl die schon einmal anhatte. Und jetzt kurz vorher mit so einer unklaren Drohung zu kommen, das ist eine einzige Farce.
DOMRADIO.DE: Der DFB Pressesprecher Steffen Simon hat den Schritt aber verteidigt und ein bisschen geradegerückt. Er sagt: 'Wir haben die Binde verloren, aber nicht unsere Werte.' Reicht das in Ihren Augen nicht?
Latzel: Nein, wie will man den jungen Menschen jetzt noch glaubhaft Werte vermitteln und dass man für etwas eintreten soll, wenn man bei einem Widerstand direkt nachgibt? Das waren sieben große Fußballverbände Europas. Die hätten, glaube ich, auch die Möglichkeit gehabt, dagegenzuhalten, ohne das auf dem Rücken der Sportler auszutragen. Die Fifa hat ja erst mal unklar gelassen, was 'sportliche Sanktionen' heißen sollten. Und da müssen wir schon fragen: 'Welchen Sport wollen wir eigentlich?'
DOMRADIO.DE: Es ist im Gespräch, dass alle Binden-Träger eine gelbe Karte bekommen sollen. Manuel Neuer wäre damit vorbelastet. Einem eingefleischten Fußballfan ist das nicht egal.
Latzel: Nein, das ist denen nicht egal. Aber es geht hier um eine Machtdemonstration der Fifa, die den anderen vorschreiben will, welche Binden sie tragen dürfen und welche nicht. Wann darfst du für ethische Werte eintreten und wann nicht? Es ist eben so, dass man ethische Werte nicht einfach verhandeln und sagen kann 'Heute trete ich dafür ein, morgen nicht'. Es geht gerade darum, was dem eigenen Leben Grundorientierung gibt.
DOMRADIO.DE: Rewe hat sich sofort aus der Kooperation mit dem DFB herausgezogen. Mein erster Gedanke war 'Hoppla, das ist aber jetzt Aktionismus'. Wie schätzen Sie das ein?
Latzel: Für mich war das erstmal ein stimmiges Zeichen. Natürlich ist das auch ein Zeichen nach außen für ihre Kunden, wofür Rewe selber steht. Sie werden ja auch jetzt ihre Sammelhefte kostenlos herausgeben. Aber zumindest sagt Rewe: 'Wir stehen nicht hinter solch einem Sport.' Und das ist inhaltlich genau das richtige Zeichen, was wir gerade brauchen.
DOMRADIO.DE: Der DFB gerät zunehmend unter Druck und erwägt eine Klage gegen die Fifa. Kann sich der Fußballbund damit reinwaschen?
Latzel: Ich weiß nicht, ob es um ein Reinwaschen geht. Erstmal leidet doch der Sport an dieser Stelle. Genau die Menschen, die eigentlich Fußball gucken wollen, müssen darunter leiden, dass die Fifa so schlechte Rahmenbedingungen schafft und ständig solche Fragen im Vordergrund stehen. Der DFB hat eine massive Vertrauenskrise an dieser Stelle. Wie wollen sie weiter für ethische Werte eintreten? Ob jetzt die Klage etwas hilft? Ich glaube, was wir brauchen, ist eine Reform des internationalen Fußballs.
Das Interview führte Tobias Fricke.